Politik · Europa

Leitartikel: Unruhe in Paris

22.09.2021

Von Peter Heusch

Paris. Wer folgt auf Angela Merkel im Kanzleramt? Dass diese Frage die Franzosen umtreibt, liegt auf der Hand. Schließlich kann ihnen nicht egal sein, wer in ihrem wichtigsten Partner- und Nachbarland künftig den Ton vorgibt. Entsprechend aufmerksam wurden die Besuche von Olaf Scholz und Armin Laschet, den beiden aussichtsreichsten Kandidaten für Merkels Nachfolge, bei Präsident Emmanuel Macron verfolgt.

Vorstellen mussten sie sich freilich nicht. Der Sozialdemokrat ist als Vizekanzler und Finanzminister in Paris ebenso eine bekannte Größe wie sein christdemokratischer Rivale als NRW-Ministerpräsident und deutsch-französischer Kulturbeauftragter. Und natürlich hat sich Frankreichs Präsident gehütet, irgendeine Präferenz erkennen zu lassen. Beide Politiker, so ließ der Elysée-Palast höchstdiplomatisch durchsickern, werden als „Macron-kompatibel“ angesehen, weil sie in dem Ruf stehen, überzeugte Proeuropäer zu sein und großen Wert auf die deutsch-französische Freundschaft zu legen.

Scholz, der ein ausgezeichnetes Verhältnis mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire unterhält, hat als einer der Architekten des milliardenschweren Brüsseler Corona-Hilfsfond viele Pluspunkte gesammelt. Laschet seinerseits verkörpert in dem seit dem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan besonders wichtigen Sicherheits- und Verteidigungsbereich die größere Kontinuität zur Ära Merkel. Zudem steht der CDU-Chef als Rheinländer der französischen Mentalität und Kultur näher als der „Preuße“ Scholz.

Macron dürfte also sowohl mit einem Kanzler Scholz wie mit einem Kanzler Laschet das zuletzt besonders reibungslose Zusammenspiel zwischen Paris und Berlin fortführen. Aber trotz dieser Entwarnung herrscht in Paris eine gewisse Unruhe. Sorge bereitet vor allem die Perspektive einer Neuauflage der siebenmonatigen Koalitionsverhandlungen nach der vorigen Bundestagswahl.

Für Macron, der im Januar für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und seine ehrgeizigen EU-Reformpläne vorantreiben will, ist eine noch nicht stehende und somit handlungsunfähige Bundesregierung ein wahres Alptraumszenario.

Daran, dass nach dem Abtritt Angela Merkels die europäische Führungsrolle allein Macron zufällt, kann es kaum Zweifel geben. Trotzdem wird der Präsident ohne die tatkräftige Unterstützung eines starken deutschen Regierungschefs nur wenig bewegen können.

Aber links des Rheins fragt man sich eben auch, wie groß das Berliner Gewicht auf internationalem Parkett in den Anfangsmonaten einer neuen Kanzlerschaft sein wird. Denn über den Einfluss und das Renommee Merkels wird ihr Nachfolger aus dem Stand heraus ebenso wenig verfügen wie über die enorme Popularität, die sich die scheidende Bundeskanzlerin im Ausland erworben hat. Das gilt insbesondere für Frankreich, wo Merkel auf den beinahe unglaublichen Zustimmungswert von 75 Prozent kommt.

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Erstellt:
22.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2021, 06:00 Uhr

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