Interview

CDU-Fraktionschef Hagel: „Jetzt zählt Nervenstärke“

CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel über Bauhemmnisse, Bildungsinvestitionen und das Ansinnen seiner Partei, bei der Bundestagswahl im Südwesten alle Direktmandate zu gewinnen.

26.08.2021

Von ROLAND MUSCHEL

„Wahlkampf ist kein Ponyhof“: CDU-Fraktionschef Manuel Hagel.   Foto: Foto:Christoph Schmidt/dpa

„Wahlkampf ist kein Ponyhof“: CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. Foto: Foto:Christoph Schmidt/dpa

Stuttgart. Die Einrichtung seines Büros hat CDU-Fraktionschef Manuel Hagel vom Vorgänger übernommen. Mit seinem iPad und einem Bild setzt der 33-Jährige aber auch erste eigene Akzente. Das Foto aus einer Kirche in seiner Heimatstadt Ehingen zeigt, wie durch ein Fenster Licht auf ein Kreuz fällt, das auf einem Holzaltar steht. Das Gespräch dreht sich um Bundestagswahl, Bauen und Bildung – und die Bedeutung des christlichen Menschenbilds.

Als die CDU Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten gekürt hat, lag die Union in Umfragen weit vorn. Nun wird sie hinter der SPD notiert. Wie ist so ein Absturz möglich?

Manuel Hagel: Es wird ein extrem knappes Rennen. Wahlkampf ist eben nicht nur Ponyhof. Es geht nicht um die Frage, mit wem regiert die Union, sondern es geht um die Frage, regiert die Union? Es ist wie beim Elfmeterschießen im Fußball: Jetzt zählt Nervenstärke. Es geht nicht um Ausgleich, sondern darum, ein Tor mehr zu machen als die anderen. Einige versuchen, die Union abzuschreiben. Aber wir sind da, wir kämpfen. Die Wahlen werden immer kurzfristiger in den letzten Wochen entschieden, die noch vor uns liegen. Deshalb gilt es jetzt, die Ärmel hochzukrempeln.

An welchen Hebeln kann die CDU jetzt noch drehen?

Die nächste Bundestagswahl ist nicht irgendein Farbenspiel, sondern eine Richtungswahl. Eine unionsgeführte Regierung ist in diesen Zeiten der Veränderung kein Experiment, sondern eine Garantie. Sie ist eine Garantie der Stabilität. Es wird darum gehen, wie wir in die 2020er Jahre gehen. Wir machen klar, dass es in der Haltung und im Menschenbild einen Unterschied macht, ob die Esken- und Kühnert-SPD dieses Land anführt – oder der Christdemokrat Laschet mit einem liberalen, freiheitlichen und christlichen Bild vom Menschen. Ohne Freiheit in Verantwortung wird Gesellschaft nicht gelingen.

Was muss die Südwest-CDU beisteuern, damit die Union gewinnt?

Unser Ziel ist es, der Bundes-CDU möglichst viel Rückenwind aus dem Südwesten zu geben. Wir wollen alle 38 Wahlkreise und damit alle Direktmandate gewinnen. Und wir wollen bei den Zweitstimmen im Land über 30 Prozent holen und damit stärkste Kraft bleiben. In diesen Zeiten braucht es klare Linien und klare Führung.

In Stuttgart regiert die CDU wieder als Juniorpartner mit den Grünen. Ist Grün-Schwarz oder Schwarz-Grün ein Modell für den Bund?

Vor einer Wahl sollte jede Partei für sich werben und nicht für irgendwelche Koalitionen. Nur so sind Parteien unterscheidbar, und das finde ich extrem wichtig. Ich habe nach der Landtagswahl gesagt, dass das Verbinden von Ökonomie und Ökologie die zentrale Aufgabe der 2020er Jahre sein wird. Wir müssen der Welt beweisen, dass Umwelt- und Klimaschutz sowie Hochtechnologie und Innovation nur miteinander funktionieren. Unter der Überschrift Klimaland Baden-Württemberg hat sich diese Koalition auf den Weg gemacht.

Dann unterstützen Sie mit Blick aufs Klima die Idee der Bundes-Grünen, den Kauf eines Lastenfahrrads mit 1000 Euro zu subventionieren?

Ich halte von der Förderung von Lastenrädern nichts. Das hätte einen weiteren Milliardenbetrag aus dem Bundeshaushalt zur Folge, und das in einer Zeit, wo wir die Corona-Folgen bewältigen und die Wirtschaft stabilisieren müssen. Das Freiheitsversprechen der Union ist immer auch ein Mobilitätsversprechen. Mit dem goldenen Zügel, mit Dirigismus kommen wir nicht voran. Unser Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau von Infrastruktur, von Radwegen. Dann finden die Baden-Württemberger auch ohne Subventionen das Fahrrad, das zu ihnen passt.

