Tübingen

Verfahren wegen Notruf-Missbrauchs eingestellt

Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen zwei junge Frauen, die eine Notlage vorgetäuscht haben sollen. Nun wurde das Verfahren eingestellt.

02.04.2019

Von Marike Schneck

Symbolbild: Christian Schwier - stock.adobe.com

Symbolbild: Christian Schwier - stock.adobe.com

Die Geschichte zweier junger Frauen, die vergangenes Jahr in Tübingen Krankenwagen und Notarzt riefen, Rettungskräfte anpöbelten und hinterher behaupteten, der Notfall sei nur ein Scherz gewesen, schaffte es in die Zeitungen der gesamten Republik. Auch in den sozialen Medien schlugen die Wogen hoch und die Leute sich die Kommentare um die Ohren.

Das DRK erstattete Anzeige wegen Notruf-Missbrauchs. Die Staatsanwaltschaft ermittelte – und stellte das Verfahren schließlich ein. Nicht, weil die Ermittler von der Unschuld der jungen Frauen restlos überzeugt sind, sondern weil sie ihnen nicht zweifelsfrei nachweisen konnten, dass der Notfall tatsächlich vorgetäuscht war.

Plötzlich alles nur ein Witz?

Zur Erinnerung: Es ist 4.30 Uhr in der Nacht auf Fronleichnam 2018. An einer Haltestelle liegt eine 19-Jährige. Ein Busfahrer setzt den Notruf ab: Da sei eine Frau, die reanimiert werden muss. Kurz darauf kommt die kleine Schwester mit einer Freundin hinzu. Auch sie wählt den Notruf. Der Krankenwagen fährt an. Die Sanitäter heben die junge Frau auf eine Liege. Der Kreislauf ist stabil, die 19-Jährige aber nicht ansprechbar. Deshalb wird eine Notärztin hinzugerufen.

Etwa zur selben Zeit geht ein weiterer Notruf ein: Ein Mann in der Nähe hat einen Herzinfarkt. Weil sich die Tübinger Notärztin aber noch um die 19-Jährige kümmert, muss der Kollege aus Rottenburg ausrücken – auch wenn der länger braucht und das Risiko, dass der Patient den Infarkt nicht überlebt, mit jeder Minute steigt. Plötzlich setzt sich die junge Frau auf der Liege im Krankenwagen auf, lacht und ruft, das sei alles nur ein Witz gewesen.

Dass sie das so gesagt hat, hat die 19-Jährige übrigens nie bestritten. Sie behauptete hernach aber, sie sei stark betrunken gewesen und habe einen Filmriss gehabt. Als sie im Rettungswagen wieder zu sich gekommen sei, berichtete sie damals dem TAGBLATT, da habe sie Panik bekommen und Angst gehabt, man bringe sie in die Psychiatrie. Die Rettungskräfte sagen, die junge Frau habe nicht auffällig nach Alkohol gerochen. Sie riefen die Polizei: Die Beamten nahmen sie mit auf die Wache, machten aber keinen Alkoholtest.

Täuschung war nicht nachweisbar

Ob die 19-Jährige betrunken war oder nicht: Für die Einstellung des Verfahrens ist das gar nicht relevant. Staatsanwältin Tatjana Grgic erklärt: „Notrufmissbrauch ist ein Nachweisdelikt.“ Die Ermittler müssen also eindeutig belegen können, dass die Schwestern alles nur vorgetäuscht haben. „Das war nicht möglich“, sagt Grgic: Der 19-Jährigen konnten sie nicht nachweisen, dass sie die Ohnmacht nur gespielt hat. Der 16-Jährigen konnten sie nicht beweisen, dass sie erkannt hat, dass ihre Schwester den Notfall nur spielte, und sie dennoch den Notruf wählte. „Immerhin“, so Grgic, „waren selbst die medizinischen Fachkräfte zunächst der Meinung, dass die Frau auf Hilfe angewiesen ist.“

„Das ist schon hart“, sagt Tübingens DRK-Präsidentin und Leitende Notärztin Lisa Federle. Sie selbst war in besagter Nacht zwar nicht im Einsatz, wurde aber informiert: Unverschämt seien die jungen Frauen gewesen, haben die Rettungskräfte berichtet, hätten sie angepöbelt und ausgelacht. „Das hatte schon eine besondere Qualität“, sagt Federle.

Einsatzkräfte sind einiges gewohnt

Dabei sind die Einsatzkräfte inzwischen einiges gewöhnt: Autofahrer, die Rettungsfahrzeuge absichtlich blockieren. Witzbolde, die aufs Trittbrett steigen und den Krankenwagen schaukeln lassen. Betrunkene, die dumme Sprüche machen.

„Wir alle – und da nehme ich Feuerwehr und Polizei mit dazu – sehen uns leider immer öfter mit sehr viel Respektlosigkeit konfrontiert“, sagt Federle. „Die meisten von uns haben deshalb ein dickes Fell.“ Das wiederum sei wohl mit ein Grund dafür, warum keiner der Kollegen, die in jener Nacht im Einsatz waren, die Beleidigungen hernach privat bei der Polizei angezeigt hat. „Aber Beleidigung“, sagt Staatsanwältin Grgic – und da klingt, wenn man ganz genau hinhört, ein wenig Bedauern durch – „ist halt nur auf Antrag verfolgbar.“

Notruf, Notarzt, Notdienst und der § 145 StGB

Im Strafgesetzbuch heißt es in § 145: Wer absichtlich oder wissentlich Notrufe oder Notzeichen missbraucht oder vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalles oder wegen gemeiner Gefahr oder Not die Hilfe anderer erforderlich sei, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

„Damit soll das Allgemeininteresse an wirkungsvoller Hilfe in Notsituationen gewährleistet bleiben“, erklärt Anna-Maria Gückel, stellvertretende Justitiarin des DRK-Kreisverbands Tübingen.

Ein Notarzt, stellt Tübingens Leitende Notärztin Lisa Federle klar, ist nur bei Notfällen zu rufen. Das sind alle lebensbedrohlichen Zustände wie Herzinfarkt, Hirnblutung, Schlaganfall. Für alles andere ist nachts oder am Wochenende der Notdienst zuständig.

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Erstellt:
02.04.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 02.04.2019, 01:00 Uhr

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