Anna-Lena von Hodenberg

Geschäftsführerin von „HateAid“: „Viele lassen sich vom Hass anstecken“

Viele haben Angst, im Netz Opfer von Anfeindungen zu werden, sagt die Geschäftsführerin von „HateAid“. Ein Gespräch über den Umgang mit digitaler Gewalt, rechtsextreme Hetz-Kampagnen und das Unvermögen der deutschen Strafverfolgungsbehörden.

20.10.2021

Von David Nau

„Ich bin absolute Digital-Enthusiastin“, sagt Anna-Lena von Hodenberg. Rausgedrängt werden dürfe aber niemand.

„Ich bin absolute Digital-Enthusiastin“, sagt Anna-Lena von Hodenberg. Rausgedrängt werden dürfe aber niemand.

Berlin. In der digitalen Welt ist Anna-Lena von Hodenberg beruflich Tag für Tag unterwegs. Die Geschäftsführerin von „HateAid“, der nach eigener Aussage bundesweit einzigen Beratungsstelle, die ausschließlich Opfer digitaler Gewalt unterstützt, kümmert sich mit ihrem Team um Menschen, die in den sozialen Medien beleidigt oder bedroht werden. Wir erreichen von Hodenberg zum Videointerview im Gästezimmer, das schon vor der Corona-Pandemie häufig zum Homeoffice wurde. Für das Gespräch nimmt sie sich eine Stunde Zeit. Trotz des ernsten Themas lacht sie viel.

Frau von Hodenberg, ich habe gelesen, dass Sonntagabend die Zeit ist, in der die meisten Menschen ihren Hass im Internet abladen. Können Sie da noch ruhig schlafen oder denken Sie schon an die viele Arbeit, die montags auf Sie zukommt?

Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt: Montag ist für uns immer Großkampftag, da rotieren erstmal alle ordentlich. Ich kann aber sonntags trotzdem noch gut schlafen.

Aber warum ist ausgerechnet der Sonntagabend so hasserfüllt?

Menschen werden aggressiv, wenn sie unter Druck oder in Stress geraten. Das Wochenende ist für viele die Zeit, in der sie Dinge tun können, die sie gerne tun. Und das ist sonntagabends zu Ende und man weiß: Morgen muss ich wieder zur Arbeit, da geht wieder der Alltag los. Da können viele Leute nicht mehr gut schlafen. Dann ist es verführerisch, ein bisschen rumzusurfen. Wenn man da auf etwas Empörendes stößt und sieht, dass schon andere ein bisschen gewütet haben, denkt man: Da wüte ich jetzt noch ein bisschen mit.

Unter dem Begriff „Gewalt“ kann sich jeder etwas vorstellen. Was genau ist denn digitale Gewalt?

Wir sind zu diesem Begriff gekommen, weil wir das Phänomen von der klassischen Hatespeech, also Beleidigungen, Verleumdungen und Morddrohungen, abgrenzen wollten. Was wir in unserer Beratungsstelle sehen, geht weit darüber hinaus. Zum Beispiel, wenn die private Adresse in den sozialen Medien veröffentlicht wird. Oder wenn auf Handys Spyware installiert wird, bei Frauen häufig von Ex-Partnern oder abgewiesenen Kollegen. Darunter fallen aber auch sogenannte Dick-Pics, also Bilder männlicher Genitalien, die Frauen geschickt bekommen.

2018 haben Sie HateAid mitgegründet. Gab es dafür einen Auslöser?

Wir hatten 2017 nach den letzten Bundestagswahlen und auch nach der Wahl von Donald Trump in den USA, bei der digitale Hasskampagnen eine große Rolle gespielt hatten, das Gefühl, dass wir etwas tun müssen. Uns wurde klar, mit wie wenig Mitteln man durch Hass in dieser Gesellschaft große Stellschrauben bewegen kann. Dieses politische Benutzen von Hass ist gefährlich für unsere offene und demokratische Gesellschaft.

Wie helfen Sie konkret Opfern digitaler Gewalt?

Wir bieten den Menschen einen Raum, um über ihre Gewalterfahrung zu sprechen. Dafür haben wir Sozialpädagoginnen, die sich mit dem Thema auskennen. Denen muss man nicht erklären, warum das schlimm war und wie man da reingeraten ist.

Gibt es Sofortmaßnahmen, die Sie Menschen empfehlen, die Opfer digitaler Gewalt werden? Zum Beispiel erstmal das Smartphone auszuschalten?

