Leitartikel zur Altersversorgung

Die Finanzierung der Rente und die Kunst des Machbaren

Eigentlich ist die Altersversorgung ein brennendes Thema. Die Hälfte der Wähler ist entweder schon im Rentenalter oder nicht so weit entfernt.

18.09.2021

Von Dieter Keller

Auch Jüngere machen sich Sorgen, ob die Rente noch zu finanzieren ist. Doch im Wahlkampf spielt sie eine erstaunlich kleine Rolle. Zum Glück. Denn Politiker versprechen gerne viel ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll.

Dabei wissen alle: Es sind grundlegende Reformen nötig, um die Rente und die private Vorsorge zukunftsfest zu machen. Die Babyboomer in Deutschland gehen in den nächsten Jahren in Rente, und viel weniger junge Leute werden berufstätig. Auch gezielte Zuwanderung kann das höchstens zum Teil ausgleichen. Die Menschen werden immer älter, wollen aber möglichst früh in Rente gehen. Das alles ist nicht unter einen Hut zu bekommen.

Doch bei realistischen Reformkonzepten ist auf allen Seiten Fehlanzeige. Olaf Scholz redet die Probleme klein, indem er behauptet, die düsteren Prognosen der Wissenschaftler hätten sich nicht bewahrheitet. Tatsächlich liegt das an deutlichen Einschnitten wie der Rente mit 67, die Franz Müntefering beherzt durchsetzte, als er sah, dass sonst die Beiträge aus dem Ruder laufen. Dieser Sozialdemokrat kannte noch die Grundrechenarten.

Scholz und andere dagegen versprechen gleichzeitig ein hohes Rentenniveau, stabile Rentenbeiträge und keine weitere Erhöhung des Rentenalters. Dann ist absehbar, dass der Bundeszuschuss explodiert. Ein Viertel des Bundesetats macht er heute schon aus. Nicht weil der Staat den Senioren großzügig helfen will, sondern weil die Politik den Rentenkassen versicherungsfremde Leistungen aufgehalst hat. Doch es ist unrealistisch, den Staatszuschuss dramatisch zu erhöhen. Schon weil das auf Kosten der Zukunftsinvestitionen ginge.

Es bringt auch wenig, neue Beitragszahler zu suchen. Eine verpflichtende Altersversorgung für Selbstständige ist zwar überfällig, und die aktuelle Koalition hat versagt, weil sie nicht längst eingeführt wurde. Aber nicht, um Einnahmelöcher zu stopfen. Und Beamte in die gesetzliche Rente einzahlen zu lassen, wäre zwar populär, aber hoch kompliziert und lange Zeit teuer.

Mehr private Vorsorge ist dringend nötig, um im Alter nicht arm dazustehen. Doch bei der überfälligen Reform der Riester-Rente hat Schwarz-Rot gekniffen. Andere Konzepte klingen schön, sind aber unrealistisch. Die FDP will einen Teil des Rentenbeitrags für eine kapitalgedeckte Altersversorgung abzweigen. Sie sagt aber nicht, wie sie dann die heutigen Renten bezahlen will. Die Union möchte sogar schon Neugeborenen Geld für die Altersvorsorge zuschießen. Dabei sind nicht die Renten 2090 das Problem, sondern in den nächsten zwei Jahrzehnten.

Rentenpolitik ist kein Wunschkonzert, sondern die Kunst des Machbaren. Realistisch ist nur, die steigenden Lasten auf alle Schultern zu verteilen: Beitragszahler, Rentner und Staat, also Gesellschaft. Das zu lösen, bringt nicht Ruhm und Ehre. Aber es ist überfällig.

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Erstellt:
18.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 18sec
zuletzt aktualisiert: 18.09.2021, 06:00 Uhr

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