Tübingen · Bildung

Schreibwerkstatt am WG: Horror, Liebe, Fantasy

Mittwochs nach Schulschluss beginnt am Wildermuth-Gymnasium die Schreibwerkstatt. Zum Werkstatt-Team gehören auch drei ukrainische Jugendliche.

22.03.2023

Von Christine Laudenbach

Für die Treffen mittwochs im Computerraum sorgt Cornelia Keppeler-Grohmann (ganz rechts) immer für Tee und ausreichend Kekse. Bild: Ulrich Metz

Für die Treffen mittwochs im Computerraum sorgt Cornelia Keppeler-Grohmann (ganz rechts) immer für Tee und ausreichend Kekse. Bild: Ulrich Metz

Es gibt Gerüchte, dass es im Wald ein Gebäude für die Elite gibt. Wenn dort jemand eintritt, dann sollte diese Person auf keinen Fall die Augen öffnen.“ Der Beginn von Yevhenji Zaiatz’ Kurzgeschichte macht neugierig. Yevhenji ist 16 und mag am liebsten Horrorgeschichten. Anton Schmid schreibt „eher über Liebe und Gefühle“, Matthis Neu verfasst Fantasy, Lea Schreiber englische Gedichte.

Mittwochnachmittags trifft sich die Runde in der Schreibwerkstatt des Wildermuth-Gymnasiums – um sich auszutauschen und zu schreiben. Etwa eineinhalb Stunden stehen dafür im Plan, „aber wir überziehen immer gewaltig“, sagt Cornelia Keppeler-Grohmann. Sie leitet die AG „Kreatives Schreiben“ seit Jahren. Wie lange genau, kann sie nicht sagen. Seit 2009 vielleicht? Anfang des Jahres ging die Deutschlehrerin in Pension. Seitdem ist sie nur noch wenige Stunden pro Woche an der Schule. Die Schreibwerkstatt nennt Keppeler-Grohmann „mein Herz-Stück“. Dass sie es erhält, war keine Frage, sehr viel Herzblut ließ sie über die Jahre hineinfließen.

An diesem Mittwoch im März ist der große Tisch im dritten Stock üppig gedeckt, wie immer eigentlich. Tee, Kekse „und Hanutas!“ gehören dazu, darin sind sich alle einig. Die Stimmung ist gut. Manche gehören seit wenigen Monaten dazu, Matthis zum Beispiel. Er will im nächsten Jahr Deutsch-Leistungskurs wählen, eine gute Vorbereitung, findet er. Immanuel Krehl, 16, war schon als Fünftklässler dabei. „Ich habe schon immer gerne geschrieben“, sagt er nach seiner Motivation gefragt. Sich alleine zuhause hinzusetzen, sei aber nicht sein Ding. Dann lieber in der Runde Texte vorstellen, daran feilen und darüber debattieren. Hier bekommt er Feedback für seine Essays, „im Unterricht hört einem keiner zu“, sagt er, „alle wollen in die Pause.“

Manöverkritik ist allen Acht wichtig. Beurteilt wird vor allem Stilistisches. Gekränkt fühlt sich dadurch niemand, im Gegenteil: Klares Ziel sei, die Texte zu optimieren. Auch Hugo Hahn ist deshalb hier. „Schreiben ist gut, um Emotionen zu verarbeiten“, sagt er. Seine Geschichten entstehen beim Schreiben. „Der Traum“ beginnt mit einem Messer an seiner Kehle. „Sticht er zu? Ja, nein?“

Auch Yeva Karaianis Leser sollten besser nicht zart besaitet sein. Wie Yevhenji liebt sie Horror-Geschichten. Wie er kam sie vor etwa einem Jahr aus der Ukraine hierher. Zuhause hatte die Zwölfjährige ein Jahr lang Deutsch gelernt. Zum kreativen Schreiben reicht das nicht ganz. In der Vorbereitungsklasse hat Keppeler-Grohmann sie und Kseniia Orel dennoch dazu ermutigt. Kseniia ist die Jüngste in der Runde. Sie liebt Fantasy und romantische Geschichten, wie sie sagt. Ihre Texte verfassen Yevhenji, Yeva und Kseniia auf Russisch. Um die Übersetzung kümmern sich die anderen. „Kennen Sie ChatGPT?“, fragt Immanuel, der mit dem Programm versuchte, die Geschichten der Drei ins Deutsche zu übertragen. Nicht alles glückte, wie es sollte. Google-Übersetzer übernahm den Rest. Wenn dann immer noch Unverständliches im Raum steht, hilft Isabel Gusev. Die 16-jährige Muttersprachlerin ist in Deutschland aufgewachsen. Auch an diesem Mittwoch schaut sie zur rechten Zeit vorbei: Yevhenji versteht die Frage nach den Bildern in seinem Kopf nicht. Woher sie kommen? Yevhenji überlegt. „Er hat keine richtige Antwort darauf“, sagt Isabel dann. „Er denkt sie sich einfach aus.“

Was er und die anderen sich ausgedacht haben, wird demnächst in einem Buch zu lesen sein. Am heutigen Mittwoch stellen die Tübinger die Geschichten, Gedichte und Essays zunächst aber in der Stuttgarter Stadtbücherei vor. „Der Stuttgart-Tag“ hat Tradition im Kurs. Einmal im Jahr lesen die Wildermuth-Schülerinnen und -Schüler dort aktuelle Texte – und bekommen im Gegenzug zu hören, was Gleichaltrige aus anderen Schulen so schreiben. Die Lesung „im Keller“ sei kein Wettbewerb, „darum geht es nicht“, sagt Immanuel. Vielmehr diene das Treffen dazu, „einfach mal eine Bühne zu haben“.

Aber wie übt man denn nun kreatives Schreiben? Was sollte man beachten, was vermeiden? Sätze mit „dass“ zum Beispiel, sagt Keppeler-Grohmann, weil diese Sätze nicht besonders schön sind. Den Anfang der Mittwochsrunde gibt meist ein Spiel vor. Das klassische Frage-Antwort-Spiel etwa eigne sich gut. Aus einer Frage und einer zufällig zugeordneten und dadurch meist unsinnigen Antwort gilt es einen Text zu zimmern. Was die 12- bis 16-Jährigen daraus machen, ist individuell. Je nach Vorliebe entsteht daraus vielleicht eine Fantasy- oder eine Liebesgeschichte. Oder Horror.

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Erstellt:
22.03.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 22.03.2023, 01:00 Uhr

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