Wallander erinnert sich

In drei Wochen wird die Mankell-Krimioper „W – The Truth Beyond“ uraufgeführt

Am Freitag, 15. Juli, wird „W – The Truth Beyond“, eine Oper nach Henning Mankells Wallander-Krimis, im Uni-Festsaal uraufgeführt. Bei einer Pressekonferenz waren schon Kostproben zu hören.

24.06.2016

Von Achim Stricker

Bild: Lukas Kohmann und Vincent Schulz

Bild: Lukas Kohmann und Vincent Schulz

Tübingen. Kult-Kommissar Kurt Wallander steht kurz vor der Pensionierung. Doch ausgerechnet an seinem letzten Arbeitstag erscheint ein Mann und behauptet, vor 15 Jahren unschuldig verurteilt worden zu sein – wegen angeblichen Mordes an seinem Vater Anders Jonsson. Obwohl der Fall längst abgeschlossen ist, rollt Wallander ihn aus seiner Erinnerung heraus noch einmal auf. Ein Anrennen gegen das Vergessen und Wallanders fortschreitende Alzheimer-Erkrankung.

Klas Abrahamsson ist ein Textbuch von ungeheurer Dichte und Brisanz gelungen. Opern-Libretti mit solchen literarischen Qualitäten sind eine Seltenheit. Als Drehbuch-Autor hatte Abrahamsson bereits einen Wallander-Roman fürs Fernsehen adaptiert und 2013 von Mankell die Erlaubnis zur freien Weiterentwicklung der Roman-Figuren bekommen. Nach Mankells Tod 2015 lastete auf Abrahamsson aber auch „die große Verantwortung, in Mankells Geist weiterzuschreiben“, wie er am Dienstag bei der Pressekonferenz in der Neuen Aula erzählt.

Ein in mehrfacher Hinsicht mutiger Text, der sich auch vor gereimten Textzeilen nicht scheut – und das nach Jahrzehnten der Prosa-Opern und des alltagsrealistischen Sprechgesangs. Ein erstaunlich lyrischer Text, der sich ideal zum Vertonen und Singen eignet (gesungen wird die englische Textversion von Ann Henning Jocelyn, mit deutschen Übertiteln). Auch Philipp Amelung ist von der künstlerischen Qualität der Oper überrascht: „Ich hätte nie erwartet, dass das diese Ausmaße annimmt.“

Ein Glücksfall

für die Produktion

Für Fredrik Sixten war der Auftrag ein regelrechtes Erweckungserlebnis, „an dem er gewachsen ist“, berichtet Amelung. Sixten gehört zu den bekanntesten Komponisten Schwedens, wurde unter anderem 2013 für die Hochzeit von Prinzessin Madeleine mit einer Motette beauftragt. Bislang schrieb er fast ausschließlich Kirchenmusik, darunter drei Oratorien und ein Requiem. Mit der gut zweieinhalbstündigen Oper „W – The Truth Beyond“ hat sein Komponieren neue Dimensionen erreicht. Amelung hatte Sixten um eine „gemäßigte Tonsprache“ gebeten, „die möglichst viele Hörer erreicht, auch die Mankell- und Krimi-Fans.“ Herausgekommen sei „eingängige, schöne Musik – im Gegensatz zu anderer zeitgenössischer Avantgarde“ – zwei Akte in zwei kiloschweren Bänden mit kalligraphischem Titelblatt. Sixtens Musik ist tonal verortet, mit deutlichen Dur-Moll-Fixpunkten. Stilistisch angesiedelt an der höchst produktiven Nahtstelle zwischen Im- und Expressionismus, lässt sich manches vielleicht mit Britten oder Barber vergleichen. Leitmotive stehen für einzelne Figuren, Situationen oder emotionale Zustände. In den Fagotten kann man einmal sogar „Polizeisirenen“ hören. Vereinzelt gibt es Anklänge an schwedische Volksmusik. Und in einer Kirchen-Szene zitiert Sixten augenzwinkernd sein eigenes Ave verum.

