Bildung auf dem Bildschirm

Haben Lehrer nach Feierabend gestemmt: eine digitale Lern-Plattform

Schüler machen Aufgaben am Tablet-PC, Lehrer geben Rückmeldungen, Eltern informieren sich über den Stand ihrer Kinder: An mindestens 53 Schulen im Land wird die Plattform „Diler“ eingesetzt. Die Lehrer, die sich jetzt in Hechingen treffen, haben das Programm mangels Alternativen selbst entwickeln müssen – und zwar nachts.

09.06.2016

Von Eike Freese

Haben Lehrer nach Feierabend gestemmt: eine digitale Lern-Plattform

Mössingen/Hechingen. Sie sind eine bemerkenswerte Mixtur aus Start-Up, Selbsthilfegruppe und Nicht-Regierungs-Organisation: die Leute der Digitalen Lernplattform „Diler“, die in der kommenden Woche in Hechingen zur Konferenz laden. In den vergangenen Jahren haben sie Feierabend um Feierabend geopfert, um ein Lern- und Lehr-Programm für Rechner und Tablet-PCs zu entwickeln. Vor allem für Gemeinschaftsschulen, vor allem für Schüler der Stufen 5 bis 10. Nach dem Start im Jahr 2012 wird es aktuell an 53 Einrichtungen in Baden-Württemberg eingesetzt, 1500 Lehrer sind registriert. Und das hat auch einen traurigen Aspekt.

Traurig deshalb, weil hier Lehrer jenseits ihres bezahlten Arbeitsalltags unentgeldlich Dinge realisieren müssen, die von Schulen durchaus nachgefragt werden. „Das ganze läuft nachts“, sagt Mit-Entwickler Mirko Sigloch auf die Frage, wann er und seine Kollegen Zeit finden, Strukturen und Inhalte des Programms zu entwickeln. Fachlehrer Sigloch, 40 Jahre alt und gebürtiger Mössinger, hat vor fünf Jahren mit „Diler“ begonnen, um seine Schule mit zeitgemäßer Lern-Software auszustatten.

Der Bedarf hat auch mit der Schulform der Gemeinschaftsschule zu tun. An Siglochs Heimatschule, der Alemannenschule in Wutöschingen, zieht man die Idee des individuellen Lernens ziemlich konsequent durch. Klassen gibt es keine, wenn ein Schüler im „Lern-Atelier“ stundenlang Mathe machen möchte, wird das unterstützt. Das eigenentwickelte Programm soll das neue Lernen in vielerlei Hinsicht unterstützen: Wo und wie auch immer er lernt – auf dem Computer soll der Schüler Aufgaben finden, mit denen er seine Fähigkeiten beweisen kann. Lehrer entwickeln eigene Tests, sie kommentieren und dokumentieren, was der Schüler drauf hat und was nicht. Eltern bekommen einen Überblick über die fachliche Entwicklung des Kindes. „Das ist nicht unwichtig, weil die Schüler aus einer Gemeinschaftsschule ja ohne Hausaufgaben nach Hause kommen“, sagt Sigloch.

Lehrer, die in ihrem Schulalltag eine solche Lehr- und Lern-Software einsetzen wollen, haben derzeit auf dem Markt nicht besonders viele Alternativen. Das landeseigene E-Learning-Projekt für Schulen – auf Basis der Lernplattform „Moodle“ – kommt überaus sperrig daher und wird kaum nachgefragt. Gerade für jüngere Schüler ist das System, das eher den Charme einer Buchhaltungs-Software verströmt, wenig ansprechend und benutzerfreundlich. Private Anbieter, Verlage etwa, haben eigene Produkte – doch allzu oft nehmen sie es mit dem Datenschutz nicht genau. „Die Daten von Schülern und Lehrern werden da auf privaten Servern gespeichert“, sagt Informatik-Lehrer Mirko Sigloch: „Das ist natürlich ein No-Go.“

Speziell an Gemeinschaftsschulen, findet Sigloch, gebe es noch weitere Probleme, bei der solche Software helfen kann. Da ist für ihn vor allem die Frage nach geeigneten Lehrmitteln: Derzeit noch übliche Schulbücher hülfen in Aufbau und Inhalt oft nicht weiter beim hochgradig individualisierten Lernen, für das die Gemeinschaftsschule ja eigentlich da sei. „Diese Bücher haben oft das Mittelmaß der Schüler als Standard“, meint Sigloch: Durchstarter unter den Schülern seien auf die Art oft unbefriedigt, Langsame überfordert. Auf seiner Non-Profit-Plattform würden Lehrer mehr Material für mehr unterschiedliche Schüler bereitsstellen.

