Reutlingen
Gedenken an die Pogromnacht 1938 und ein exemplarisches Schicksal
Mit Nelken und Kerzen sind am Mittwochabend mehr als 100 Reutlingerinnen und Reutlinger von der Marienkirche zur Gedenktafel am Heimatmuseumsgarten gezogen, wo Rabbiner Mordechai Pavlovsky ein Kaddish-Gebet gesprochen hat.
Zuvor hatten sie in der Kirche am jährlichen Gedenken zur Pogromnacht am 9. November 1938 teilgenommen. Schülerinnen und Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums berichteten dort von Eindrücken einer Klassenfahrt zum Konzentrationslager Buchenwald: „Wir waren entsetzt und überwältigt von diesen unmenschlichen Verbrechen.“ Diese verdeutlichten die Zehntklässler am Beispiel des jüdischen Schuhhändlers Heinrich Rosenrauch. In der Pogromnacht hatten die Nazis in dessen Geschäft die Auslagen demoliert und die Schuhe auf die Straße geworfen. Daran haben die Schüler am Mittwoch vor der Andacht mit einer Aktion am früheren Haus der Rosenrauchs in der Wilhelmstraße 31 erinnert: Mit aufgetürmten Schuhen und Gedenkkarten suchten sie das Gespräch mit Passanten. Eine 90-Jährige beteuerte prompt, in ihrer Familie sei niemand schuld an den Vorfällen gewesen. Es sei nicht die primäre Intention der Aktion gewesen, Menschen zu beschuldigen, unterstrich Martin Burgenmeister von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Reutlingen später in der Andacht: „Aber das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir die Taten nicht verdrängen und vertuschen.“ Die Zehntklässler und ihr Lehrer Daniel Felder haben das Schicksal der Rosenrauchs zum Anlass für Gedanken über den Begriff Heimat genommen. Man müsse bereit sein, seine Heimat zu teilen – sonst schließe man andere aus, forderten sie. Heinrich Rosenrauch überlebte die KZs Stutthof und Buchenwald, seine Mutter wurde in Riga von den Nazis ermordet. Er und seine Frau Alice eröffneten nach dem Krieg in Kolumbien ein Möbelgeschäft. 1970 kehrten sie nach Deutschland zurück. „Vergessen kann ich nie. Aber ewig hassen kann ich auch nicht“, zitierten ihn die Schüler.