Ein klaustrophobisches Kammerspiel – es gibt nur sechs Solo-Partien, „was den Kreis der Verdächtigen einengt“, wie Amelung scherzt. Stolze vier der sechs Rollen werden von Studierenden der Musikhochschule Stuttgart gesungen, mit der die Universität Tübingen einen Kooperationsvertrag abgeschlossen hat. Beim Casting zeigte sich allerdings, dass manche Partien für Studierende zu umfangreich und zu schwer sind. Auch der Tübinger Bariton Johannes Fritsche, der bei Prof. Ulrike Sonntag studiert, hat sich lang überlegt, ob er für diese Herausforderung während des Semesters genug Zeit haben würde. „Es ist zudem eine enorme Verantwortung, bei einer Uraufführung eine Figur zu kreieren“ – was nicht oft vorkommt in einer Sängerkarriere. Aber Fritsche hat sich der Aufgabe gestellt und sogar eine tragende Partie übernommen: Seine Figur Anders Jonsson ist zwar das Mordopfer, taucht aber in zahlreichen Rückblenden auf.

Eben weil die Partien schwer und fordernd sind, sprangen zwei Interessenten gleich wieder ab. Da brachte Regisseurin Julia Riegel zwei Profis ins Spiel, frühere Ensemble-Mitglieder des Münchner Gärtnerplatz-Theaters – ein Glücksfall für die Produktion. Thérèse Wincent übernahm die Sopran-Partie der Entwicklungshelferin Christina Berglund, die Geliebte von Anders. Die gebürtige Schwedin steuert manchen Regie-Tipp bei: Typisch schwedisch sei etwa, zu jeder Tageszeit und Gelegenheit Kaffee zu trinken. Seit Skandinavien-Krimis boomen, wird Wincent erschreckend häufig von besorgten Urlaubsplanern gefragt, ob Schweden wirklich so kriminell sei.

Alles gesund

singbar

Wincent hat auch gleich ihren Mann mitgebracht. Der namhafte Tenor Volker Bengl sprang für die Rolle von Christinas Bruder Fredrik ein: „Ich hätte nicht zugesagt, wenn es avantgardistische Geräuschmusik gewesen wäre. Aber es ist alles gesund singbar. Es gibt schon auch dramatisch heftige Stellen wie die Verhörszenen, es wird aber alles gesungen, nie geschrien.“ Manche von Sixtens großen Gesangslinien erinnern Bengl sogar an Puccini.

Seit zwei Wochen arbeitet Regisseurin Julia Riegel an der szenischen Einrichtung im Uni-Festsaal – ein Knochenjob, denn der Saal ist alles andere als geeignet für eine Opernvorstellung. Darum wird auf dem Konzertpodium eine Guckkastenbühne aufgebaut. Weil Abrahamsson die Handlung in dramaturgisch trickreichen Rückblenden erzählt, werden die unterschiedlichen Zeitebenen zur leichteren Orientierung des Publikums per Film auf Leinwand projiziert. Die Filme haben Medienwissenschafts-Studierende im schwedischen Wallander-Tat-Ort Ystad gedreht. Überhaupt sind bei dem interdisziplinären Projekt zahlreiche Studierende auch aus der Musikwissenschaft, Germanistik und Skandinavistik beteiligt. Das Landestheater stellt Requisiten und die technische Ausstattung zur Verfügung. Bis zur Premiere muss noch ein Autowrack beschafft werden.

Eine Herausforderung ist die Uraufführung auch für den Akademischen Chor, der meist als kommentierende Erzählstimme fungiert. Die Chorsätze sind relativ schwer, mit viel Chromatik und ohne begleitende Orchesterstimmen.

Info Die Uraufführung dirigiert Philipp Amelung am 15. Juli um 19.15 Uhr im Uni-Festsaal. Zwei weitere Vorstellungen finden am 16. und 18. August, jeweils um 19.15 Uhr statt. Es musizieren der Akademische Chor und die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Der Stuttgarter Musikhochschul-Absolvent Matias Bocchio singt die Bariton-Partie von Kurt Wallander.

Bilder: Metz

Volker Bengl

Volker Bengl

Thérèse Wincent

Thérèse Wincent

Johannes Fritsche

Johannes Fritsche

Julia Riegel

Julia Riegel

Karl Rjkhoek

Karl Rjkhoek

Philipp Amelung

Philipp Amelung

Klas Abrahamson

Klas Abrahamson

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Erstellt:
24.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 24.06.2016, 01:00 Uhr

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