Musiktage in Donaueschingen

Merkwürdig, widerborstig und auch virtuos

Donaueschingen feiert mit Uraufführungen: Ein Denkmal für George Floyd und kuriose Wackelkontakte.

16.10.2021

Von Jürgen Kanold

 „Abgefackelte Wackelkontakte“: Mark Lorenz Kysala am No-Input-Mixing-Board. Foto: Astrid Karger/SWR

„Abgefackelte Wackelkontakte“: Mark Lorenz Kysala am No-Input-Mixing-Board. Foto: Astrid Karger/SWR

Donaueschingen. „Sehr merkwürdige Darbietung“, hatte Fürst Max Egon II. zu Fürstenberg nach dem ersten Konzert in sein Tagebuch notiert. So kann es einem oft gehen bei den Donaueschinger Musiktagen, das Verstörende ist ja gewissermaßen ihre Grundeigenschaft, und 100 Jahre später geriet der Festakt zum Jubiläum des ältesten und weltberühmtesten Festivals für Neue Musik auch seltsam: aber eher im Sinne von Alltäglichkeit.

Kunststaatssekretärin Petra Olschowski schaute vorbei, Vertreterinnen und Vertreter der Veranstalter und Förderer grüßten oder antworteten auf Fragen von SWR-Moderator Markus Brock, und als Laudatorin hielt Schriftstellerin Mara Genschel eine Flüster-Performance und erzählte von Donaueschingen-Erlebnissen: „gepaart mit Zeitnot und leichter Besoffenheit“. Der Festakt freilich verlief völlig trocken.

Keine großen feierlichen Worte also: nach vorne hören, schnell zu den Uraufführungen – was ja für ein solches Festival eine sympathische Haltung ist. Das Quatuor Diotima also spielte zunächst mitreißend den ersten Satz, „lebhaft und sehr energisch“, aus jenem Streichquartett op. 16 von Paul Hindemith, mit dem 1921 in Donaueschingen alles begonnen hatte, und widmete sich dann der Uraufführung an eines ersten von zahlreichen Kompositionsaufträgen des Südwestrundfunks: „Transnatural#2: Life-Like 3D® Ocean Series“ für Streichquartett und Elektronik von Mikolaj Laskowski: ein Rauschen, ein Blubbern, ein Kratzen. Ein Untergang – schöne Zukunft.

Sehr politisch aktuell das nächste Konzert, einen Saal weiter in den Donauhallen, die Uraufführung von „Unhistoric Acts“ von Chaya Czernowin für ein Streichquartett (Jack Quartet) und das SWR-Vokalensemble (Dirigent: Yuval Weinberg): ein Gedenken an den von einem weißen Polizisten ermordeten George Floyd, ein musikalischer Grabstein. Fein gearbeitet, theatralisch, absehbar: brutale Streichquartett-Attacke, geradezu realistisches Sirenengeheul, geräuschvolle Emotionen im Chor der 24 Stimmen, fast stille Fassungslosigkeit wie Wut, und immer wieder ein verstörendes Atmen, das am Ende einsam aussetzt.

Tönendes Comic-Geblubber

Und weiter in die Baar-Sporthalle zum ersten Konzert des SWR-Symphonieorchesters, unter Leitung von Brad Lubman – die nächsten drei Uraufführungen. Annesley Black bot für ihr neues Werk „Abgefackelte Wackelkontakte“ zwei ungewöhnliche Soloinstrumente auf: ein Lupofon aus der Oboen-Familie mit riesenhaftem Tonumfang, das wie eine Ente im Stimmbruch klingt. Und das „No-Input-Mixing-Board“: ein Mischpult, dessen Eingänge mit den Ausgängen verbunden sind, gespielte Rückkopplungen, als ob jemand am Radio Kurzwellensalat erzeugte, kombiniert mit tönendem Comic-Blabla. Sehr lustig, mit Drive.

Maja S. K. Ratkje wiederum überraschte mit einem fast schon irritierend sonnigen, neoimpressionistischen Konzertheldenstück für Posaune (Top-Solist: Stephen Menotti) namens „Considering Icarus“. Und Beat Furrer zeigte mit seinen Orchesterskizzen „Tableaux I-III“ die ganze Faszination zeitgenössischer Instrumentationskunst auf. Widerborstig, aber auch virtuos. Nicht wirklich merk-, eher denkwürdig. Jürgen Kanold

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Erstellt:
16.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 16.10.2021, 06:00 Uhr

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