Definitiv. Es ist immer gut, sich von der Gewalt zu distanzieren und sich in eine Situation zu bringen, die Sicherheit ausstrahlt. Zum Beispiel die Nähe des Partners oder der Partnerin suchen, einen Spaziergang machen, etwas Gutes essen. Und dann sollte man schnell darüber sprechen. Je länger man damit alleine bleibt, desto mehr frisst sich das in einen hinein.

Wie geht es nach diesen Erstmaßnahmen weiter?

Wir bieten zum Beispiel an, rechtssichere Screenshots zu machen. Zudem machen wir Sicherheitsberatungen. Wir haben festgestellt, dass die Täterinnen und Täter häufig die Strategie haben, nach privaten Informationen ihrer Opfer zu suchen: Wo wohnen die, wo arbeiten die, wo gehen deren Kinder zur Schule? Wir helfen dann, Löschanträge zu stellen, die Privatsphäre-Einstellungen richtig einzustellen oder Melderegistersperren zu erwirken. Die meisten Menschen wissen nicht, dass jeder für ein paar Euro ihre Adresse beim Einwohnermeldeamt abfragen kann. Und dann unterstützen wir die Opfer bei Gerichtsverfahren, übernehmen zum Beispiel die Prozessfinanzierung.

Spirale der Aggression: Einer fängt mit Hasskommentaren an, andere folgen. Fotos: Thomas Trutschel/photothek/Imago/Andrea Heinsohn Photography

Spirale der Aggression: Einer fängt mit Hasskommentaren an, andere folgen. Fotos: Thomas Trutschel/photothek/Imago/Andrea Heinsohn Photography

Das Ziel solcher Angriffe ist, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Erreichen die Täterinnen und Täter das häufig?

Leider ja. Wenn Betroffene nicht gut betreut werden oder kein gutes Netzwerk haben, das sie auffängt, dann ist diese Taktik extrem erfolgreich. In einer Studie sagten 54 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer, die gesehen hatten, dass andere angegriffen wurden, dass sie sich nicht mehr so oft trauen, ihre politische Meinung im Netz zu sagen, weil sie Angst haben, selbst Opfer zu werden. Da sieht man, welchen Effekt das auf unsere Gesellschaft hat. Es ziehen sich nicht nur die direkt Betroffenen zurück, sondern auch alle anderen, die das mitbekommen. Das ist am Ende problematisch für unseren offenen Meinungsaustausch.

Wen trifft digitale Gewalt am häufigsten?

Wer im analogen Bereich schon diskriminiert wurde, wird auch im digitalen Bereich diskriminiert und angegriffen: Muslime, Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Menschen aus der LGBTIQ-Community. Zudem werden Journalistinnen und Journalisten und Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sehr stark angegriffen.

Also Menschen, die sich berufsbedingt in der Öffentlichkeit bewegen.

Genau. Es geht auch um eine Diskreditierung von Berufsgruppen, die Säulen unserer Demokratie sind.

Warum sollte man das alles überhaupt ernst nehmen? Ist doch, mal provokativ formuliert, nur digital.

Neuere Studien zeigen zum einen, dass Angriffe im Netz immer häufiger ins Analoge rüberschwappen. Zum anderen ist das Digitale inzwischen die reale Welt. Journalistinnen und Journalisten zum Beispiel können nicht mehr einfach das Internet abstellen, ebenso Politikerinnen und Politiker. Das Netz ist ein Raum, auf den wir nicht mehr verzichten können. Wir sollten uns lieber fragen: Was für Regeln wollen wir uns im Digitalen geben, damit wir auch in diesem Raum die Werte durchsetzen, die wir in unserem Grundgesetz haben.

Schauen wir auf die andere Seite des Smartphones: Wer sind die Täterinnen und Täter?

Der Hass kommt von überall und kann auch jeden treffen. Das sieht man, wenn man in den unpolitischen Bereich schaut: Auch in einem Schminkforum werden Leute fertiggemacht. Auffällig ist, dass die orchestrierten Hassattacken oftmals aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum kommen. Das liegt daran, dass sich diese Szene sehr gut organisiert hat. Dort setzt man, auch aus Erfahrung aus dem Trump-Wahlkampf, nicht mehr auf den Kampf auf der Straße, sondern auf einen Informationskrieg.

Aber es wüten doch auch ganz normale Menschen mit, die keinen rechtsextremen Hintergrund haben?

