Nationalmannschaft

Gut, aber nicht gut genug

Die knappe Niederlage zum EM-Auftakt gegen abgezockte und souveräne Franzosen offenbart Potenzial und Mängel der DFB-Elf.

17.06.2021

Von CARSTEN MUTH

Gewagte Rettungsaktion: Mats Hummels trennt den enteilten französischen Angreifer Kylian Mbappè im allerletzten Moment vom Ball. Foto: Franck Fife/afp

Gewagte Rettungsaktion: Mats Hummels trennt den enteilten französischen Angreifer Kylian Mbappè im allerletzten Moment vom Ball. Foto: Franck Fife/afp

München. Die Franzosen konnten es gar nicht abwarten. Zehn Minuten vor dem deutschen Team liefen die Stars des Weltmeisters auf den Rasen der Münchner EM-Arena, um sich aufzuwärmen und in Stimmung zu bringen für das große Duell mit dem Nachbarn. Die gut 3000 französischen Fans hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen. Sie spendeten ihren Stars einen donnernden Applaus. Offenbar in der Gewissheit, dass es an diesem lauschigen Abend in der bayerischen Landeshauptstadt sowieso nur einen Sieger geben würde: ihre Èquipe Tricolore.

Tatsächlich gewannen die Franzosen dieses Auftaktspiel in der Gruppe F. Am Ende hieß es 1:0 für Les Bleus . Ein knappes Resultat, das über die wahren Kräfteverhältnisse hinwegtäuschte. Denn dass dieser Sieg verdient war, stand mit etwas Abstand betrachtet, für viele Beobachter außer Frage. Auch wenn dies einige deutsche Spieler so nicht wahr haben wollten.

Die Deutschen verkauften sich alles in allem gut. Sie machten ein passables Spiel, hatten mehr Ballkontakte als der Weltmeister, warfen kämpferisch alles in die Waagschale. Die größere Klasse jedoch brachten am Dienstagabend die Franzosen auf den Platz. Sie wirkten eingespielter, ihre Automatismen griffen besser, die Ordnung auf dem Feld war ausgeprägter als bei der Elf von Bundestrainer Joachim Löw.

Unterm Strich offenbarte die überaus intensive Begegnung das Potenzial, aber auch die Mängel des deutschen Teams. So stand die Dreier-Abwehrformation mit Mathias Ginter, Mats Hummels und Antonio Rüdiger recht gut. Im Mittelfeld kann der Bundestrainer auf erfahrene und starke Kicker zurückgreifen. Toni Kroos und Ilkay Gündogan machten ihre Sache nach Anlaufschwierigkeiten ebenfalls gut. Ihr Pech: Sie trafen auf Kontrahenten, die noch besser waren. Auf Paul Pogba etwa, den Dominator in der Zentrale. Zu Recht wurde der schlaksige Mittelfeldspieler von Manchester United zum „ Man of the Match“ gekürt. Pogba, der das rustikale und tänzerische Spiel beherrscht, eroberte viele Bälle, spielte traumhaft schöne, das Spiel öffnende Pässe.

Die DFB-Auswahl versuchte Pogba zu bekämpfen, ihn aus dem Spiel zu nehmen. Antonio Rüdiger knabberte sogar an der Schulter des 1,91 Meter großen Franzosen. Allein, es brachte nichts. Der 29-Jährige schaltete und waltete. Mit dem kongenialen N'Golo Kanté bildete er die Schaltzentrale eines Teams, das mit dem Selbstverständnis eines Weltmeisters auftrat und häufig nicht mehr als nötig zu machen schien. „Wir wissen, dass wir unserem Anspruch als Weltmeister gerecht werden“, sagte Pogba. „Es war wichtig, mit einem Sieg zu starten. Immerhin haben wir gegen Deutschland gespielt, ein starkes Team.“

In der Tat: Die Löw-Schützlinge enttäuschten keineswegs. Sie waren gut, aber nicht gut genug für diesen Gegner, der sich kaum einmal in Verlegenheit stürzen ließ. Die DFB-Elf kombinierte ansehnlich, kam immer wieder ins letzte Angriffsdrittel. Dann aber war häufig Schluss mit lustig. Der lethargisch wirkende Kai Havertz prallte an der bestens organisierten französischen Defensive ebenso ab wie Thomas Müller oder Serge Gnabry. Nein, Furcht und Schrecken vermochte diese deutsche Angriffsreihe nicht zu verbreiten. Das war auf der anderen Seite ganz anders.

Dort ging die Post ab. Vor allem Kylian Mbappè setzte immer wieder zu seinen atemberaubenden Sprints an, bei denen nicht nur der unglückliche Eigentorschütze Mats Hummels alt aussah. Am Mittwoch meldete sich der Dortmunder nach seinem Missgeschick auf Instagram zu Wort und bedankte sich für die vielen aufmunternden Nachrichten. „Das tut gut, weil es mir so unglaublich viel bedeutet, wieder für Deutschland am Ball zu sein“, schrieb der 32-Jährige.

Bundestrainer Löw richtete den Blick schnell nach vorne. Er wähnte sein Team auf Augenhöhe mit dem Gewinner, nannte Frankreich einen „Weltmeister im Verteidigen“. Dass die Franzosen in Weltklassemanier zwei Treffer erzielten, die wegen Abseitsstellungen nicht gegeben wurden, erwähnte Löw nicht.

Nach dem Fehlstart ist der Bundestrainer voll gefordert. Im zweiten Gruppenspiel am kommenden Samstag gegen Titelverteidiger Portugal mit Superstar Ronaldo (18 Uhr/ARD und MagentaTV) steht das deutsche Team schon unter Druck. Etwas Zählbares muss her, will man das Weiterkommen bei dieser Europameisterschaft nicht aufs Spiel setzen. Joachim Löw bleibt optimistisch. Er sagt: „Wir werden uns wieder aufrichten. Wir werden das nächste Spiel dann angehen – und gewinnen.“

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Erstellt:
17.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 17.06.2021, 06:00 Uhr

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