Stuttgart

Pandemie: Der Handel fürchtet die Alarmstufe

In Baden-Württemberg kommen bei steigenden Patientenzahlen neue Einschränkungen auf die Unternehmen zu. Sie befürchten Warteschlangen und finanzielle Einbußen.

28.09.2021

Von Caroline Strang

Kunden warten vor einem Modegeschäft. Der Einzelhandel warnt, dass sich diese Szene wiederholen könnte. Foto: Angelika Warmuth/dpa

Kunden warten vor einem Modegeschäft. Der Einzelhandel warnt, dass sich diese Szene wiederholen könnte. Foto: Angelika Warmuth/dpa

Werden lange Schlangen vor den Bekleidungsgeschäften die Fußgängerzonen verstopfen? Werden pöbelnde Corona-Leugner Angestellte zur Rede stellen, die an der Tür die Zugangsberechtigung kontrollieren? Diese Szenen stehen vielen Händlern als Schreckgespenst vor Augen, wenn sie an das Wort „Alarmstufe“ denken. Wird diese erreicht, so die aktuelle Corona-Verordnung in Baden-Württemberg, wird das Leben wieder komplizierter, vor allem für Ungeimpfte.

Dann gilt auch im Einzelhandel die 3G-Regel, es kommt also nur noch in den Schuhladen oder das Bastelgeschäft, wer geimpft oder genesen ist oder einen aktuellen Negativtest vorweisen kann. Begründung für diese Regel ist das Bemühen, einen neuen Lockdown zu verhindern. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte schon im Sommer: „Wir müssen und werden einen neuen Lockdown verhindern. Er wäre für viele Geschäfte und Restaurants, die bereits monatelang geschlossen waren, verheerend.“ Solange keine Überlastung des Gesundheitssystems drohe, gebe es keinen Grund für derartige neue Maßnahmen.

Und genau dies steht hinter den neuen Regeln im Südwesten. Denn die Alarmstufe wird laut Landesregierung ausgerufen, wenn die Hospitalisierungsinzidenz an fünf Werktagen in Folge den Wert von 12 erreicht oder überschreitet oder die Auslastung der Intensivbetten in Baden-Württemberg an zwei aufeinanderfolgenden Werktagen den Wert von 390 erreicht oder überschreitet.

Der Handel ist mit den drohenden Einschränkungen nicht einverstanden, aus teils sehr praktischen Gründen. Zum Beispiel müssten die Zugangsberechtigungen, laut jetzigem Stand, vom Einzelhandel selbst überprüft werden. Michael Heinle ist Pressesprecher des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW). Er sieht darin erhebliche Belastungen. „Vor jedem Geschäft müsste mindestens ein Mitarbeiter stehen, der die Nachweise kontrolliert.“ Gebe es mehrere Eingänge, dann müsste es auch mehr Personal zur Kontrolle geben, „oder der Händler muss die anderen Türen schließen, was aber für den Kundenfluss nicht gut ist.“

Klagen über Personalnot

Dieses Personal müsse bezahlt – und erstmal gefunden – werden. Gar nicht so einfach in der derzeitigen Lage, sagt Heinle. „Viele Unternehmen klagen im Moment über Personalnot, während der Lockdowns haben sie viele Mitarbeiter verloren, die mit den Kurzarbeitergeld finanziell nicht zurechtkamen und sich andere Jobs gesucht haben.“

HBW-Geschäftsführerin Sabine Hagmann legt noch eine Schippe drauf. „Während es im ÖPNV verständlicherweise keine Nachweiskontrollen gibt, wird diese für Händlerinnen und Händler kaum leistbare Aufgabe dem Handel aufgebürdet“, sagt sie: „Die Kontrollpflicht muss weiter in öffentlicher Hand bleiben. Stichprobenartige Kontrollen, wie an den Grenzen zu unseren Nachbarländern, wären hier eine mögliche Lösung, mit der der Handel durchaus leben könnte“.

Doch nicht nur das Personal könnte für viele Händler zum Problem werden. Auch für Kunden hätte die Alarmstufe beim Einkaufen Auswirkungen. „Zu erwarten wären auf jeden Fall Schlangen vor der Tür“, sagt Heinle. Das wirke bei einem Stadtbummel abschreckend. Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, könnten den Testaufwand scheuen und ganz wegbleiben. Heinle: „Wir befürchten, dass die erneuten Umsatzeinbußen im Zweifel auch zu Geschäftsschließungen führen könnten.“ Hagmann erklärt, dass viele Handelsgeschäfte nach wie vor vom finanziellen Kollaps bedroht seien. Erwartet Heinle von den Kunden im Falle der 3-G-Regel negative Reaktionen? „Gerade die geimpften und genesenen Kunden haben kein Verständnis mehr, wenn sie nun doch wieder anstehen müssen und Kontroll- und Nachweispflichten herrschen.“

Bundesverband gegen Ausweitung

Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, der bundesweit den Handel vertritt, hofft, dass die baden-württembergische 3G-Regelung nicht in anderen Bundesländern Schule macht. Denn es gebe überhaupt keine Notwendigkeit, Zutrittsbeschränkungen für den Einzelhandel zu erlassen. „Die Branche hat mit ihren funktionierenden Hygienekonzepten bewiesen, dass sicheres Einkaufen auch in Pandemiezeiten gewährleistet ist.“ Die Politik dürfe die Händler nicht mit unüberlegten Maßnahmen in die nächste Krise stürzen: „Wir müssen die Pandemie zielgenau und mit Augenmaß bekämpfen.“

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Erstellt:
28.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 28.09.2021, 06:00 Uhr

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