Banken

Fusion auf Augenhöhe

Was die Tübinger Volksbank mit ihren Partnern aus dem Steinlach-und Wiesaztal beim angekündigten Zusammenschluss mit Herrenberg-Nagold- Rottenburg erst noch vor sich hat, ist zwischen den Volksbanken von Reutlingen und Sindelfingen-Böblingen bereits über die Bühne gegangen. Dort ist vor gut einem Jahr eine der größten Volksbanken im Land mit derzeit rund 77 000 Mitgliedern, 176 000 Kunden und knapp 4,74 Milliarden Euro Bilanzsumme entstanden.

17.12.2021

Von TEXT: Matthias Reichert|FOTO: Horst Haas

Es war „von Anfang an eine Fusion auf Augenhöhe“, unterstreicht der Reutlinger Regionalvorstand Holger Hummel. Und eben keine Übernahme eines kleineren durch ein größeres Bankhaus. Ziel sei gewesen, jeweils das Beste beider Häuser mitzunehmen. Das Gros der Kunden habe die Fusion mitgetragen. „Weil wir die Gesichter nicht ausgetauscht haben“, so Hummel. „Wir bleiben immer noch die Volksbank Reutlingen“ – im Genossenschaftsregister so als eine von sechs Zweigniederlassungen der „Vereinigten Volksbanken“ eingetragen und mit weiterhin 19 Filialen im Kreis Reutlingen. Die Fusionspartner hätten sich bewusst für ein sogenanntes Niederlassungskonzept entschieden, das die regionale Identität vor Ort bewahrt. So ändert sich für die Reutlinger Kundinnen und Kunden wenig. Sie gehen weiter zu ihrer Volksbank Reutlingen, während im Hintergrund die zentralen Bereiche einer Großbank für sie tätig sind. So ein Konzept hätten bundesweit bisher nur vier große Banken realisiert, sagt Hummel.

Der Zusammenschluss ist nach gut einem Jahr abgeschlossen. Die technische Fusion ging am Wochenende vor dem 23. November 2020 vonstatten. Dabei hat das Rechenzentrum der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken die Kundendaten und Bankbestände der Fusionspartner zusammengeführt. Formal wurden die Reutlinger Daten denen der Vereinigten Volksbank als der übernehmenden größeren Bank zugeordnet. Das bedeutete für Reutlinger Kunden eine neue IBAN-Nummer. Für die allermeisten sei die eigentliche Kontonummer aber gleichgeblieben: „Wir hatten Gott sei Dank kaum identische Nummern bei beiden Banken“, sagt Regionalvorstand Hummel.

Holger Hummel, Regionalvorstand Volksbank Reutlingen

Holger Hummel, Regionalvorstand Volksbank Reutlingen

60 bis 70 Prozent der Kunden hätten ihre Bankdaten zum Beispiel für Lastschriften seither schon geändert. Ein bis zwei Jahre seien solche Buchungen noch mit der alten IBAN möglich, sagt Hummel. „Das läuft wie bei einem Nachsendeauftrag.“ Große Dienstleister wie Fair-Energie oder Telekom hat die Volksbank selbst angeschrieben. Diese stellten die Kontendaten dann eigenständig um, „da mussten die Kunden gar nichts tun“, sagt Andrea Anstädt, Leiterin der Unternehmenskommunikation. Dennoch liefen bei der Bank die Telefone heiß – weil viele glaubten, sie müssten ihre Daten sofort ändern. „Am Tag nach der Umstellung waren unsere Telefone und Schalter ausgelastet wie nie“, sagt Hummel. Für einen Nachmittag brach sogar die Telefonanlage zusammen. „Alle wollten Informationen haben. Das waren sieben harte Tage.“ Was vor allem für Reutlingen galt. In der Böblinger Zentrale war es ruhiger – weil dort die IBAN-Nummern unverändert blieben. Irritationen schaffte aber, dass man beim Online-Banking die Software updaten oder neu installieren musste. Kundinnen und Kunden bekamen neue Girocards für etwa 38 000 Girokonten. Die Karten wurden Anfang Dezember 2020 verschickt – und die alten blieben vorläufig gültig. „Damit kam wieder Ruhe rein“, so Hummel. Intern hatte die Bank drei Fusionsphasen festgelegt. Nach der technischen Fusion wurden bis Februar 2021 die Geschäfte so zusammengelegt, dass der Bankbetrieb funktionierte: das Kundengeschäft, Meldungen an die Bundesbank, das Auszahlen von Krediten und so weiter. Der Betrieb sei reibungslos gelaufen, die Bilanzierung begann wie gewohnt. „Die Kunden sollten möglichst wenig mitbekommen“, so Anstädt. Probleme wurden einstweilen zurückgestellt.