Auch dort also, beim reinen Inhalt, sind die Pädagogen selbst gefordert. Sie haben deshalb ein so genanntes „Material-Netzwerk“ gegründet, an dem 40 Schulen im Land teilnehmen. Dort entwickeln Lehrer Arbeitsblätter, Lehr- und Anschauungsmaterial für die Gemeinschaftsschule und stellen es den Kollegen über die Plattform zur Verfügung. Die übernehmen dann jeweils das, was sie an der eigenen Schule für wertvoll erachten. Da auch die Schullandschaft sich immer weiter individualisiert, sieht auch die Plattform immer anders aus, sagt Sigloch. Das Programm ist zudem „Open Source“: Schulen bekommen es grundsätzlich kostenlos und können es auch strukturell verändern.

Am kommenden Dienstag trifft sich die Gemeinschaft der „Diler“-Freunde in Hechingen zum eintägien Erfahrungsaustausch (siehe Info-Box). Es sind vor allem Lehrer von Gemeinschaftschulen aus dem Land, die sich an dem Projekt beteiligen. Zwar sind auch deutsche Schulen aus Ägypten oder Saudi-Arabien Teil der Community. Die meisten Mitmacher kommen aber aus Reutlingen, Weil im Schönbuch oder Kornwestheim.

Sie verbindet das Gefühl, es gehe nicht schnell genug mit der Digitalisierung an den Schulen im Land. „Wir entlassen unsere Schüler in eine digitalisierte Welt“, sagt Mirko Sigloch, „also sollte das Arbeiten am und mit dem Computer auch an der Schule einen hohen Stellenwert haben.“

Er selbst findet, dass dies bei Schülern auch zu einem souveräneren Umgang mit dem Arbeitsmittel Rechner führe: „An unserer Schule, und das ist sicher ein Sonderfall, bekommt jedes Kind ein eigenes I-Pad“, sagt er, „und dennoch ist es nicht so, dass die Schüler den ganzen Tag am Rechner sitzen.“

Auch ein Tag an einer PC-freundlichen Gemeinschaftsschule sei so strukturiert, dass sozialer Austausch, individuelle Gespräche, Gruppenarbeiten und persönlicher Unterricht den Hauptanteil haben. „Gemeinschaftsschule heißt Gemeinschaft, so einfach ist das“, sagt Sigloch. „Wir sollten nicht glauben, das sei nur deshalb nicht möglich, weil ein Schüler ein Tablet statt eines Buchs in der Hand hat.“

Bislang sind Bildschirm-Schultafeln, so genannte Whiteboards (Bild oben), noch an wenigen Schulen im Land verbreitet. Tablet-PCs (mittleres Bild) gibt es schon häufiger. Unter den „Diler“-Aktiven koordiniert Valentin Helling (links) das Netzwerk für Lern-Material, Mirko Sigloch (rechts) die digitale Plattform.Privatbilder

Bislang sind Bildschirm-Schultafeln, so genannte Whiteboards (Bild oben), noch an wenigen Schulen im Land verbreitet. Tablet-PCs (mittleres Bild) gibt es schon häufiger. Unter den „Diler“-Aktiven koordiniert Valentin Helling (links) das Netzwerk für Lern-Material, Mirko Sigloch (rechts) die digitale Plattform.Privatbilder

Haben Lehrer nach Feierabend gestemmt: eine digitale Lern-Plattform

Für Lehrer, Eltern, Gemeinden: „Diler“-Tagung in Hechingen

Die Tagung des Projekts zum Digitalen Lernen heißt „DilerCon“ und dauert am kommenden Dienstag, 14. Juni, von 12.30 bis 18 Uhr. Auf dem Hechinger Hofgut Domäne sind Lehrer, Eltern und Mitarbeiter von Gemeinden eingeladen. Um 13.30 Uhr beginnen öffentliche Vorträge zur Digitalisierung, zum Individualisierten Lernen (14.30 Uhr), zur Arbeit von Gemeindeverwaltungen zur Unterstützung von Gemeinschaftsschulen (15.45 Uhr) und zu den Bildungsstandards in Gemeinschaftsschulen (16.30 Uhr). Interessierte können sich im Internet auf digitale-lernumgebung.de anmelden –

oder kurzentschlossen kommen.

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Erstellt:
09.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 09.06.2016, 01:00 Uhr

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