Reutlingen

Cannabis-Legalisierung: Das sagt Reutlinger Hanfhaus-Betreiberin

Hanf soll in Vereinen statt in lizenzierten Geschäften verkauft werden. Wie finden Jugendliche und eine Inhaberin des Hanfhauses die Idee?

18.04.2023

Von Mara Lucas

Symbolbild: Bogdański - Fotolia.com

Symbolbild: Bogdański - Fotolia.com

Die Bundesregierung hat ihr Eckpunkte-Papier zur Legalisierung von Cannabis veröffentlicht. Erwachsene können nicht-profitorientieren Clubs beitreten, in denen Cannabis abgegeben wird. Sind sie unter 21, bekommen sie nur Produkte mit verringertem THC Gehalt, also weniger Wirkstoff. Für Jugendliche ist der Konsum verboten, werden sie erwischt, müssen sie an Präventionsprogrammen teilnehmen. Wie geht es Reutlinger Jugendlichen damit? Eine anonyme Zufallsumfrage – mit überraschend zurückhaltendem Ergebnis.

Die erste Interviewpartnerin, eine 14-Jährige, ist für die Cannabis-Legalisierung ab 17 oder 18. Obwohl sie noch vor einem Jahr mit einem 15-jährigen Dealer zusammen gewesen sei. Gedealt habe der alle Arten von Drogen. Gras, Tilidin und „das mit den Spritzen“. Die Drogen habe er von zwei 17-Jährigen bezogen. Hat er es auch ihr angeboten? „Ja natürlich. Ich habe immer Nein gesagt“, sagt sie.

Ihr Exfreund habe mit Dealen angefangen, um den eigenen Cannabis-Konsum zu finanzieren. Gekifft habe er, um seine Depressionen zu bekämpfen. Zeitweise habe er sich besser gefühlt, aber nie dauerhaft. Irgendwann habe er alles genommen, was er einwerfen könne, behauptet das Mädchen. Seine Stammkunden seien Teenager, doch er habe an alle verkauft. „Einmal auch an einen 11-Jährigen.“ Wegen seines Drogenhandels habe sie sich getrennt und den Kontakt abgebrochen.

Wer jetzt als Jugendlicher Gras wolle, bekomme es. Und gerate dabei vielleicht auf dem Schwarzmarkt mit harten Drogen in Kontakt. Ihr gefällt die Idee mit den Clubs, da darüber der Konsum geregelter sei. Die 14-Jährige betont mehrfach, Cannabis mache süchtig und das Gehirn könne sich nicht richtig entwickeln. Dennoch will sie es ausprobieren, wenn sie 18 sei – und der Joint bis dahin legal.

Ihre Freundin findet, „nicht jeder sollte kiffen. Es ist ungesund.“ Deswegen sei es gut, dass es nicht an Jugendliche abgegeben werde. Wenn es legal sei, würden es mehr Leute ausprobieren, fürchtet sie. Solle Cannabis dann für alle verboten werden? „Erwachsene könnten tun, was sie wollen.“ Sie schlägt vor, Cannabis wie Zigaretten zu behandeln: Im Supermarkt in kleinen Mengen an Erwachsene verkaufen.

Ähnlich sieht das ein 16-jähriger Realschüler. In der Schule und in Gesprächen mit der Familie habe er über die Legalisierung gesprochen. „Es ist interessant, verschiedene Meinungen zu hören. Ich bin in der Mitte.“ Sorgen müsse man sich um Kinder machen, die noch in der Entwicklung seien. Wenn Eltern nach der Legalisierung Cannabis rauchten, werde das vielleicht verharmlost. Er hat noch nie einen Joint geraucht, doch überlegt, es legal auszuprobieren, wenn er 18 sei. „Es ist wie mit der Zigarette, die Menge macht das Gift“.