Zwei Banksysteme wurden zu einem – im Vorfeld hatten die Geldhäuser so viel wie möglich abgeklärt. 15 gemeinsame Projektgruppen hatten die Umstellung geplant und umgesetzt, begleitet von einer renommierten und auf Fusionen spezialisierten Unternehmensberatung. Ein gemeinsamer Lenkungsausschuss bewertete die Ergebnisse und gab einzelne Punkte zur Nachbesserung in die Projektgruppen zurück. Von Februar an wurden in einem zweiten Schritt die Abläufe harmonisiert und nachjustiert. Etwa die sogenannten Kreditstraßen, bei denen Darlehen vergeben werden. Bis Juni werteten die Banker ihre Erfahrungen mit der Umstellung aus. Ein Ziel sind schlanke, schnelle und effizientere Abläufe. Damit beschäftigt sich seit dem Sommer die dritte Fusionsphase, in der die gemeinsamen Prozesse „innoviert“ werden. Was nicht zuletzt mehr Service für die Kunden bedeute.

Ein Vorteil für gewerbliche Kunden: Sie können jetzt höhere Kredite beantragen. Wenn beispielsweise Mittelständler für mehrere Millionen Euro eine neue Lagerhalle bauen wollten, hätte die Reutlinger Volksbank alleine solche Anforderungen auf Dauer nicht mehr bedienen können. „Bei einer größeren Bank erhöht sich die Eigenkapitalausstattung, und sie kann deutlich höhere Kredite ausgeben und die Region weiter mit Geld bedienen“, sagt Hummel. Zugleich könnten bankinterne Kreditprozesse verschlankt werden. Synergien gibt es auch beim gemeinsamen Rechnungswesen.

Bisher gebe es keinen gezielten Stellenabbau, so Hummel. Derzeit hat die Bank rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings werde man Synergien nutzen, etwa wenn jemand in Ruhestand geht. „Bei jeder Fluktuation wird geschaut, ob man nachbesetzen muss oder nicht.“ Betriebsbedingte Kündigungen seien ausgeschlossen. Man müsse den Personalstand aber weiter im Auge behalten, weil der Kostendruck auf die Banken enorm sei, erklärt der Regionalvorstand. Die Fusion war auch eine Antwort darauf. Wie bei anderen Banken wirken sich die anhaltenden Niedrigzinsen auf die Erträge aus. Das erste große gemeinsame Projekt war die Einführung von Verwahrentgelten. Die gelten nun ab Einlagen von 100 000 Euro pro Kunde, bei Genossenschaftsmitgliedern ab 200 000 Euro. Die Bank gehe auf alle Kunden persönlich zu und berate über alternative Anlagemöglichkeiten.

Die Vertreterinnen und Vertreter hatten den Zusammenschluss mit weit über 90-prozentiger Zustimmung gebilligt. Corona-bedingt stimmten sie schriftlich ab. Die Pandemie ist den Fusionspartnern später sogar zugutegekommen: „So haben wir schneller das virtuelle Kommunizieren gelernt“, sagt Hummel. Beide Zentralen seien weiter voll besetzt. Doch auch Homeoffice sei schon nicht mehr wegzudenken und schaffe Räume für weitere Ideen. Derzeit beschäftigt die Banken ein Urteil des Bundesgerichtshofs, dass sie ihre Gebühren nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Kunden erhöhen dürfen. In Summe sei der regulatorische Aufwand in den vergangenen Jahren stark gestiegen, erklärt Hummel. Aktuell kämen fast wöchentlich neue Vorgaben. Ein weiterer gewichtiger Grund für die Fusion – das könne eine kleine Bank auf Dauer nicht mehr stemmen. „Wir sind alle Prozesse angegangen“ – mit dem Ziel einer gemeinsamen Unternehmenskultur. „Das kann man nicht an einem Wochenende einführen. Aber nach einem Jahr sind wir da richtig gut vorangekommen“, so der Regionalvorstand. Die Zusammenarbeit etwa in ihrem Team sei großartig, lobt Marketingchefin Anstädt: „Die Kollegen haben Lust, neue Konzepte gemeinsam zu erarbeiten. Das macht wirklich Spaß.“ Die Mitarbeiter, unterstreicht Hummel, hätten Phänomenales geleistet. Sie hätten neben dem Fusionsprojekt weiter das ganze Tagesgeschäft gestemmt – und dann auch noch die Pandemie: „Ich wäre froh, Corona wäre vorbei und wir könnten uns alle auf einer großen Party treffen.“ Gekostet hat die Fusion nach Hummels Schätzung einen niedrigen siebenstelligen Betrag. Es sei ein anstrengendes Jahr gewesen, so der Regionalvorstand – aber auch eine „wahnsinnige neue Erfahrung“, die er nicht missen wolle. Und der Zusammenschluss sei der richtige Weg gewesen, „weil wir unsere Volksbank Reutlingen erhalten konnten“.

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Erstellt:
17.12.2021, 07:54 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 25sec
zuletzt aktualisiert: 17.12.2021, 07:54 Uhr

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