Tübinger Hausbesetzung

In der Gartenstraße stehen die Türen allen offen

Im Haus in der Gartenstraße stehen die Türen offen. Die Bewohner laden alle Bürger zu sich ein und wollen einen alternativen Ort für die ganze Stadt schaffen.

27.07.2019

Von Stephan Gokeler

„Ein Haus für alle“ soll die Gartensia sein – und aus Sicht der Besetzer auch bleiben. Bild: Stephan Gokeler

„Ein Haus für alle“ soll die Gartensia sein – und aus Sicht der Besetzer auch bleiben. Bild: Stephan Gokeler

Heute ist „Bautag“, der künftig immer samstags stattfinden wird. Dann wird am und um das besetzte Haus in der Gartenstraße 7 gewerkelt. Schon begonnen wurde damit, einen Raum für Kinder zu gestalten. Im Garten sollen eine Dusche und ein Kompost errichtet werden. Mit Internet ist das Haus bisher noch nicht versorgt. Einen festen Arbeitsplan gibt es für den Bautag nicht. „Es findet sich immer etwas. Jede und jeder kann mitanpacken und das machen, auf was man Lust hat“, sagt die junge Frau, die Zora genannt werden möchte.

Zora ist wie Flo und Hagen Mitglied im Arbeitskreis Presse. Daneben gibt es weitere Arbeitsgruppen, die sich etwa um den Kontakt zur Nachbarschaft, die Veranstaltungsplanung, den Kontakt zur Eigentümerin und deren Makler und eben Garten und Bau kümmern. „Es ist schön zu beobachten, wie wir uns nach einer chaotischen Phase weiterentwickeln“, findet Zora. Jeden Morgen und Abend gibt’s ein Plenum, in dem Infos ausgetauscht und Aufgaben besprochen werden. „Das Abendplenum um 19 Uhr ist ausdrücklich offen für alle, also auch Leute von außerhalb, die sich für das Projekt interessieren“, sagt Hagen. In einem „Aktionskonsens“ haben sie die Grundregeln des Miteinanders vereinbart, die verbindlich sind.

Oberstes Prinzip ist: Die Gartensia soll ein Haus für alle sein. „Es gibt nicht die Menschen, die hier wohnen dürfen und die, die das nicht dürfen“, betont Zora. Niemand soll abgewiesen werden, und bisher hat der Platz für alle gereicht. Auf 15 bis 20 schätzt sie die Zahl der Personen, „die mehr Zeit hier verbringen“. Private Zimmer gibt es nicht, dafür Räume mit Funktionen: Ruheräume, eine Bibliothek mit Büchertausch, eine Küche, einen Gemeinschaftsraum – und im Erdgeschoss direkt von der Gartenstraße zugänglich ein Café. Es ist jeden Tag vom späten Nachmittag bis in den Abend geöffnet. Zahlen muss hier niemand etwas, freiwillige Spenden werden gerne entgegengenommen. Auch in Form von Kuchen – am liebsten vegan.

Gartensia haben die Besetzer das Haus inzwischen getauft, sich selbst bezeichnen die Bewohner als „Gärtner*innen“. Wobei Pflanzen noch Mangelware sind und gerne als Spende entgegengenommen werden. Angst vor einer Räumung haben sie derzeit nicht. Der Makler der Besitzerin war schon hier und habe sich umgesehen. Er wolle mit der Stadt einen Verfahrensvorschlag besprechen und sich dann wieder melden.

10.07.2017 Hausbesetzung in der Tübinger Gartenstraße
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05:03 min
20 junge Leute haben am frühen Freitagmorgen das Haus in der Tübinger Gartenstraße 7 besetzt. Wir fragten Passanten, was sie von der Aktion halten. Video: Marike Schneck & Hans-Jörg Schweizer
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Viel Zuspruch gebe es von den Nachbarn, die froh seien, dass wieder Leben in das ewig leerstehende Haus eingezogen sei. Auch Delegationen der Grünen, SPD und Linken waren schon zu Besuch und hätten sich sehr positiv geäußert, berichtet Flo.

Nichts im Haus soll laut Selbstverständnis zerstört oder entwendet werden, auch geraucht wird im Haus nicht. Das vierte Geschoss haben die Bewohner für tabu erklärt. „Dort befinden sich noch viele private Gegenstände, das respektieren wir“, sagt Zora. Deshalb bleibt auch die Dachterrasse ungenutzt, weil sie nur über diese Räume zugänglich wäre. In den beiden unteren Etagen erinnert vieles an die frühere Nutzung als Haushaltswarengeschäft. Plüschig bezogene Ausstellungsregale, an denen die Embleme von Hutschenreuther, WMF oder Villeroy und Boch prangen, ein Schild verspricht um 50 Prozent reduzierte Salzstreuer.

In einem offenen Brief an Gemeinderat, Oberbürgermeister und das restliche „liebe Tübingen“ haben die Gärtnerinnen und Gärtner Vorschläge formuliert, wie es weitergehen könnte. Der Erwerb des Hauses durch die Stadt mit anschließender Vermietung an soziale Initiativen wird ebenso genannt wie eine Erbpacht oder ein Kauf durch das Mietshäuser-Syndikat.

„Es gibt auch unter uns viele Meinungen, was der beste Weg wäre“, sagt Zora. Bei der Frage nach dem „wie weiter“ sei man „diskussionsbereit“, ergänzt Flo. Wenn allerdings irgendwann doch geräumt werden würde und die Marktmechanismen über die weitere Verwendung des Hauses bestimmten, wäre die Aussicht auf einen „alternativen Ort, der für die gesamte Stadt offensteht“ dahin, glaubt Hagen. Deshalb wollen sie ihren offenen Brief noch drucken und in möglichst großer Zahl an die Bürgerinnen und Bürger verteilen. „Wir wollen das Haus nicht für uns alleine, sondern für alle“, sagt Zora.

Von lokal bis international

Im Haus in der Gartenstraße 7 finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die allesamt öffentlich sind. Am Montag um 20 Uhr spricht Lucius Teidelbaum über studentische Verbindungen, am Dienstag geht es um 20.15 Uhr um den „globalen Drohnenkrieg und die Rolle Deutschlands“, am Mittwoch berichtet ein Stuttgarter Kollektiv um 17 Uhr über Menschenhandel und Zwangsprostitution und am Donnerstag gibt es um 20.30 Uhr einen Vortrag über die Flüchtlingshilfe der Seebrücke. Das aktuelle Programm ist unter www.gartensia.noblogs.org im Internet abrufbar.

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Erstellt:
27.07.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 20sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2019, 01:00 Uhr

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