Afghanistan

Hilfe nur gegen Bedingungen

Menschenrechtlerin Monika Hauser fordert von der Bundesregierung, Druck auf die Taliban auszuüben. Die Situation für Frauen im Land wird immer schwieriger.

13.07.2021

Von Elisabeth Zoll

Frauen haben nicht nur in Kabul an Selbstbewusstsein gewonnen. Foto: Adek Berry/afp

Frauen haben nicht nur in Kabul an Selbstbewusstsein gewonnen. Foto: Adek Berry/afp

Jetzt erst recht. Nachdem die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen ist, verstärkt die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale ihre Arbeit vor Ort. „Das ist das Gegenteil von Abzug“, sagt die Vorsitzende Monika Hauser. Frauen bräuchten dringend Unterstützung. Auch von der Bundesregierung.

Die Bundeswehr ist aus Afghanistan abgezogen. Was heißt das für die Frauen im Land?

Monika Hauser: Ihre Sicherheitslage verschlechtert sich weiter. Schon seit geraumer Zeit nehmen Anschläge und gezielte Tötungen von Frauenrechtsaktivistinnen zu. Der überstürzte Abzug der westlichen Truppen verstärkt das Chaos im Land.

Die radikal-islamischen Taliban nehmen immer mehr ländliche Regionen ein. Wie ist die Lage in den Zentren?

Im Norden sieht es defintiv bedrohlich aus, da die Taliban kurz vor Mazar und Herat stehen. Auch in Kabul ist die Sorge groß. Menschen, die 20 Jahre und älter sind, wissen, was eine Taliban-Herrschaft bedeutet. Viele wollen nicht aufgeben, was in den vergangenen Jahrzehnten erreicht worden ist: bei den Frauenrechten, der Medienvielfalt, den Freiheiten insgesamt. Die jetzige Jugend ist zwar nicht in einem echten Frieden aufgewachsen, doch sie hatte eine Chance auf Bildung und relative Sicherheit. Das wirkt sich aus auf die Zivilgesellschaft. Diese ist stärker geworden. Wir unterstützen das.

Wie?

Mit unserer Partnerorganisation Medica Afghanistan, einer der führenden Frauenrechtsorganisationen im Land. Sie tritt dafür ein, dass sich Frauen scheiden lassen können, kämpfte für ein Gesetz, das sexualisierte und andere Gewaltformen gegen Frauen unter Strafe stellt, hat Richter, Polizisten und Gefängnispersonal in Frauenrechten geschult und damit die Unterstützung von traumatisierten Frauen vorangebracht. Wenn Frauenrechte umgesetzt werden, ist die ganze Gesellschaft freier. Da sind Meilensteine erkämpft worden. Oft gegen den Widerstand von Regierungsverantwortlichen.

Das heißt, auch ohne Taliban mussten Frauen für ihre Rechte kämpfen?

Ja, es braucht keine Taliban für fundamentalistisches Männerdenken. Alle Rechte, die erkämpft wurden, sind auch gegen Männer in der Regierung errungen worden. Da hat uns die internationale Politik unterstützt, wenngleich nicht immer konsequent genug.

Beschränkt sich dieser Wandel auf eine kleine städtische Elite oder ist er in die Gesellschaft eingedrungen?

Da darf man nicht ungeduldig sein. In West-Deutschland brauchten bis in die 70er Jahre Frauen noch die Unterschrift ihres Mannes, wollten sie eine Arbeitsstelle antreten. Das Umdenken einer Gesellschaft, die zutiefst auf Stammesdenken und religiösem Fundamentalismus beruht, braucht Zeit. Sicherlich mehr als eine Generation. Viele junge Menschen, vor allem in den Städten, sind aufgeschlossen. Sie nutzen das Internet, haben Onlineforen, Mädchen und Frauen äußern sich in tollen Hashtag-Aktionen zu ihren „Roten Linien“, das heißt zu Errungenschaften, die sie nicht mehr aufgeben wollen. Das färbt ab auf ihre Eltern. Auch Frauen, die in den 70er Jahren Ärztinnen oder Lehrerinnen waren, wissen um die wertvollen Rechte. Viele Frauen konnten nach 2001 anknüpfen an frühere Erfahrungen. Das Wissen betraf damals eine bestimmte gesellschaftliche Schicht. Doch dieses Wissen reicht heute weit über die Elite hinaus. Daher werden es die Taliban schwer haben, die Bevölkerung zu überzeugen.

Haben die selbstbewussten Frauen in Afghanistan überhaupt noch eine Perspektive?

Für mich ist das Glas immer halbvoll. Sonst könnte ich mich nicht seit bald 30 Jahren engagieren. In Afghanisten machen wir das Gegenteil von Abzug. Wir untersützten die Arbeit unserer Kolleginnen intensiv. Nur so kann sie weitergehen. Auch die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft sind da weiterhin in der Verantwortung. 20 Jahre lang wurde ja behauptet, man sei auch für die Frauen mit Truppen nach Afghanistan gegangen.

Wie müsste die Unterstützung der Bundesregierung aussehen?

Wir brauchen finanzielle Mittel, um die Kolleginnen vor Ort weiter zu unterstützen. Darüber hinaus müssen besonders gefährdete Frauenrechtsaktivistinnen ein Visum für Deutschland bekommen. Politisch muss man mit den Taliban reden. Wenn sie vom Westen weitere finanzielle Unterstützung fordern, müssen diese Hilfen an Bedingungen geknüpft werden. Dass die USA ohne jegliche Forderungen in Bezug auf Menschen- und Frauenrechte abgezogen sind, ist ein Desaster.

Es gibt Informationen, wonach die Taliban nicht mehr gegen Mädchenbildung vorgehen wollen. Haben sich die Islamisten gewandelt?

Da will ich nicht spekulieren. Ich weiß von Mädchenschulen, wo mit den Taliban verhandelt wurde, dass sie weiterbetrieben werden können. Aber wir kennen auch die kompromisslose Haltung der Islamisten. Die Taliban sind ja eine heterogene Gruppe. Unsere afghanischen Kolleginnen stellen sich für ihre Arbeit auf verschiedene politische Szenarien ein und wir werden gemeinsam schauen, welche Aktivitäten wie durchgeführt werden können.

Drohen bei Verhandlungen zwischen Taliban und Regierung Frauenrechte unter den Tisch zu fallen?

Diese Gefahr besteht. Deswegen müssen die westlichen Geldgeber politische Bedingungen formulieren. Das gilt auch für die neue Bundesregierung.

Seit 1993 in Kriegsgebieten aktiv

Monika Hauser, Vorsitzende von Medica Monidale in Köln. Foto: Peter Lang

Monika Hauser, Vorsitzende von Medica Monidale in Köln. Foto: Peter Lang

Die Ärztin Monika Hauser gründete 1993 die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale mit Sitz in Köln. Die Organisation unterstützt Frauen in vielen Krisen- und Kriegsregionen, darunter auch in Afghanistan. Dafür wurde die Schweizer Gynäkologin 2008 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Für Medica Afghanistan arbeiten 80 Frauen in Mazar, Herat und Kabul. Sie beraten Ärzte, Juristen, Sicherheitskräfte im Umgang mit traumatisierten Frauen. Daneben beraten sie über Hotlines landesweit Frauen in schwierigen Situationen.

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Erstellt:
13.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 34sec
zuletzt aktualisiert: 13.07.2021, 06:00 Uhr

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