Corona-Krise

Millionenspiel in der Schuldenfalle?

Der Profisport rechnet mit horrenden Verlusten durch die Aussetzung des Spielbetriebs. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die skizzierten Szenarien Wirklichkeit werden.

30.04.2020

Von Manuela Harant

RB-Coach Julian Nagelsmann mit Sky-Mikrofon: Der Fußball drängt vorrangig wegen der TV-Gelder auf den Platz zurück. Foto: Jan Woitas/dpa

RB-Coach Julian Nagelsmann mit Sky-Mikrofon: Der Fußball drängt vorrangig wegen der TV-Gelder auf den Platz zurück. Foto: Jan Woitas/dpa

Da ist dem früheren Chef von Fußball-Bundesligist Werder Bremen, Willi Lemke, ein „tüchtiger Schreck“ in die Glieder gefahren: 40 Millionen Euro Verlust könnten die Norddeutschen im schlimmsten Fall durch die Corona-Krise einfahren: „Da müssen wir uns alle, die Werder Bremen lieben, große Sorgen machen.“ Solche Schreckensszenarien mit zweistelligen Millionenverlusten kursieren aktuell bei fast jedem Profi-Fußballklub. Vor allem, wenn es darum geht, die dramatische Lage darzustellen, sollte der Wunsch nach einem Saisonabschluss mit Geisterspielen nicht ermöglicht werden. 720 Millionen Euro seien es insgesamt, rechnet der Chef der Deutschen Fußball-Liga, Christian Seifert, vor, die aktuell bei den 36 Profimannschaften im deutschen Fußball auf dem Spiel stehen. Den Klubs der Premier League, der finanzstärksten Fußball-Liga Europas, soll sogar ein Verlust von einer Milliarde, in Ziffern 1.000.000.000 Euro, drohen. Alles schwindelerregende Summen.

Selbst die deutlich kleinere Basketball-Bundesliga (BBL) wucherte mit einem angeblichen Fehlbetrag von 25 Millionen Euro, wenn die restlichen Spiele ersatzlos gestrichen werden. Und bevor sich die Handball-Bundesliga zu dem Schritt durchrang, die aktuelle Runde komplett abzubrechen, rechnete auch sie mit einem Minus ihrer Klubs über 20 Millionen Euro.

Dachverband rechnet nach

Das veranlasste den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nun zu einer Erhebung der Finanznöte in den Verbänden, die nächste Woche abgeschlossen sein soll. „Es kursieren ja die abenteuerlichsten Zahlen. Für uns ist es schwierig, mit dem Bund und den Ländern über Hilfsmodelle zu reden, wenn man nicht zumindest ungefähr weiß, um welche Schadenshöhe es sich handelt“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Er selbst rechnet ebenfalls mit Milliardenverlusten für den Profisport durch die Krise.

Da überrascht es auf den ersten Blick, dass es für die Handballer am Ende doch rentabler ist, die aktuelle Spielzeit vorzeitig zu beenden, statt Geisterspiele auszutragen. Allerdings liegt das vorrangig daran, dass die Berechnungen, die hinter den jüngst ausgerufenen Horror-Verlusten stehen, auf zwei Grundannahmen beruhen: Dass alle Beteiligten auf ihre Regressansprüche für nicht erfüllte Leistungen bestehen und die Kosten des üblichen Spielbetriebs weiterlaufen wie bisher.

Allerdings existieren Faktoren, die zugleich die Ausgabenseite der Vereine drücken. So haben bereits 16 der 18 Fußball-Bundesligisten auf Kurzarbeit umgestellt. Wie jedes andere Industrie-Unternehmen auch kann der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb der Klubs nämlich die Personalkosten auf diese Weise auf ein Minimum reduzieren. Daneben haben schon zu Beginn der Corona-Krise reihenweise Dauerkartenbesitzer und Sponsoren angekündigt, auf eine Rückzahlung ihrer Ansprüche verzichten zu wollen. Im Gegenteil: Viele Vereine über alle Sportarten hinweg haben über so genannte „virtuelle Sitzplätze“ in ihren Stadien und Hallen sogar ein kleines zusätzliches Einkommen generiert.

Im Profifußball liegt der Fall, wie so oft, etwas anders: „Hier bestehen nur 15 Prozent der Einnahmen aus Ticketverkäufen“, erklärte Sportökonom Frank Daumann im Deutschlandfunk. Deshalb ist diese Sportart auf die Überweisung der letzten TV-Tranche über 380 Millionen Euro angewiesen – allerdings wäre auch der Verlust dieser Summe meilenweit von den kolportierten 720 Millionen Euro entfernt, die DFL-Chef Seifert zu Beginn der Krise an die Wand gemalt hat.

304 Millionen Euro fließen

Zumal sich die Bundesliga inzwischen laut Kicker auf eine Vorauszahlung der TV-Gelder von 304 Millionen Euro für Anfang Mai einigen konnte – obwohl der Ball in den Stadien dann noch nicht rollt. „Es wurden auch Vereinbarungen getroffen, wie damit umzugehen ist, sollte die Saison nicht zu Ende gespielt werden können“, sagte Seifert. Zahlen hierzu nennt er jedoch nicht.

Neben der Sicherung der wichtigen Fernsehgelder könnte der Profifußball zudem am größten Ausgabenfaktor sparen, wenn er seine Personalkosten senken würde, die sich laut DFL-Wirtschaftsreport in der Saison 2018/2019 auf schwindelerregende 1,4 Milliarden Euro beliefen. Und dies hat er über Gehaltsverzicht und Kurzarbeitergeld bei seinen Spielern bereits getan. Auch das Transfergeschehen könnten die Vereine zu einem Nullsummenspiel machen, wenn sie sich nicht weiter am ohnehin fragwürdigen internationalen Bieterwettbewerb beteiligen. So hat der englische Rekordmeister Manchester United den Weg aus dem Dilemma bereits vorgegeben und Megatransfers in diesem Sommer ausgeschlossen.

Dennoch gilt: Wer es als Sportart früher als andere schafft, auf die Bildfläche zurückzukehren, kann zum Gewinner der Coronakrise werden. So herrscht in der Basketball-Bundesliga, die die Saison mit zehn Klubs im Turniermodus zu Ende spielen will, schon eine leichte Euphorie: „Es könnte einen Push geben. Die Fernsehsender gieren nach frischem Content“, stellt Liga-Chef Stefan Holz angesichts der Programm-Lücken bei den Öffentlich-Rechtlichen nach der Absage von Olympia und Fußball-EM fest. Statt ständig neuen Verlustmeldungen könnten vielleicht sogar unerwartete Einnahmen Schlagzeilen machen.

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Erstellt:
30.04.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 30.04.2020, 06:00 Uhr

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