Jetzt mal mit Gefühl
Leitartikel zur Europaliebe der Kanzlerkandidaten
Als „etwas Besonderes“ wird die Begegnung angekündigt. Dabei sollten Treffen zwischen dem französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin im sechsten Jahrzehnt der Länderfreundschaft eigentlich so etwas wie Routine sein.
Corona allerdings beschert Emmanuel Macron am Freitag nun die Ehre, der erste auswärtige Gast von Angela Merkel in diesem Jahr zu sein. Das trifft sich gut, denn ein bisschen Glanz und Gloria kann die Beziehung zwischen den beiden gut vertragen.
Zu „MerCron“ oder „MaKel“ sind sie im Laufe ihrer gemeinsamen Jahre nie verschmolzen, auch wenn sie unter dem Druck der Pandemie den Weg für eine wirkliche europäische Neuerung bereiteten: die gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU als gemeinsame Antwort auf die Corona-Krise. Getrennt hat sie dennoch einiges, auch das Temperament: drüben der Stürmische, hüben die Vorsichtige. Das Thema Europa war bei Merkel stets mehr im Kopf als im Bauch verortet, sie steht damit auch für die Nach-Kohl- und die Osterweiterungs-Generation, die die EU vor allem als Freiheits- und Wohlstandsinstrument und nicht mehr so sehr als Friedensprojekt verstand.
Womöglich aber wird in Berlin demnächst wieder eine etwas andere Europapolitik gemacht, vielleicht sogar eine mit mehr Gefühl. Anlauf für das Kanzleramt nehmen ein Politiker und eine Politikerin, die für eine Art europäischen Idealismus 2.0 stehen könnten. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet ist bereits dabei, seine Aachener Herkunft zu einer EU-Erzählung auszubauen, wohl wissend, dass der Nachbar aus Würselen und SPD-Kollege Martin Schulz damit nicht gerade überwältigenden Erfolg hatte. Gleichwohl: Dass Laschet ein Herzenseuropäer ist, wird wohl niemand bestreiten. Und auch Annalena Baerbock nimmt man die bei den Grünen ohnehin stark verankerte Leidenschaft für Europa ab.
Das könnte auch daran liegen, dass Baerbock und Laschet eine Erfahrung teilen, die ein Novum wäre für einen deutschen Regierungschef: aktive Europa-Jahre. Laschet war um die Jahrtausendwende für eine Legislaturperiode Mitglied des EU-Parlaments, Baerbock enge Mitarbeiterin einer Europa-Abgeordneten der Grünen.
Sie haben also beide die EU-geschwängerte Luft in Straßburg und Brüssel geatmet, haben den Zauber und den Wahnsinn des Gebildes Europa aus nächster Nähe erlebt. Und das aus der Perspektive des EU-Parlaments, einer Institution, deren Bedeutung alle fünf Jahre pünktlich zu den Europawahlen beschworen, danach aber ebenso zuverlässig wieder vergessen wird. Was auch daran liegt, dass die Staats- und Regierungschefs sich schon von der EU-Kommission nicht gerne reinreden lassen, noch viel weniger aber von dem bunten Haufen der über 700 Abgeordneten. Man darf also gespannt sein, wie eine Kanzlerin Baerbock oder ein Kanzler Laschet künftig mit ihren Ex-Kollegen umspringen würden. In jedem Fall aber ist Europa Teil ihrer politischen Biografie. Und das ist nicht die schlechteste Voraussetzung für eine künftige deutsche EU-Politik.