Justiz

Unterstützung durch Begleitung: Hunde vor Gericht

In Stuttgart unterstützen Begleithunde seit dem vergangenen Jahr Menschen, die eine belastende Zeugenaussage machen sollen. Sie sind Mutmacher.

06.11.2021

Von dpa

Wenn der Altdeutsche Schäferhund „Al Capone“, hier mit seiner Hundeführerin Sabine Kubinski, freundlich schaut, hat das oftmals einen beruhigenden Effekt auf die Zeugen vor Gericht. Foto: Gerhard Baeuerle/epd

Wenn der Altdeutsche Schäferhund „Al Capone“, hier mit seiner Hundeführerin Sabine Kubinski, freundlich schaut, hat das oftmals einen beruhigenden Effekt auf die Zeugen vor Gericht. Foto: Gerhard Baeuerle/epd

Trockenübung im Stuttgarter Amtsgericht: Wie selbstverständlich trottet der Altdeutsche Schäferhund „Al Capone“ neben seiner Begleiterin an den uniformierten Justizmitarbeitern vorbei durch die Sicherheitsschleuse. Im leeren Gerichtssaal legt er sich neben den Stuhl, auf dem Zeugen und Zeuginnen befragt werden und bleibt dort ruhig liegen. Seine Hundeführerin Sabine Kubinski gibt ihm ein Leckerli: Der eineinhalbjährige Hund hat die Übung gut gemeistert.

Normalerweise sind Vierbeiner im Gericht verboten, aber für ihn und seine Hundekollegen „Henri“ und „Watson“ werden Ausnahmen gemacht. Während „Al Capone“ noch trainiert, sind „Watson“ und „Henri“ bereits fertig ausgebildete „Vernehmungsbegleithunde“ des freien Trägers „PräventSozial“. Das heißt: Sie begleiten schutzbedürftige Zeugen wie Kinder, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder traumatisierte Erwachsene im Strafverfahren. Sie machen Mut und unterstützen.

Seit vergangenem Jahr wurden etwa 35 Zeugen vor Gericht oder in richterlichen Video-Vernehmungen bei ihrer Aussage durch ausgebildete Therapiebegleithunde unterstützt. Nach eigenen Angaben ist das Projekt deutschlandweit einzigartig.

Allein die Anwesenheit eines Hundes führe bei Menschen, die Hunde mögen, zur Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin, wie „PräventSozial“ erklärt. Dieses wirke entspannend und helfe, in der Stresssituation einer Zeugenvernehmung Unsicherheiten abzubauen, sagt Sozialpädagogin Kubinski, die das tiergestützte Projekt leitet. „Weniger Unsicherheit und Stress können zu einer besseren Aussagequalität beitragen.“

Die Rechtsanwältin Julia Mende aus Esslingen bei Stuttgart vertritt als Nebenklagevertreterin regelmäßig Opfer von Sexualdelikten. Sie hat bei richterlichen Videovernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung bereits vier Mal die Hunde in Aktion erlebt. Für sie sind die Tiere, die bei der Vernehmung der jungen Zeuginnen ruhig daneben auf ihrer Decke gelegen hätten, ein „exorbitanter Mehrgewinn“.

Ihre Anwesenheit sei eine Unterstützung in einem Moment, in dem die Richterin nach intimsten Details der Tat fragen müsse. Die Hunde wirkten beruhigend, ohne die Aussage zu beeinflussen. Wenn sie dagegen als Anwältin ein weinendes Mädchen tröste, könne sie das aus Sicht der Verteidigung rechtlich angreifbar machen, erklärt Mende.

Auch dass die Kinder nach der Vernehmung den Hund mit einem Leckerli belohnen dürften, sorge dafür, dass bei ihren jungen Mandantinnen nicht nur die belastende Vernehmung in der Erinnerung bleibe, sondern auch, dass sie mit einem süßen Hund spielen konnten, sagt die Anwältin. „Al Capone“ sitzt nach Ende seiner Übungsstunde vor Gericht im Büro der Hundeführerin auf einem grünen Kissen und kaut an einem Leckerli. Sie sei immer wieder beeindruckt von der positiven Wirkung, die die Tiere auf Straffällige ebenso wie Opfer hätten, sagt Kubinski.

Besonders erinnert sie sich an einen Fall: Eine Zeugin mit geistiger Behinderung sei am Tag ihrer Zeugenvernehmung völlig aufgeregt im Gericht angekommen, habe geweint. Doch als sie den Hund „Watson“ gesehen habe, habe sich ihr Gesicht aufgehellt. Die junge Frau, die den Golden Retriever bereits kannte, habe eine selbst gebastelte Tüte mit Leckerlis für ihn dabei gehabt. Aufrecht ging sie mit dem Hund an der Leine in den Gerichtssaal und setzte sich an den Zeugentisch, wie Kubinski erzählt: „Ihre Stimmung hatte sich schlagartig geändert.“ Judith Kubitscheck

Therapiekonzept im Strafvollzug

Gemeinsam mit seiner Hundeführerin soll der „Vernehmungsbegleithund“ Al Capone auch mit der Gegenseite arbeiten: mit Gewalt- und Sexualstraftätern. Derzeit durchlaufen der Schäferhund und Sabine Kubinski mit vier weiteren Teams aus dem gesamten Bundesgebiet den ersten Ausbildungsjahrgang der Weiterbildung „HundsKerle TGT“. Es handelt sich um ein standardisiertes Therapiekonzept im Strafvollzug, das speziell auf die Arbeit mit Straftätern ausgerichtet ist.

Entwickelt wurde es von Verena Gutwein, Geschäftsführerin von „pet-agogik“ aus dem baden-württembergischen Altlußheim, laut Selbstbechreibung „Partner für alle, die?. . . Individualität und Vielfalt in der hundgestützten Intervention anbieten oder selbst praktizieren wollen“. Als Gruppentraining wendet Gutwein das Projekt seit 2013 in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal an. Es konzentriert sich vor allem auf die Körpersprache und Kommunikation der Teilnehmer. „Ein Hund ist ein Spezialist in der Kommunikation“, sagt Gutwein. Er rieche die Hormone seines Gegenüber und mache versteckte Stimmungen und Gefühle durch sein Verhalten sichtbar.

Ihre Klienten hätten oft keinen Zugang mehr zu ihrem Körperempfinden und könnten nicht einschätzen, was ihre Körpersprache im Gegenüber auslöse sagt Gutwein. Die Hunde spiegelten aggressives, nonverbales Verhalten direkt wider, indem sie den Kontakt verweigerten oder anfingen zu bellen. Da die Männer bestrebt seien, in guten Kontakt mit den Hunden zu kommen, seien sie bereit, ihr Verhalten entsprechend zu verändern.

„Wer an HundsKerle teilnimmt, kann sich nicht verstellen“, sagt die Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin. Irgendwann seien die Teilnehmer bereit, sich offen und ehrlich zu zeigen – was ein wichtiger Schritt in Richtung Resozialisierung sei. epd

Normalerweise sind Hunde im Gerichtssaal verboten, aber für „Al Capone“  und seine Kollegen wird eine Ausnahme gemacht.

Normalerweise sind Hunde im Gerichtssaal verboten, aber für „Al Capone“ und seine Kollegen wird eine Ausnahme gemacht.

Zum Artikel

Erstellt:
06.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 19sec
zuletzt aktualisiert: 06.11.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!