Keine Urlaubstypen: „Ich bin seine Leitbache“

Eine außergewöhnliche Freundschaft

Dietmar Braun aus dem Landkreis Neu-Ulm und der 200-Kilo-Keiler Moritz sind seit elf Jahren ein Herz und eine Seele. Eine außergewöhnliche Freundschaft.

13.08.2021

Von Birgit Eberle

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Roggenburg. Wenn Dietmar Braun mit seinem Haustier zum Spaziergang aufbricht, braucht er keine Leine. Sein Begleiter bellt nicht und läuft auch nicht davon: Er wiegt 200 Kilo, grunzt und ist ein Keiler. „Wenn ich gestresst bin, holt mich Moritz total runter. Der strahlt so eine Ruhe aus, da geht alles gemütlich“, sagt der 64-jährige Rentner. Durch seine geruhsame Art habe ihm Moritz bestimmt schon einiges an Lebenszeit geschenkt.

Im Juni werden es elf Jahre, dass sich die Wege des früheren technischen Angestellten und Jägers aus Schießen im Landkreis Neu-Ulm mit denen des männlichen Frischlings kreuzten. Nach einem Bockansitz auf Brauns damaliger Jagd fand Foxterrier Basko drei mutterlose Frischlinge im Gras. „Mein Hund hat ihnen nichts getan und so habe ich die zwei Bachen und den Keiler mit heimgenommen, um sie aufzupäppeln“, erzählt Braun. Seine Frau Sandra (49) habe die Wildschweinchen selbst nachts mit Milch versorgt.

Ein Keiler im Glück: Dietmar Brauns Streicheleinheiten tun „Mori“ sichtlich gut. Foto: Lars Schwerdtfeger

Ein Keiler im Glück: Dietmar Brauns Streicheleinheiten tun „Mori“ sichtlich gut. Foto: Lars Schwerdtfeger

„Dem Keiler ging's damals am schlechtesten. Hätte man ihn nur wenig später entdeckt, wäre er gestorben. Wir mussten mit ihm zum Arzt“, sagt der Lebensretter. Die Bachen wilderten bei einem Spaziergang aus. Der kastrierte Moritz aber blieb und vermisste seine Geschwister nicht. Gut nachvollziehbar für Sandra Braun: „Der Keiler ist ein Einzelgänger.“

„Die beiden sind wie Piggeldy und Frederick“, spielt sie auf die Trickfilmserie mit zwei Schweine-Brüdern an und beobachtet ihren Mann dabei, wie er Moritz mit den orangefarbenen dicken Borsten eines großen Straßenbesens ausgehfein bürstet. Braun will los, eine Tour über die Felder machen. Doch der Keiler hat keinen Bock. „Isch er wieder grantig?“, fragt Sandra Braun. „Du bisch scho so a Kerle“, meint ihr Mann und läuft, die Melodie von „Ach Du lieber Augustin“ pfeifend, voraus. Moritz trabt nebenher. Geht doch! „Ich bin seine Leitbache“, kommentiert Dietmar Braun die Szenerie.

„Fiiwitzig“ und partytauglich

Für Moritz, von den Brauns auch liebevoll „Mori“ genannt, sind Spaziergänge wie das Flanieren durch den Gourmet-Shop. Der Keiler wühlt mit seinem Rüssel in der Erde, gräbt Wurzeln aus, frisst verfaultes Holz oder auch mal einen Tannenzapfen. Fein! Das, was das gemeine Hausschwein liebt, verschmäht der friedliche Koloss. Versucht man ihm Kartoffeln unters Fressen zu mischen, sortiert er genau die penibel aus.

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Die Brauns leben mit Moritz in bewährter Symbiose. Er hat vor keinem Auto, keinem Bulldog und keiner Motorsäge Angst. Menschenscheu ist er schon gleich gar nicht. „Der isch fiiwitzig“, formuliert es Braun auf Schwäbisch, was auf Hochdeutsch soviel wie neugierig bedeutet. Gibt's im Braun'schen Garten mal 'ne Fete, sucht der Keiler von seinem Kobel aus Kontakt zum Partyvolk. „Wenn er ins Haus rein könnte, würde er sich prügelbreit ins Wohnzimmer legen und fernsehgucken“, ist sich Dietmar Braun sicher.

„Moritz ist unheimlich feinfühlig. Er merkt, wenn man aufgeregt ist. Dann bleibt er bei mir und lässt mich nicht mehr aus den Augen“, sagt Dietmar Braun. Und Moritz hält auch gerne mal ein „Schwätzchen“, will heißen, er gibt Grunzlaute von sich, wenn er seine Freunde – ein Pferd und ein Damtier – trifft.

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Serie Mensch & Tier, Porträt Dietmar Braun und Keiler Moritz Foto: Lars Schwerdtfeger

Sogar schriftlich sind Dietmar Braun und Moritz fest miteinander verbunden. „Er ist kostenlos in meiner Privathaftpflicht eingetragen. Da steht drin ,mitversichert: Keiler Moritz'.“ Braun lacht. „Bestimmt ist er das einzige Wildschwein, das in einer Police erwähnt ist.“ Außerdem hat er das Tier auch beim Landratsamt gemeldet.

Neben ausgiebigen Spaziergängen gibt's ein weiteres Ritual: Den abendlichen Absacker. Bevor die Brauns ins Bett gehen, bringen sie dem Keiler Obst, ein Milchweckle und Waffeln. Das ist seit zehn Jahren so und erlaubt dem Ehepaar nur getrennt ein paar Tage wegzufahren. Schwer fällt das den beiden nicht. Sandra Braun: „Wir sind keine Urlaubstypen.“

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Erstellt:
13.08.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 13.08.2021, 06:00 Uhr

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