Corona
„Mitten in der dritten Welle“
Hans-Jörg Wertenauer ist Stuttgarts Chef-Tester. Priorität hat für ihn der Schutz der Risikogruppen. Ausrotten lasse sich das Virus nicht, sagt der Arzt.
Stuttgart. Lange Arbeitstage ist Hans-Jörg Wertenauer als Chef mehrerer Stuttgarter Arztpraxen mit 60 Angestellten gewohnt. Mit der Pandemie hat sich das Pensum des 49-Jährigen aber nochmal deutlich erhöht. Seit Monaten schiebt der Mediziner 80-Stunden-Wochen, in Stuttgart würde in Sachen Corona-Tests ohne ihn nichts laufen: Wertenauer hat in der Landeshauptstadt die Fieberambulanz und das große Testzentrum am Cannstatter Wasen aufgebaut.
Zu Spitzenzeiten wie vor Weihnachten wurden auf dem Gelände, auf dem sonst Frühlings- und Volksfest über die Bühne gehen, 2000 Personen täglich getestet. 50 Mitarbeiter waren in zwei Schichten im Einsatz und hielten den Betrieb am Laufen. Nach einer kurzen Entspannungsphase ziehen die Zahlen jetzt wieder an. Mitte Februar kamen etwa 300 Patienten täglich, aktuell seien es schon wieder 500, sagt Wertenauer. „Wir sind mitten in der dritten Welle.“ Hinzu kommt, das mittlerweile viel mehr getestet wird. Mit Sorge beobachtet Wertenauer indes, dass sich viele Lehrer, die die erste Astra-Zeneca-Impfung erhalten haben, nicht mehr testen ließen. Wohl im Glauben, jetzt sicher zu sein. Erstens sei aber die zweite Impfung essenziell, „zweitens kann man, nach allem, was wir wissen, trotz Impfung infektiös sein“.
Innerhalb kürzester Zeit hatte der Mediziner das Testzentrum im vergangenen Jahr aus dem Boden gestampft. Größte Unterstützung sei seine Praxismanagerin gewesen, die jetzt quasi einen Zweitjob habe. Mitarbeiter mussten gefunden, geschult und in die komplexe Bürokratie eingeführt werden, mit der sich sonst medizinisches Fachpersonal beschäftigt. „Die Durchführung des Abstrichs ist die leichtere Übung.“ Viel komplizierter sei der richtige Umgang mit der EDV. „Die Laboraufträge müssen je nach Anlass des Tests unterschiedlich formuliert werden, der Kostenträger muss richtig zugeordnet werden“, so der Chef-Tester. Da man vor allem mit Studenten arbeite, komme die Fluktuation hinzu. „Wir suchen ständig neue Mitarbeiter.“
Zur Arbeit auf dem Wasen kommen Schulungen: Bundeswehrsoldaten, Erzieher, Lehrer oder auch Freiwillige, die in Pflegeheimen Abstriche nehmen, haben Wertenauer und sein Team bereits geschult. Auf einen Theorieteil folge der Praxisteil mit Unterweisung in Hygiene, Abstrichentnahme, Durchführung des Schnelltests und Dokumentation. Am ersten Einsatztag steht den Neulingen noch jemand Erfahrenes zur Seite. Dann dürfen sie eigenständig loslegen.
Regelmäßige und anlasslose Tests, wie sie die Tübinger Pandemiebeauftragte Lisa Federle propagiert, unterstützt Wertenauer zwar grundsätzlich, allerdings mit einer Einschränkung: „Nicht alles ist gleich wichtig. Absolute Priorität hat, dass die Risikogruppen geschützt werden.“ Das anlasslose Testen sei sinnvoll, aber mühsam. „Wir werden es nicht schaffen, das Virus komplett auszurotten. Deshalb muss man abwägen, wie viel Energie man in welche Maßnahme steckt. Denn was wir unbedingt schaffen müssen, ist, dass niemand das Virus in ein Pflegeheim reinschleppt“, sagt er. Und immer wenn das nicht gelinge, könne man konkret untersuchen, was schief gelaufen sei. „Das ist ein erreichbares Ziel.“