Freizeit

Grün ist das neue Gold

Noch nie waren Kleingärten so begehrt wie heute. Interessenten belagern Kommunen und Vereine regelrecht. Wie kommt das?

27.07.2021

Von CAROLINE HOLOWIECKI

Hinter einem Mobile aus Gießkannen steht Ursula Veldhüsen in ihrem Schrebergarten. Die Parzellen sind heiß begehrt, vor allem in Ballungsräumen waren sie  schon vor Corona Mangelware. Die Beschränkungen haben die Nachfrage nochmal deutlich steigen lassen. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Hinter einem Mobile aus Gießkannen steht Ursula Veldhüsen in ihrem Schrebergarten. Die Parzellen sind heiß begehrt, vor allem in Ballungsräumen waren sie schon vor Corona Mangelware. Die Beschränkungen haben die Nachfrage nochmal deutlich steigen lassen. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Ulm. Schluss! Stuttgart hat dichtgemacht. Nicht die Rathaustür, sondern die Warteliste für einen Garten. Zuletzt ist das Liegenschaftsamt, das etwa 4500 Parzellen verwaltet, regelrecht überrannt worden. „Es gab Tage, da kamen 100 Anfragen rein“, sagt Anette Müller, die das Sachgebiet „Unbebaute Grundstücke“ leitet. Die günstigen Stückle – pro Ar (100 Quadratmeter) werden jährlich maximal 40 Euro fällig – seien schon immer beliebt gewesen. Vor Corona hätten stets um die 1500 Personen die Liste gefüllt – und wegen der geringen Fluktuation bis zu zwölf Jahre gewartet. In der Pandemie ist die Nachfrage allerdings explodiert. „Die Liste war am Schluss 4000 Personen lang“, sagt Anette Müller.

Grün ist das neue Gold, und das nicht nur in der Landeshauptstadt. Bei den Kommunen sind keine Gärten zu ergattern, bei professionellen Anbietern nicht, bei Ehrenamtlichen ebenso wenig. Beim Verein Bahn Landwirtschaft, der einstige Eisenbahnergärten verwaltet, ist in ganz Württemberg nichts zu holen, obwohl die Gesamtpachtfläche gut 2,4 Millionen Quadratmeter misst. Seit dem Ausbruch der Pandemie sei die Nachfrage „exorbitant gestiegen“, sagt Dennis Walter, der Geschäftsführer im Bezirk Stuttgart. Um dranzukommen, legten Interessenten sogar ärztliche Atteste vor, die Erholung im Grünen empfehlen. „Da ziehen die Leute alle Register“, sagt er, doch die Wartelisten seien hoffnungslos überfüllt, vor allem im Großraum Stuttgart und Friedrichshafen.

Im Ballungsraum ja, aber am Bodensee? Dennis Walter glaubt: Wo die Mieten besonders hoch sind, leben die Menschen tendenziell in kleinen Wohnungen und sehnten sich eher nach der Natur. Monika Blank, eine Sprecherin der Stadt Friedrichshafen, denkt in eine ähnliche Richtung. „Wahrscheinlich ist der Wunsch nach einem eigenen Garten für Bewohner einer Mietwohnung insgesamt größer – unabhängig davon, ob sich diese Mietwohnung in Stuttgart oder in Friedrichshafen befindet“, sagt sie.

Etwa 250 Kleingärten hat die Verwaltung zu vergeben, 351 Personen sind vorgemerkt. Ihnen stellt Monika Blank Wartezeiten von über zehn Jahren in Aussicht. Laut Harald Schäfer vom Landesverband der Gartenfreunde ist der Boom landauf, landab gleich. „Es gibt kaum regionale Unterschiede. Es gibt keinen Verein ohne Warteliste.“ Harald Schäfer nennt zwei Gründe für den Run. Vor allem bei jungen Familien sei eine Renaissance des Gemüseanbaus zu beobachten. „Back to nature“ nennt er das. „Das zieht sich schon ein paar Jahre“, befeuert hätten die Entwicklung der Bio- und Regio-Trend sowie Lebensmittelskandale.

Aufwendige Mietersuche

Auf die bestehenden Wartelisten kämen nun noch massig Menschen obendrauf, die seit dem Ausbruch der Pandemie einfach nur rauswollten. Sabine Metzger wird da allerdings hellhörig. Die Vorsitzende des Stuttgarter Bezirksverbands der Gartenfreunde – er verpachtet etwa 3000 städtische Parzellen – betont: „Wir sind glücklich über die rege Nachfrage.“ Die Suche nach geeigneten Mietern sei aber aufwendig. „Die meisten suchen einen Platz für ihre Kinder. Das sind aber keine Spielplätze. Das ist eine andere Konzeption“, erklärt sie. Die wertvollen Böden würden nur an jene vergeben, die den Obstanbau oder den Baumschnitt als ernsthaftes Hobby verstünden. Immerhin bestehe der Vereinszweck darin, Gärtnerwissen in der Gesellschaft zu halten. Harald Schäfer bestätigt das. „Dazu sind wir nach dem Bundeskleingartengesetz verpflichtet“, sagt er.

Wie Anette Müller aus dem Stuttgarter Rathaus glaubt auch er, dass sich die Lage nach Corona entspannen wird, dennoch sagt er: „Wir haben viel zu wenige Flächen.“ Die Gartenfreunde prüften daher auf Landes- und Bundesebene, wie man die Nachfrage besser bedienen könne, etwa durch kleinere Parzellen oder Gemeinschaftsgärten. Allerdings haben Kleingärtner einen mächtigen Gegner: den Wohnungsbau.

Laut Dennis Walter verliert der Verein Bahn Landwirtschaft jedes Jahr zwei bis fünf Prozent seiner Flächen. „Da haben wir keine Chance“, sagt er über die Preise, die für Bauland gezahlt werden. In Crailsheim etwa haben man so zuletzt bis zu 40 Parzellen verloren.

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Erstellt:
27.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2021, 06:00 Uhr

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