Die Politik fördert auch die Autoindustrie.

Die Autoindustrie befindet sich nicht mehr in einer Transformation, sondern in einer Disruption. Deshalb ist es nicht die Zeit der Ideologen, sondern die Zeit der Ingenieure. Baden-Württemberg steht vor der Frage, ob das Land weiter intellektueller Taktgeber und Produktionsstandort sein kann. Bei der Automobilindustrie ist für uns die Technologieoffenheit entscheidend. Wir sagen: Es gibt nicht die eine, allein selig machende Lösung. Für Kurzstrecken ist der Elektromotor absolut geeignet. Wir wollen aber auch alternative Formen für den Verbrennungsmotor finden. Deshalb legen wir einen Schwerpunkt auf E-Fuels und auf Wasserstoff und versuchen so, Wohlstandsperspektiven zu schaffen. Wir fördern Innovationen – und nicht, wie Grüne beim Lastenfahrrad, bestehende Produkte, die schon einen Markt haben. Wir geben alles, dass das Auto der Zukunft in Baden-Württemberg erforscht und gebaut wird. Nur so können wir Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Land erhalten.

Zusätzliche Staatssekretäre, ein zusätzliches Ministerium: An der Aufblähung der Regierung entzündet sich viel Kritik. Wäre da weniger nicht mehr gewesen?

In einer Zeit, wo sich internationale Beziehungen, unsere Gesellschaft und das Zusammenleben, unsere Art zu wirtschaften und die politischen Rahmenbedingungen ändern, muss eine Landesregierung darauf Antworten geben. Wie es 2011 auf Betreiben der SPD erstmals ein Integrationsministerium gab, gibt es nun erstmals ein eigenes Wohnungsbauministerium. Wir sind überzeugt, dass Wohnen eine zentrale Zukunftsfrage für Baden-Württemberg ist. Hier bestaunen wir eben nicht nur die Herausforderung, sondern nehmen sie an und werden bezahlbaren Wohnraum für die Bürger dieses Landes in Stadt und Land schaffen.

Was heißt für die Beratungen für den Haushalt 2022?

Wir haben uns für den Haushalt 2022 bereits auf Eckpunkte geeinigt, die keine neuen Schulden vorsehen. Im Bereich Wohnen geht es darum, Ko-Finanzierungen von Bundesprogrammen zu garantieren und essenzielle Förderungen wie die Städtebauförderung in der derzeitigen Höhe zu halten. Gleichzeitig wollen wir die Landesbauordnung überarbeiten, Bauhemmnisse beseitigen und uns an die Arbeit für einen neuen Landesentwicklungsplan machen.

Mit welcher Maßgabe?

Wir haben drei Aufgaben. Erstens: Nachverdichtung innerorts. In städtischen Regionen bleiben unbebaute Grundstücke oft als eine Art Geldanlage liegen. Deshalb wollen wir die Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke einführen. Wir haben im ländlichen Raum oft das Problem, dass der landwirtschaftliche Bestandsschutz auch für Ställe gilt, die seit 50 Jahren nicht genutzt werden und so Neubauten verhindert werden. Auch das wollen wir ändern.

Was noch?

Aufgabe zwei: Beim Bauen in die Höhe steht oft die Genehmigungspraxis im Weg. Was hindert uns, auf Supermärkten Wohnungen zu bauen? Da müssen wir ebenfalls ran. Und drittens müssen wir an Ortsrändern flächenschonend neue Baugebiete ausweisen. Mein Vorschlag lautet: Wo klimaneutral gebaut wird, soll es bei der Bebauung neuer Flächen am Ortsrand mehr Freiheiten geben.

Nicht nur beim Wohnen muss sich was tun. Schulen und Kitas gehen auf dem Zahnfleisch.

Wir werden verhindern, dass es eine Generation Corona gibt. Wir dürfen hier vor unseren Kindern nicht versagen. Deshalb sind weite Teile des Etats der Kultusministerin als Schonbereich definiert, die 2022 wirksamen Einsparauflagen gelten für sie nicht. Im Gegenteil: Wir werden kräftig in Bildung investieren, wie auch in die Duale Ausbildung und die Universitätslandschaft. So haben wir beispielsweise auch zehn neue Professuren für Künstliche Intelligenz geschaffen.

Als die CDU noch den Regierungschef gestellt hat, galt der CDU-Fraktionschef als erster Anwärter auf die Nachfolge. Und heute?

Da hat die CDU alle Ambitionen, stärkste Kraft zu werden. Aber Personaldebatten interessieren niemanden, schon gar nicht wenige Monate nach der Landtagswahl. Wir arbeiten jetzt hart daran, dass zunächst der nächste Bundeskanzler wieder von der CDU gestellt wird.

Zum Artikel

Erstellt:
26.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 35sec
zuletzt aktualisiert: 26.08.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!