Tübingen

Messerangriff in Buchladen: Das fordern Anklage und Verteidigung

Im Prozess um den Messerangriff in einer Tübinger Buchhandlung wegen versuchten Mordes haben am Vormittag Anklage und Verteidigung plädiert.

09.02.2024

Von Jonas Bleeser

Das Gerichtsgebäude in der Tübinger Doblerstraße. Bild: Ulrich Metz

Das Gerichtsgebäude in der Tübinger Doblerstraße. Bild: Ulrich Metz

Wie ist der Mann zu bestrafen, der einer ihm völlig unbekannten Frau in der Tübinger Buchhandlung Rosalux ein Messer in den Rücken rammte? Darum ging es am Vormittag in der Verhandlung am Tübinger Schwurgericht.

Die Anklage gegen den 41-jährigen Theologen aus Bayern lautet auf versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die 56-jährige Frau überlebte den Angriff nur äußerst knapp. Als Motiv hatte der Mann bereits nach seiner Festnahme bei der Polizei genannt, dass er durch eine heimtückische Tat möglichst lange ins Gefängnis wollte. So plante er, privaten und beruflichen Problemen zu entkommen. Er hatte Schulden in einer Höhe zwischen 80.000 Euro und 100.000 Euro angehäuft, die ihm trotz guten Einkommens als Schulleiter über den Kopf gewachsen seien.

Anklage fordert 14 Jahre Gefängnis

Die Staatsanwältin ging davon aus, dass es ein vollendeter Mordversuch war. Der Angeklagte habe davon ausgehen müssen, dass die Frau sterben würde, da das Messer mit einer 16 Zentimeter langen Klinge bis zum Heft eindrang. Das Mordmerkmal der Heimtücke sei – wie vom Angeklagten beabsichtigt – klar erfüllt.

Damit ist auch bei einem Versuch eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich. In der Gesamtschau auf den Beschuldigten könne das Strafmaß aber gemildert werden: Er habe vorher ein gewaltfreies, strafloses Leben geführt. Und er leide an Persönlichkeitsstörungen, die ihn mit in die Situation gebracht hätten, die letztlich zur Tat führte. Auch sein Nachtatverhalten rechnete sie ihm an: Er leistete keinen Widerstand und legte sofort nach der Festnahme ein Geständnis ab. Seine Reue nahm sie ihm ab. Damit gehe sie von einem gesetzlichen Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren aus. Da dem Angriff eine hohe kriminelle Energie vorausging und die Tat gezielt geplant war, müsse eine „sehr hohe Freiheitsstrafe“ verhängt werden: Sie beantragte 14 Jahre Haft.

 



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Der Nebenklagevertreter des Opfers machte klar, wie willkürlich die Frau ausgewählt wurde: „Keiner hier im Raum kann ausschließen, dass es ihn hätte treffen können.“ Der Mann habe gezielt im rechtlichen Sinne heimtückisch töten wollen, um möglichst lange hinter Gitter zu kommen. Diese Bitte möge die Kammer dem Angeklagten erfüllen. Außerdem beantragte er ein Schmerzensgeld von 40.000 Euro für seine Mandantin, was der Angeklagte bereits akzeptiert hat.

Verteidigerin beantragt unter zehn Jahre Haft

Die Verteidigerin wies daraufhin, dass der 41-Jährige bis zur Tat ein bei Schülern und Kollegen allseits beliebter und geschätzter Schulleiter gewesen sei. „Jeder fragt sich kopfschüttelnd, wie die Tat zu seiner Biografie passt.“ Nach dem Stich habe er sich sofort von der Frau entfernt und passiv auf seine Festnahme gewartet. Wie auch der psychiatrische Gutachter gehe sie nicht davon aus, dass er erneut jemanden mit einem Messer angreifen würde. „Auch er hat eine zweite Chance verdient.“ Sie beantragte eine Strafe im „hohen einstelligen Bereich“. Der Angeklagte selbst bat in seinem letzten Wort die angegriffene Frau um Entschuldigung – und die Kammer um Milde. Er wolle sich im Gefängnis beruflich umorientieren und daran arbeiten, das Schmerzensgeld und seine Schulden zu bezahlen. Das Urteil wird für 14 Uhr erwartet (später mehr auf www.tagblatt.de).

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Erstellt:
09.02.2024, 11:39 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 36sec
zuletzt aktualisiert: 09.02.2024, 11:39 Uhr

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