Eine 19-Jährige sieht das kritisch. „Ich verstehe Menschen nicht, die Drogen nehmen wollen.“ Ein paar Klassenkameraden hätten Gras geraucht – ungefähr der Hälfte von ihnen sei das nicht gut bekommen. Dennoch hätten sie nicht damit aufgehört. „Ich würde das nie probieren.“

Keine Freude im Hanfhaus

Stefanie Giesel ist Mitinhaberin des Reutlinger Hanfhauses. Ihr Laden hat sich auf den Verkauf von Produkten aus Nutzhanf und Rauchzubehör spezialisiert. Die Reutlingerin ist unzufrieden mit dem Eckpunktepapier der Bundesregierung: „Es ist noch sehr, sehr schwammig. Ich finde es verwunderlich, dass sie jetzt auf Social Clubs setzen, nachdem eineinhalb Jahre lizenzierte Fachgeschäfte im Gespräch waren.“ Sie fragt sich auch, wie einfach die Clubs zustande kämen: „Man braucht sehr engagierte Vereinsbetreiber, da vielfältige Auflagen geplant sind.“

Hoffnung, dass Cannabis über den Ladentisch des Hanfhauses geht, habe sie aber nicht gehabt: Denn ihnen sei der Zutritt nur ab 18 nicht recht – und in der Nähe seien Schulen (siehe Infobox): Außerdem fehlten konkrete Informationen: „Es gab keine Definition, was ein lizenziertes Fachgeschäft sein soll oder wie man eine Lizenz bekommt.“ Deswegen habe sie noch nicht in die Richtung geplant.

Am Eckpunktepapier gefällt Giesel, dass der nicht-kommerzielle Nutzen gestärkt werde – auch mit Eigenanbau. „Ob die Anzahl der Pflanzen das richtige Maß ist, darüber lässt sich streiten.“ Sonst sei viel überreguliert. Die Eckpunkte des Hanfverbands seien besser. Sie stünden für: „konkrete, umsetzbare Maßnahmen, Regulierung, aber nicht Überregulierung und klare Regeln für den Führerschein.“ Der Hanfverband schlägt 10 Nanogramm im Vollblut zur Definition einer Drogenfahrt vor, das entspräche 0,5 Promille. Außerdem ist er für Schulungen der Mitarbeiter des Fachgeschäfts, damit die Nutzer beraten. „Aufklärung ist das Wichtigste. Ich möchte Cannabis nicht verharmlosen, aber durch die Illegalität ist sachliche Auseinandersetzung schwierig“, sagt die 45-Jährige. Wichtig sei, dass Konsumenten wüssten, wie bei einzelnen Sorten das Verhältnis von berauschendem THC zum eher entspannenden CBD sei. Sie kenne Konsumenten, die mit der Zeit psychische Probleme entwickelten: „Ist aber immer die Frage, ob das nur an dem Kiffen liegt.“ Beim Jugendschutz sei es wie beim Alkohol: Ältere Freunde hebelten teilweise Altersgrenzen aus. Vor dem Hintergrund des Cannabis-Alkohol-Vergleichs wundert sich Giesel, dass in den Cannabis-Clubs nicht konsumiert werden darf. „Im Vereinsheim nimmt man sein Bier auch nicht mit nach Hause.“

Das gilt für Besitz, Eigenanbau und Jugendliche.

Erwachsene dürfen Eigenanbau mit drei Pflanzen daheim betreiben, die müssen dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen entzogen sein. 25 Gramm Cannabis dürfen Erwachsene besitzen und konsumieren. Allerdings darf das nicht in der Nähe von Schulen und Kitas geschehen. Eine zweite Säule des Eckpunktepapiers sieht den Verkauf in Fachgeschäften vor. Für die gilt Zutritt ab 18 und ein Mindestabstand zu Kindergärten und Schulen. Zunächst wird das in Modellregionen getestet und wissenschaftlich begleitet.

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Erstellt:
18.04.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 18.04.2023, 01:00 Uhr

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