Die rechtsextremen Gruppen sind diejenigen, die die Brandherde legen. Dann gibt es aber auch viele, die sich vom Hass anstecken lassen. Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen hasserfüllter kommentieren, wenn die ersten zwei Kommentare unter einem Post schon hasserfüllt sind. So entsteht eine Spirale der Aggression.

Haben Sie den Eindruck, dass Polizei und Staatsanwaltschaften in Deutschland das Thema ausreichend auf dem Schirm haben?

In einigen Bundesländern gibt es Schwerpunktstaatsanwaltschaften und spezielle Einheiten beim LKA, wo Menschen arbeiten, die das Thema kennen, die digital affin sind und auch digital gut ausgestattet sind. Das sind Orte der Glückseligkeit. Der Rest befindet sich leider noch im Mittelalter. Es ist eine politische Entscheidung, ob man die Polizei und die Staatsanwaltschaften digitalisiert. Wenn man das nicht tut, darf man sich nicht wundern, wenn die nicht ihre Arbeit machen können.

Haben Sie Beispiele?

Immer wieder berichten uns Betroffene, dass sie zu Polizeidienststellen gehen und Anzeige erstatten wollen, weil sie beispielsweise auf Tiktok angegriffen wurden. Die Beamten wissen dann nicht einmal, was Tiktok ist. In anderen Fällen funktioniert das Wlan nicht richtig und die Betroffenen können die Hasskommentare gar nicht vorzeigen. Und manche Polizeibehörden können keine Screenshots abspeichern, sondern benötigen alles ausgedruckt auf Papier.

Liegt es nur an der Strafverfolgung oder reichen die Gesetze nicht aus?

Ich glaube, dass wir in den letzten zwei Jahren sehr viel weitergekommen sind. Da sind wirklich gute Grundlagen geschaffen worden. Aber ein riesengroßer Punkt ist eben die Rechtsdurchsetzung. Die Plattformen setzen zum Teil gesetzliche Vorschriften zum Löschen nicht um – und zwar im großen Stil. Das zweite Problem ist die Identifizierung der Täterinnen und Täter. Eine deutsche Staatsanwaltschaft kann Twitter nicht zwingen, Daten über Täter herauszugeben – egal, um welche Taten es sich handelt. Stattdessen muss sie freundlich fragen. Sie können noch tausende Gesetze machen, aber wenn Sie die Täterinnen und Täter nicht identifizieren können, bringt das alles nichts.

Unser Gespräch drehte sich jetzt vor allem um die negativen Seiten des Digitalen. War denn früher alles besser?

Nein, das Internet ist ein super Ort. Ich bin absolute Digital-Enthusiastin. Das Internet schafft es, dass sich viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen vernetzen. Wir müssen aber die Grundlagen dafür schaffen, dass nicht bestimmte Menschen rausgedrängt werden.

Werden Sie selbst auch angefeindet?

Ja. Ich werde vor allem beleidigt und verleumdet. Aber ich habe ein total gutes Team, das mich schützt und auch genau das umsetzt, was ich anderen Menschen rate. Ich lese davon eigentlich gar nichts. Ich lese eher das, was meinen Klienten passiert ist.

Und wie gehen Sie damit um?

Wenn man ständig passiv Gewalt konsumiert, kann man sich davon nicht distanzieren. Ich bemerke auch an mir, dass ich manchmal Hemmungen habe, mich zu äußern, wenn ich sehe, was anderen Menschen passiert. Es hilft aber, nicht immer nur auf den Hass zu schauen, sondern auch auf die Erfolge. Zum Beispiel auf den Jubel von Betroffenen, wenn sie einen Prozess gewinnen.

Gelernte Fernsehjournalistin und Gründerin von „HateAid“

Gemeinsam mit den Organisationen „Fearless Democracy“ und „Campact“ gründete Anna-Lena von Hodenberg im Jahr 2018 die Beratungsstelle „HateAid“ mit Sitz in Berlin, die sich um Opfer digitaler Gewalt kümmert. Davor arbeitete von Hodenberg als Fernsehjournalistin unter anderm für RTL und den NDR. Prominente Klientin von HateAid ist die Grünen-Politikerin Renate Künast, die mit Unterstützung der Beratungsstelle einen Grundsatzprozess gegen Facebook führt. Dabei will Künast erreichen, dass Facebook von sich aus Falschzitate löscht, die Künast zugeordnet werden. Im April dieses Jahres hat Künast deswegen eine Klage gegen Facebook eingereicht.

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Erstellt:
20.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 05sec
zuletzt aktualisiert: 20.10.2021, 06:00 Uhr

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