Nationalmannschaft
Neustart in Sotschi
Nach der Analyse des Fiaskos in Moskau bereitet sich die deutsche Auswahl am Schwarzen Meer auf das Zitterspiel gegen Schweden vor.
Moskau. Die Aura des Erhabenen trägt Manuel Neuer selbstverständlich ohne sich etwas dabei zu denken. Wenn er mit langen ruhigen Schritten geht, seine Augen ohne konkretes Ziel in die Ferne schweifen, wirkt der großgewachsene Torwart wie in einer anderen Welt. Am Sonntag, als es richtig eng wurde, gab es für ihn jedoch kein Halten mehr. In der Nachspielzeit stürmte er in den Strafraum der Mexikaner, er gestikulierte wild. Doch der Einsatz war vergebens. Am Ende stand das 0:1 zum Start der deutschen Elf in die Weltmeisterschaft.
Neuer ist der Mann, an dem sich die Mitspieler nach dem kollektiven Totalversagen wieder aufrichten können oder müssen. Ausgerechnet Neuer. Dabei ist der Welttorhüter eigentlich ausreichend mit sich selbst beschäftigt. Nach mehreren Fußbrüchen und acht Monaten ohne Pflichtspiel hat er sich in letzter Minute in den WM-Kader gekämpft. Er trägt keine Schuld an dem historischen Debakel zum Auftakt.
Weltmeister in der Pflicht
Vor dem unerwartet frühzeitigen Schlüsselspiel am Samstag in Sotschi gegen Schweden steht Neuer jedoch als Kapitän der schwer angeschlagenen Mannschaft in der Pflicht. „Wir haben ab jetzt nur noch Finals“, sagte Neuer vor dem Abflug nach Süden in Watutinki. Er nahm seine Mitspieler in die Pflicht: „Jetzt muss von uns Spielern was kommen. Wir müssen zeigen, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat.“ Nach der Niederlage gegen Mexiko habe es viele intensive Gespräche unter den Spielern der deutschen Mannschaft gegeben. „Wir sind unsere schärfsten Kritiker, und wir sind sauer auf uns selbst, auch enttäuscht von dem, was wir auf dem Platz gegen Mexiko gezeigt haben“, so erklärte Neuer. „Wichtig ist, dass wir an einem Strang ziehen, es soll keine zwei Meinungen geben.“
In Sotschi soll also alles besser werden. Joachim Löw hatte die Metropole am Schwarzen Meer ursprünglich ohnehin als Basislager seiner Mannschaft für diese WM bevorzugt. Im vergangenen Jahr, als er dort seine mit Spielern aus der zweiten Reihe aufgefüllte Mannschaft auf die Partien im Confed-Cup vorbereitete, wusste er die Vorzüge der Stadt durchaus zu schätzen. Das milde Klima und die Ruhe, das luxuriöse Hotel an der Strandpromenade – der gepflegte Trainingsplatz lag nur einen Steinwurf entfernt. Genauso wie das Fischt-Stadion, in dem die deutsche Elf zu dem Zitterspiel am Samstag antreten wird. Die Atmosphäre schien auch den Spielern, die bei der Generalprobe für die WM vor zwölf Monaten überraschend triumphierten, behagt zu haben.
Die WM rückwärts gedacht
Durchgesetzt hat sich jedoch die Idee Oliver Bierhoffs, der Watutinki bevorzugte, einen Vorort der Hauptstadt Moskau, den speziell seine riesigen Hochhäuser im Stil des Plattenbaus charakterisieren. Der Manager gab zu bedenken, dass es aus strategischer Sicht verkehrsgünstiger sei, ein zentral gelegenes Mannschaftsquartier zu haben. Bierhoff wies stets darauf hin, dass es im weiteren Verlauf des Turniers gelte, die Wegstrecken im Bus und im Flugzeug so gering wie möglich zu halten. Er dachte die WM rückwärts, also vom Finale weg, was sich möglicherweise als fataler Irrtum herausstellen könnte.
Leistet sich die deutsche Mannschaft im Duell mit den Schweden eine weitere Niederlage, ist der Geist von Watutinki schneller verflogen als gedacht – und Sotschi wird zum Jammertal.