Ort des Austauschs

Kunstort Eleven wird Zuflucht und Arbeitsplatz auf Zeit für kunstschaffende Flüchtlinge

Der Börstinger Kunstort Eleven kooperiert bei einem neuen Projekt mit der Universität Tübingen und dem Landkreis. Zwei Studentinnen begleiten vier kunstschaffende Flüchtlinge, die als „Artists in Residence“ einen Monat im Kunsthaus in der ehemaligen Schule leben und arbeiten.

02.07.2016

Von Dunja Bernhard

Angelika Maier, Pauline Menghini und Monika Golla (von links) begleiten die Kunst von vier syrischen Flüchtlingen. Bild: Bernhard

Angelika Maier, Pauline Menghini und Monika Golla (von links) begleiten die Kunst von vier syrischen Flüchtlingen. Bild: Bernhard

Börstingen. „Wir sind jetzt eine Außenstelle der Tübinger Universität“, scherzt Monika Golla, Klangkünstlerin und zusammen mit Frank Fierke Mitbegründerin des Kunstorts Eleven. Die Idee der „Artists in Residence“ gibt es im Börstinger Kunsthaus schon länger. So nahm der Videokünstler Jens Barth im Frühjahr eine dreimonatige Auszeit in dem Starzacher Teilort, um sich nur seinen Installationen zu widmen (das TAGBLATT berichtete).

Neu an dem jetzigen Projekt ist, dass fünf Künstler gleichzeitig Quartier in Börstingen beziehen. Vier von ihnen sind syrische Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland kamen. Als Übersetzer kommt der Maler Imed Ben Tahar dazu. Er ist vor 20 Jahren aus Tunesien nach Deutschland geflohen. Die syrischen Flüchtlinge sollen in Börstingen Raum und Zeit bekommen, sich ganz ihrer Kunst, die sie schon in ihrem Heimatland ausübten, zu widmen. Das Künstlerhaus soll für sie zu einem Ort der Ruhe und des Austauschs werden. Durch ihren Aufenthalt in Börstingen werden sie Teil des (Künstler-)Netzwerkes, das Golla und Fierke knüpfen. „Zugleich werden sie Teil des Kunstorts Eleven“, sagt Golla.

Die Idee zu dem Projekt „Art is 2 Residence – 4 Refugees“ hatte Monika Golla. Sie stellte das Konzept Wolfgang Sannwald vor. Er ist Kreisarchivar und Kulturverantwortlicher des Landkreises und zudem Dozent am Tübinger Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Sannwald nahm das Projekt in das Seminar „Migration und Diversity-Management in der Region“ auf. Dort stellte Golla es den Studierenden vor. Angelika Maier und Pauline Menghini ließen sich begeistern. „Sie haben viel Mut“, sagt Golla. Das Projekt sei nicht gradlinig und der Ausgang ungewiss. „So ist das in Kunst und Kultur.“

Schon die Kontaktaufnahme zu den syrischen Flüchtlingen verlief nicht über die üblichen Kanäle, erzählt Golla. „Per E-Mail hat es nicht geklappt.“ Die Flüchtlinge verstanden nicht, worum es ging. Einige trauten sich nicht zu kommen oder hatten zu viele andere Sorgen. Auch der Besuch eines Deutschkurses war ein Hindernis. „Das hatten wir vorher nicht bedacht“, sagt Golla. Persönliche Kontakte und Gespräche seien nötig gewesen.

Syrische Künstler treffen auf holländische Autorin

Heute werden Tarek, Mohamat Tamara und Aliaa in das Börstinger Schulhaus einziehen. Sie arbeiteten als Schauspieler, Tänzer, Fotograf und Malerin. Zeitgleich mit ihnen wird die holländische Schriftstellerin Heidi Smit im Künstlerhaus Quartier nehmen. Sie möchte in dem kleinen Ort ihre erste Novelle schreiben. Allen Residencies steht eine Küche zur Verfügung, wo sie gemeinsam kochen können. Golla hofft auf regen Austausch untereinander.

Menghini wird den Aufenthalt der Flüchtlinge im Künstlerhaus wissenschaftlich begleiten. Dabei interessiert sie etwa, wie Fluchterfahrungen die Kunstverändern, was Flüchtlinge motiviert, Kunst zu machen und ob die Kunst für die Flüchtlinge eine Fluchtstrategie vor den Fluchterlebnissen ist. Es soll vor allem eine teilnehmende Beobachtung sein. Sie wird mit den Künstler/innen aber auch Interviews führen.

Angelika Maiers Interesse gilt dem Zusammenwirken dreier Randgruppen – Flüchtlinge, Künstler, kleine Gemeinde. Jede Randgruppe habe für sich mit ganz eigenen Schwierigkeiten und Vorurteilen zu kämpfen. Sie möchte untersuchen, wie sich diese Stereotype auf die Zusammenarbeit der einzelnen Parteien auswirken, welche Vorteile sie aus ihrer Situation ziehen und wie daraus etwas Produktives und Positives entstehen kann. Es gehe darum, Theorie und Praxis zusammen zu bringen und neue Perspektiven auf ein „gar nicht so neues Thema“ zu werfen.

Das Projekt ist zunächst auf einen Monat beschränkt. Der Landkreis Tübingen übernimmt die Nebenkosten. „Es wäre gut, wenn das Projekt weitergeht“, sagt Golla.

Kunst für alle

Am Freitag, 15. Juli, stellen die kunstschaffenden Flüchtlinge sich und ihre Arbeit ab 20 Uhr auf dem Roten Sofa vor. Gäste werden wieder gebeten eine Kleinigkeit zum gemeinsamen Büfett beizutragen. Am Samstag, 16. Juli, ist „Tag der offenen Tür“ im Kunstort Eleven. Gemeinsam mit Gästen aus Starzach, der weiteren Umgebung und aus Flüchtlingsunterkünften wollen die Künstler ein Fest feiern und sich austauschen. Am 21. und 26. Juli zeigen die Artists in Residence in der Glashalle im Landratsamt ihre Arbeiten. Dort präsentieren auch die beiden EKW-Studentinnen, was sie erarbeitet haben.

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Erstellt:
02.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 02.07.2016, 01:00 Uhr

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