Stuttgart

Brandschutz: Regeln überfordern oft Behörden und Planer

Kosten senken, Standards bewahren: Der Normenkontrollrat Baden-Württemberg empfiehlt ein Bündel an Verbesserungsmaßnahmen. Die aktuellen Regeln überfordern oft Behörden und Planer.

18.02.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Feuerlöscher sind für den Brandschutz elementar, aber längst nicht die einzige Vorschrift im Gebäudebau. Foto: Giacinto Carlucci

Feuerlöscher sind für den Brandschutz elementar, aber längst nicht die einzige Vorschrift im Gebäudebau. Foto: Giacinto Carlucci

Stuttgart. Das örtliche Baurechtsamt gibt sich unerbittlich: Als der Umbau eines Wohngebäudes ansteht, fordert die Behörde den Bau einer Fluchttreppe. Die Zusatzkosten belaufen sich auf rund 70 000 Euro. Das Baurechtsamt begründet seine Auflage damit, dass die bereits vorhandenen Flucht- und Rettungswege durch parkende Autos blockiert werden könnten. Tatsächlich gilt in dem Bereich ein absolutes Halteverbot.

Das anonymisierte Beispiel basiert auf einem realen Fall und findet sich in einem 120 Seiten starken Empfehlungsbericht des Normenkontrollrats Baden-Württemberg zur Optimierung des Brandschutzes wieder. Seit Jahren klagen private und öffentliche Bauherren über unverhältnismäßige Brandschutzauflagen und daraus resultierende Kostenexplosionen. Der Normenkontrollrat, ein Gremium unter Vorsitz der ehemaligen Finanz-Staatssekretärin Gisela Meister-Scheufelen (CDU), das die Landesregierung berät, hat deshalb über Monate in Gesprächsrunden mit über 100 Teilnehmern nach Ursachen und Lösungen gesucht.

Herausgekommen ist ein ganzes Bündel an Empfehlungen, das von der Verschlankung von Vorschriften bis zur Schließung von Regelungslücken reicht. Den Generalverdacht, dass überzogene Brandschutzauflagen generell zu Problemen führen würden, sieht das Gremium zwar nicht bestätigt. Es konstatiert aber teils erhebliche Belastungen. Der Anteil der Kosten für den Brandschutz an den Gesamtkosen von Bauvorhaben mache regelmäßig ein bis zwei Prozent aus, heißt es im Bericht. Ein Anteil von „unter zehn Prozent“ sei aber von „übermäßig hohen Brandschutzkosten betroffen“, davon seien einige schwerwiegend und viele vermeidbar. In Einzelfällen, insbesondere bei Sonderbauten wie Schulen und Kindergärten und Umbauten, könne der Anteil der Brandschutz- an den Gesamtkosten auch „zehn Prozent und mehr“ betragen.

Als ein Problem benennt Meister-Scheufelen, dass „die kleineren der 207 unteren Baurechtsbehörden in Baden-Württemberg offenkundig nicht mehr in der Lage sind, die große Komplexität des vorbeugenden Brandschutzes zu beherrschen. Überforderung stellen wir aber auch bei Architekten und Planern fest.“ Die insgesamt 22 Entlastungsvorschläge zielen daher auch darauf ab, den Ablauf der Baugenehmigungsverfahren zu verbessern. So sollen Standardverfahren für brandschutzrechtliche Genehmigungen eingeführt werden. Die Baurechtsämter, so ein weiterer Vorschlag, sollten verpflichtet werden, bei Sonderbauten und komplexen Umbauten eine Stellungnahme der Kreisbrandmeister einzuholen und den Bauherren frühzeitige Auftaktbesprechungen anzubieten. Insgesamt mahnt der Normenkontrollrat an, dass die Vorschriften verschlankt und ihre Anwendung vereinfacht, die Regeln aber auch synchronisiert und zusammengeführt werden müssten. „Es fällt zunehmend schwer, einen Überblick über alle relevanten Baubestimmungen zu erhalten“, beklagen die Autoren des Berichts den Status quo.

In einigen Segmenten sieht der Rat aber auch Regelungslücken. „Evident“ sei dies etwa beim Holzbau, bei dem Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle übernehmen will. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müsse das Land „dringend verbindliche Regelungen“ erlassen, mahnt das Gremium. „Sonst kommt der Holzbau nicht aus seiner experimentellen Ecke.“ So fehlten verlässlichen technischen Beurteilungen von üblichen Bauteilen und Bauausführungen wie etwa Rauchabschottungen. Bei einer Normierung ließen sich teure Kompensationen für den brennbaren Baustoff Holz durch aufwändige Installationen, etwa von Sprenklern, zum Teil reduzieren.

Unterschiedliche Auslegungen

Regelungslücken sieht das Gutachten auch bei Sonderbauten wie Schulen und Krankenhäusern. „Zu Recht werden ganz unterschiedliche Auslegungen und Handhabungen von Amt zu Amt beklagt.“ Dies führe zu Verunsicherungen, da Planer und Baufirmen sich auf einmal gemachte Erfahrungen nicht verlassen könnten. Vor allem bei einer bei einer Umsetzung der Vorschläge im Gesamtpaket verspricht sich Meister-Scheufelen deutliche Verbesserungen auf der Kostenseite ohne Abstriche bei den Standards für den Brandschutz selbst.

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Erstellt:
18.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 18.02.2021, 06:00 Uhr

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