Reutlingen · Coronavirus

Fünf Fälle in Reutlingen – Vorwürfe an Arztpraxis

Ein 65-jähriger Grafenberger wird im Klinikum behandelt. Vier weitere Personen sind in häuslicher Quarantäne. Eine Metzinger Arztpraxis wurde geschlossen.

10.03.2020

Von Thomas de Marco

Pressekonferenz im Landratsamt: (von links) Landrat Thomas Reumann, Dr. Gottfried Roller (Leiter Kreisgesundheitsamt), Dr. Dieter Mühlbayer, Chefarzt am Kreisklinikum, und der Kreisärztevorsitzende Dr. Günther Fuhrer. Bild: Thomas de Marco

Pressekonferenz im Landratsamt: (von links) Landrat Thomas Reumann, Dr. Gottfried Roller (Leiter Kreisgesundheitsamt), Dr. Dieter Mühlbayer, Chefarzt am Kreisklinikum, und der Kreisärztevorsitzende Dr. Günther Fuhrer. Bild: Thomas de Marco

Lange Zeit ist der Landkreis Reutlingen vom Coronavirus Covid-19 verschont geblieben gewesen – nun hat das Landratsamt am Dienstag gleich fünf laborbestätigte Fälle bekanntgegeben. Ein 65-jähriger Mann aus Grafenberg, der sich in Südtirol infiziert hat, ist am Dienstag noch im Kreisklinikum behandelt worden. Drei der vier anderen Fälle gehen auf Kontakte zu Infizierten im Kreis Heilbronn zurück: Es handelt sich um eine Mutter mit ihrem Sohn sowie eine 44-Jährige, alle aus Reutlingen. Außerdem hat sich ein 57-Jähriger aus Engstingen in Selva (Wolkenstein) in Südtirol angesteckt.

Die vier letztgenannten Personen hatten sich beim aufsuchenden Bürgerservice des Landratsamts gemeldet und sind danach mit einem Abstrich untersucht worden. „Bei ihnen war keine stationäre Einweisung nötig. Sie sind in häuslicher Quarantäne. Wir müssen nun ihre Kontakte auf mögliche Infektionsketten prüfen“, sagte Dr. Gottfried Roller, Leiter des Kreisgesundheitsamts, am Dienstag bei einer Pressekonferenz des Landratsamts.

Ganz anders verhält es sich mit dem Fall des 65-jährigen Grafenbergers: Er war Anfang März aus Südtirol zurückgekehrt und hatte am Freitag eine Arztpraxis in Metzingen mit einem ganz anderen Anliegen aufgesucht. Er hatte dabei über Fieber berichtet. Eine Ärztin schickte den Patienten wieder nach Hause.

Als er am Montag erneut in diese Praxis ging, über stärkere Erkältungssymptome klagte und von seinem Aufenthalt in Südtirol berichtete, nahm ein Arzt einen Abstrich bei dem Mann vor – ohne dies jedoch dem Kreisgesundheitsamt zu melden. „Ein klarer Fehler!“, konstatiert Landrat Thomas Reumann. Schließlich ist Südtirol seit Donnerstag als Risikogebiet bekannt. So wurde das Landratsamt erst am Dienstag vom untersuchenden Labor über die Infektion des Grafenbergers informiert.

Der Mann kam am dann Dienstag ins Reutlinger Klinikum in den Isolierbereich der zentralen Notaufnahme. Er bleibt für einen Tag zur Beobachtung im Klinikum. „Er weist keine schweren Symptome auf und ist absolut stabil“, sagt Dr. Dieter Mühlbayer, Chefarzt für Labordiagnostik und Krankenhaushygiene des Kreisklinikums. Bislang konnte mit dem Mann noch nicht über dessen Kontakte in der fraglichen Zeit gesprochen werden. Das werde bald nachgeholt, betont Roller.

Gravierend ist allerdings das Fehlverhalten der Arztpraxis, die den Grafenberger zwei Mal wieder nach Hause geschickt hatte, ohne das Landratsamt oder das Gesundheitsamt zu informieren. „Es ist ärgerlich, dass der Mann zwei Mal in einem Wartezimmer gesessen ist. Das erschwert deutlich die Suche nach den Kontaktpersonen“, sagt Landrat Reumann. Beim zweiten Arztbesuch soll der Infizierte im Wartezimmer gehustet haben. Die Praxis, die in Metzingen liegt, ist am Dienstag geschlossen worden – laut Anrufbeantworter bis 24. März. Nun wird geklärt, ob und wie die Räume desinfiziert werden. Vor allem müssen sämtliche Personen, die in direkten Kontakt mit dem Infizierten gekommen sind, ausfindig gemacht werden. Das sind vor allem das Praxis-Personal sowie Patientinnen und Patienten.

Das Landratsamt gibt keinerlei Informationen über die Praxis bekannt. „Wir können anhand der Praxisdaten die Patientinnen und Patienten, die zu den fraglichen Zeiten im Wartezimmer waren, ermitteln“, sagt Dr. Günther Fuhrer, der Kreisärztevorsitzende. „Wir wollen rational und sinnvoll handeln und die Leute nicht verrückt machen.“

Das Landratsamt habe alle benötigten Erkenntnisquellen, erklärt Reumann, weshalb der Öffentlichkeit die Praxis nicht genannt werde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse trotz aller Warnungen gewahrt bleiben, sagt Claudius Müller, der Ordnungsdezernent des Landratsamts.

Warnung vor Betrugsmasche/IHK bietet Hotline an

Landrat Thomas Reumann hat zum Ende der Pressekonferenz am Dienstag von einem unglaublichen Vorgang berichtet. Eine ältere Frau aus Lichtenstein habe angerufen und gesagt, bei ihr habe am Montag gegen 23 Uhr ein Mann geklingelt und behauptet, er müsse einen Corona-Test machen. „Wir kommen nicht einfach unangemeldet. Außerdem zeigen wir unseren Ausweis vor“, sagt dazu Dr. Gottfried Roller, der Leiter des Kreisgesundheitsamts. Er hofft, dass sich da nicht eine neue Betrugsmasche auf den Weg macht. Die Frau fiel jedenfalls nicht darauf herein. Reumann betont auch, das Landratsamt habe sehr gute Erfahrungen mit dem vor zehn Tagen eingeführten Bürgertelefon zu Corona gemacht. Seither seien über 1100 Anrufe registriert worden. Der Service wird nun auf einen täglichen Zeitraum zwischen 8 und 20 Uhr ausgedehnt. Telefon: 0 71 21/4 80 43 99. Auch die IHK Reutlingen hat eine Corona-Hotline für Unternehmen eingerichtet. Unter der Nummer 0 71 21/20 10 vermittelt das Info-Center Experten für Firmenfragen rund ums Virus.

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Erstellt:
10.03.2020, 17:31 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 10.03.2020, 17:31 Uhr

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