Was schafft eigentlich ...

Georg Sandberger?

Die Regulierungen internationaler Märkte, die Umwälzungen durch die Digitalisierung und die gesellschaftlichen Folgen des medizinischen Fortschritts: Jedes Thema für sich ist hochaktuell, spannend und komplex. Georg Sandberger beschäftigt sich gleich mit allen drei. Der 76-jährige Jura-Professor und ehemalige Kanzler der Universität Tübingen kennt keinen Ruhestand.

22.07.2016

Von Gernot Stegert

Prof. Georg Sandberger. Bild: Erich Sommer

Prof. Georg Sandberger. Bild: Erich Sommer

Georg Sandberger liebt lange Spaziergänge, liest moderne Literatur und spielt Violine. Er hat zwei Söhne, auch Juristen, und drei Enkel. Doch im Gegensatz zu anderen Pensionären füllt das nicht seinen Alltag, sondern ist nur Ausgleich. Tag für Tag sitzt der Jurist in seinem heimischen Arbeitszimmer, vertieft sich in aktuelle Themen und Fachliteratur, schreibt wissenschaftliche Aufsätze und Bücher und bereitet Vorlesungen an der Uni vor. „Ein Wissenschaftler kennt keinen Ruhestand“, sagt er. Ihn treibt die „wissenschaftliche Neugierde“ an. „Die hört nicht auf.“

Die Europäische Union zum Beispiel. Viel Falsches sei im Umlauf, beklagt Sandberger. Die EU sei kein „bürokratisches Monster“. Auch sei sie durch Wahlen ausreichend demokratisch legitimiert. Das Problem sei meist der Europarat, also die Vertretung der Mitgliedstaaten, die Reformen blockieren würden. Auf der anderen Seite dürfe die EU nicht alles regeln: „Die Subsidiarität muss wieder mehr betont werden.“ Nationale oder regionale Traditionen in Wirtschaft, Bildung und Kultur müssten erhalten bleiben. Beispielsweise der Öffentliche Personennahverkehr oder die kommunale Wasserversorgung als Teil der Daseinsvorsorge.

Die Besonderheiten müssten auch bei den Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und mit den USA (TTIP) Rücksicht finden. Dort gebe es andere Traditionen. „Unsere Umwelt- und Arbeitsstandards müssen gesichert sein. Aber das werden sie auch. Das habe ich geprüft.“ Die Kommunikation der Befürworter sei sehr schlecht. Eine Abstimmung über die Abkommen in den nationalen Parlamenten hält der Jurist für zwingend. Das sei nicht nur politisch geboten, sondern auch rechtlich. Denn CETA und TTIP greifen in „Mischbereiche“ zwischen EU und Nationalem ein.

Die Euro- und Bankenkrise ist Thema seines gerade erschienenen Buchs „Die rechtliche Ordnung von Geld, Währung und Banken“. Die Krise sei bis heute nicht gelöst, so Sandberger, die Staatsverschuldung nicht gebremst. Rettungsschirme hält der Wirtschaftsjurist für „sehr problematisch“, weil sie falsche Anreize schaffen. „Einzelne Banken hätten nicht gerettet werden müssen, nur das System“, kritisiert der Fachmann. Dass etwa die Hypo Real Estate gerettet wurde, nennt er einen Skandal. Das alleine habe den Steuerzahler schon 20 Milliarden Euro gekostet. Die Summe könne noch auf 100 Milliarden Euro steigen.

Die Bankenaufsicht sei ein „bürokratisches Monster“. Früher habe es 60 Paragraphen im Bankenrecht gegeben, heute 450. Dass Volksbanken und Kreissparkassen die gleichen Bedingungen bei der Einlagensicherung erfüllen müssen wie solche mit Risikogeschäften, sei „nicht in Ordnung“.

