Tiere

Horst zwischen Engelsflügeln

Ob Kriegerdenkmal, Adelsgruft oder Dorfsirene – Störche suchen sich die verrücktesten Orte aus, um ihre Nester zu bauen. Eine Übersicht.

06.07.2021

Von RAIMUND WEIBLE

Neudingen: Ein Storchennest auf einem Engel auf der Gruft des Adelshauses Fürstenberg. Foto: Raimund Weible

Neudingen: Ein Storchennest auf einem Engel auf der Gruft des Adelshauses Fürstenberg. Foto: Raimund Weible

Otto Dobler hat mal wieder eine kleine Wanderung um den Ort gemacht. Zurück in Ebenweiler, seinem Heimatdorf, schaut er, was mit den Störchen los ist. Besondere Aufmerksamkeit widmet der 75-jährige Landwirt den Störchen auf dem Rathaus. Die haben sich einen höchst ungewöhnlichen Platz für ihren Horst ausgesucht. Sie belegen die Gemeinde-Sirene auf dem First des Rathausdachs.

Eine fragwürdige Wahl. Denn die Sirene hat eine runde, glatte, rutschige Kuppel. Da hält normalerweise kein Ast. Tatsächlich waren die ersten Versuche der Störche im Frühjahr 2018 vergeblich. Die Zweige rutschten auf das Dach hinunter. Amüsiert beobachteten die Leute von Ebenweiler das Treiben der Vögel. „Wir haben alle gelacht“, sagt Dobler. Alle glaubten, dass das nichts wird mit dem Nest.

Doch dabei haben die Ebenweilener die Hartnäckigkeit der Tiere unterschätzt. Sie arbeiteten unbeirrt weiter. Wahrscheinlich gefällt den Störchen die Sirene wegen der guten Übersicht. Zwei Wochen lang trug das Paar täglich Äste und Zweige herbei und siehe da: Eines Tages war das Werk vollendet, auf der Sirene saß ein Nest. „Sie haben wohl irgendwann eine Lösung gefunden“, sagt Dobler und lacht.

Die frühere baden-württembergische Storchenbeauftragte Ute Reinhard erklärt sich das Wunder von Ebenweiler mit den Exkrementen der Störche. An ihnen müssen irgendwann Äste hängen geblieben sein. Und an diesen festgeklebten Ästen als Fundament ließ sich eine Konstruktion aufbauen. Sie hält nun schon das vierte Jahr.

Dass sich Störche in letzter Zeit immer häufiger ungewöhnliche Stellen für ihre Horste aussuchen, hängt mit der wachsenden Population und dem zunehmenden Mangel an Nistplätzen zusammen. Noch in den 1970er und 1980er Jahren sah man Störche in Oberschwaben nur auf künstlichen Nisthilfen brüten, die Tierschützer auf Kirchtürmen und Häusern befestigt hatten. Dann starteten Wiederansiedlungsprojekte mit großem Erfolg. Alsbald gab es heftige Kämpfe zwischen den Tieren um die Horste. Und jene, die keinen vorgefertigten Nistplatz ergattern konnten, taten sich anderweitig um.

Sehr beliebt sind Strommasten geworden. Auch in Ebenweiler besiedeln Störche mehrere solcher Masten. Mit manchmal negativen Begleiterscheinungen. An einem dieser Masten lösten sie vor wenigen Jahren einen Kurzschluss aus, worauf die EnBW an dem Mast ein künstliches Gestell montierte, das einen weiteren Kurzschluss verhinderte.

Hang zu Sakralbauten

Bei Strommasten blieb es nicht. Störche nehmen inzwischen alles an, was eine gute Unterlage und eine gute Übersicht verspricht. In Stockach (Kreis Konstanz) bauten Störche ein Nest auf dem 15 Meter hohen Kriegerdenkmal mitten in der Stadt. In Ostrach (Kreis Sigmaringen) schafften es die Tiere, auf der Spitze des Giebelkreuzes der Kirche einen Horst zu konstruieren.

Ebenfalls einen Hang zu Sakralbauten haben Störche in Moosheim (Kreis Sigmaringen). Dort nisten fünf Paare auf dem Turm der Kirche Johannes der Täufer überall dort, wo ein Nest nicht abrutschen kann, auch im Schneefang. So hat es den Vögeln auch die steinerne Kreuzblume auf dem Turm angetan. Weil Fußgänger jedoch Gefahr laufen könnten, einen Ast auf den Kopf zu bekommen, verhindern die Storchenbetreuer inzwischen eine Besiedlung des Schmuckwerks mit einem Netz darüber. Auf eine ganz ausgefallene Idee kamen Störche in Neudingen, einem Ortsteil von Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). Dort steht inmitten eines Parks die 1856 vollendete Gruftkirche des Adelshauses Fürstenberg. Der monumentale Bau im Renaissance-Stil wird an allen vier Ecken von großen steinernen Engeln bewacht. Und zwischen den Flügeln des vorderen rechten Engels bauten Störche 2019 ein Nest. Das war auch so ein Notbehelf, denn in Neudingen, wo es vor 40 Jahren keine Störche mehr gab, siedeln inzwischen 14 Paare.

Die Möglichkeit, zwischen Engelsschwingen zu brüten, gibt es inzwischen nicht mehr. Das Haus Fürstenberg entfernte alle vier Engel. Nach dem Grund befragt, gab die Fürstlich Fürstenbergische Gesamtverwaltung keine Stellungnahme ab. Doch im Jahr 2020 bauten Störche wieder ein Nest auf der Gruftkirche, auf einem Podest hoch über der Eingangspforte. Am 26. Juli 2020 war das Nest verschwunden. Irgendjemand musste es entfernt haben. Die Polizei wurde eingeschaltet, weil es nach dem Bundesnaturschutzgesetz verboten ist, Brutstätten von Störchen zu zerstören. Der Fall blieb ein Rätsel, die Polizei teilte auf Nachfrage mit, dass die Ermittlungen inzwischen eingestellt seien.

Zu den Kuriositäten zählen auch die beiden Nistversuche auf der Achterbahn des Erlebnisparks Tripsdrill. Die Bahn war während der Corona-Sperre außer Betrieb und so kam den Störchen auch dieses ruhige Plätzchen offenbar gerade recht.

Störche auf einem Kriegerdenkmal in Stockach. Foto: Raimund Weible

Störche auf einem Kriegerdenkmal in Stockach. Foto: Raimund Weible

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Erstellt:
06.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 06.07.2021, 06:00 Uhr

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