Interview

Finanzexperte: „Gebühren zurückfordern“

Das Urteil des BGH zu unrechtmäßig erhobenen Bankgebühren kommt die Geldinstitute teuer, sagt der Finanzexperte Niels Nauhauser.

15.06.2021

Von ROLF OBERTREIS

 Einen ganzen Batzen Geld kann man erwarten, wenn eine Bank die Kontogebühren für drei Jahre erstatten muss. Foto: Ute Grabowsky/photothek.net via www.imago

Einen ganzen Batzen Geld kann man erwarten, wenn eine Bank die Kontogebühren für drei Jahre erstatten muss. Foto: Ute Grabowsky/photothek.net via www.imago

Frankfurt. Banken und Sparkassen dürfen Kontogebühren nicht weiter ohne ausdrückliche Zustimmung von Kunden zu erhöhen, hat der Bundesgerichtshof (BGH) geurteilt. Die Kunden können Rückforderungen bis mindestens 2018 stellen. Niels Nauhauser, der Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, gibt dazu Auskunft.

Haben Sie schon einen Überblick, wie viele auf das Urteil reagiert haben und von Ihrer Bank oder Sparkasse zu viel gezahlte Gebühren zurückfordern? Erwarten Sie eine Welle von Rückforderungen?

Niels Nauhauser: Uns liegen erste Rückmeldungen von Verbrauchern vor, die ihre Ansprüche geltend gemacht haben. Allerdings haben wir noch keine Informationen darüber, wie die Banken mit den Ansprüchen umgehen. Wir rechnen durchaus mit einer Welle von Rückforderungen.

Wenden sich Bankkunden auch an die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg?

Ja, das passiert immer häufiger.

Hat die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg einen Musterbrief vorbereitet, der abgerufen werden und für ein Schreiben an die Bank oder Sparkasse genutzt werden kann?

Wir haben gemeinsam mit den anderen Verbraucherzentralen einen Musterbrief erarbeitet und jeweils ins Internet gestellt. Er ist auch über unsere Homepage abrufbar. Wie auch alle notwendigen Informationen zum BGH-Urteil.

Bis wann können zu viel gezahlte Gebühren rückwirkend eingefordert werden?

Es ist noch nicht abschließend geklärt welche Verjährungsfrist für die Rückforderung der Bankgebühren gilt. Auf jeden Fall können die Entgelte der vergangenen drei Jahre zurückgefordert werden. Betroffene können also noch bis zum 31. Dezember 2021 Ansprüche bis mindestens einschließlich 2018 geltend machen. Dieser Punkt wird vor dem BGH noch weiter diskutiert werden. Unseres Erachtens können aber auch Gebühren der letzten zehn Jahre zurückgefordert werden.

„Jeder Betroffene muss selbst aktiv werden“: Niels Nauhauser, Finanzexperte. Foto: Wolfram Scheible/Verbraucherzentrale Baden-Württemberg

„Jeder Betroffene muss selbst aktiv werden“: Niels Nauhauser, Finanzexperte. Foto: Wolfram Scheible/Verbraucherzentrale Baden-Württemberg

Können Sie abschätzen, um viel Geld es im Einzelfall geht? Raimund Röseler, der Exekutiv-Direktor der BaFin, spricht insgesamt von einem halben Jahresüberschuss der Branche, was auf einen Milliardenbetrag hinauslaufen würde.

Die Beträge werden im Einzelfall sehr unterschiedlich sein. Es gibt auch heute Girokonten, die null Euro kosten und andere, für die Institute bei vergleichbarer Leistung 200 Euro im Jahr verlangen.

Haben Sie ein Beispiel?

Auf unserer Homepage haben wir das für einen Kunden durchgerechnet, der 2015 ein gebührenfreies Konto eröffnet hat. Im Mai 2017 hat die Bank die Gebühr auf fünf Euro monatlich festgesetzt, im Februar 2020 auf zehn Euro erhöht. Jetzt können mindestens die Gebühren zurückgefordert werden, die seit Anfang 2018 erhoben wurden. In diesem Fall für 25 Monate bis Februar 2020 jeweils fünf Euro, also125 Euro. Und dann von Februar 2020 bis Mai 2021 für 16 Monate insgesamt 160 Euro. Es geht also in diesem Beispiel um mindestens 285 Euro.

Wie realistisch schätzen Sie die Chancen ein, dass die Institute zu viel gezahlte Gebühren zurückzahlen, weil sie bei Erhöhungen unerlaubterweise stillschweigend die Zustimmung der Kundinnen vorausgesetzt haben?

Das bleibt abzuwarten. Dass die Institute von sich aus auf alle Betroffenen zugehen und die rechtswidrig erhobenen Entgelte erstatten, wird wohl nicht passieren. Jede und jeder Betroffene muss da selbst aktiv werden. Das ist natürlich mit Aufwand verbunden.

Wie lange kann es dauern, bis eine Erstattung durch die Bank oder Sparkasse erfolgen dürfte?

Auch das bleibt abzuwarten. Es gibt aber bereits erste Anwaltskanzleien, die anbieten, das Inkasso für die Betroffenen zu übernehmen. Der Druck für Kreditinstitute ist also groß.

Wie sollten sich Kunden verhalten, wenn die Bank oder Sparkasse jetzt die Gebühren erhöht? Es bedarf ja einer ausdrücklichen Zustimmung.

Das muss jeder für sich entscheiden. Bei der Stiftung Warentest findet man eine aktuelle Übersicht der Konten, für die Sie keine Gebühren zahlen müssen.

Erwarten Sie, dass Banken oder Sparkassen Konten und Depots kündigen, wenn eine Gebührenerhöhung nicht akzeptiert wird?

Beides können wir nicht ausschließen. Deswegen ist es hilfreich, sich vorab über preiswerte Alternativen zu informieren.

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Erstellt:
15.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec
zuletzt aktualisiert: 15.06.2021, 06:00 Uhr

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