Nicht nur die Finanzmärkte, auch die digitalen brauchen Regeln, so der Wirtschaftsjurist. Sie seien weitgehend unreguliert, es gebe „enorme Defizite“. Das Problem: Für Inhalteanbieter wie Zeitungen, Radio und Fernsehen gelten Gesetze und Kodices, nicht aber für Plattformen wie soziale Medien. „Da gibt es einen riesigen regulatorischen Nachholbedarf“, sagt Sandberger. Um beispielsweise Google in den Griff zu bekommen, brauche es neue Kriterien für den Marktbegriff im Wettbewerbsrecht. Denn Googles Macht „definiert sich nicht mehr nach Umsatz“. Eine Regulierung müsse global erfolgen. Aussichtslos? Keineswegs, meint der Experte. Bei der Welthandelsorganisation (WTO) geschehe schon einiges.

Beim Urheberrecht für Digitales sei man schon weiter. In diesem Gebiet arbeitet der Tübinger Jurist schon lange und ist immer noch als Gutachter gefragt, jüngst zur Zweitverwertung von Wissenschaftsliteratur. Er hält nichts davon, Aufsätze gratis online zu publizieren: „Wir müssen aufpassen, dass die Verlage nicht vor die Hunde gehen.“ Andererseits mahnt er diese, auf der Jagd nach hohen Renditen bei den Preisen nicht zu überziehen. Das behindere den Zugang zum Wissen.

Auch sein drittes aktuelles Hauptthema beschäftigt Sandberger schon Jahrzehnte: die Medizinethik. „Mich hat die Medizin schon immer interessiert.“ Denn sie habe mit dem Menschen und der Wissenschaftsentwicklung zu tun. Der Spross einer Münchner Bildungsfamilie – der Urgroßvater war Professor für Geologie, der Großvater für Musikwissenschaften, beide Eltern waren Historiker – fühlt sich „dem humanistischen Menschenbild“ verpflichtet. Medizin dürfe nicht nur funktional betrachtet werden. Als Mitglied der Ethikkommission wacht Sandberger seit 15 Jahren darüber und ist sich sicher: „In Tübingen herrscht ein hohes Bewusstsein für das Menschliche der Medizin.“ Tierversuche müssten streng geregelt werden, seien aber unverzichtbar. Alternativen seien Menschenversuche.

Als Universitätskanzler hat Sandberger den Umzug des Universitätsklinikums und dessen Ausgliederung begleitet und vorangetrieben. Auf die Entwicklung ist er stolz: „Das UKT und die medizinische Fakultät haben eine herausragende Entwicklung genommen.“ Wie überhaupt die ganze Universität, lobt er seine Nachfolger an der Uni-Spitze.

24 Jahre hat der Jurist die Uni-Verwaltung geführt und nebenher stets weiter wissenschaftlich gearbeitet, auch über Hochschulen und ihre Strukturen. Für den nunmehr 76-Jährigen war das ideal: „Ich habe Glück im Leben gehabt: Ich habe die Wissenschaft und die Wissenschaftsorganisation verbinden können.“ Dass auch andere das sehen, davon zeugen zahlreiche Ehrungen, von denen er gar nicht viel erzählen mag.

Zur Person Georg Sandberger

Georg Sandberger wurde am 28. April 1940 in München geboren. Nach dem Studium in München und Münster und der Promotion 1967 in Tübingen (1969 erschien die Arbeit mit dem Titel „Die Nichtigkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Beschlüsse im Recht der EWG“) war er für ein Jahr als Research Fellow an der University of Michigan Law School, Ann Arbor in den USA, und anschließend als Akademischer (Ober)Rat an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen tätig.

1979 wurde Sandberger zum Kanzler der Universität Tübingen gewählt und blieb dies 24 Jahre bis zum Ruhestand 2003.

Neben seiner Tätigkeit als Universitätskanzler und darüber hinaus war Sandberger als Honorarprofessor der Juristischen Fakultät in Forschung und Lehre aktiv. Zu seinen
Forschungs- und Lehrschwerpunkten zählt das Handels-, Gesellschafts- und das Wettbewerbsrecht sowie das Recht des Geistigen Eigentums. In diesen Bereichen publizierte er zahlreiche Aufsätze und Bücher.

Sandberger war Berater des Ministeriums
für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg bei der Hochschulgesetz-Novelle 2005 und ist Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Uni Tübingen. Auch überregional ist er als Gutachter
und Berater gefragt.

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Erstellt:
22.07.2016, 07:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 57sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 07:00 Uhr

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