Kunstmuseum Stuttgart
Frauen mit Ecken und Kanten
Die Ausstellung „Konkrete Künstlerinnen“ zeigt die weibliche Seite einer vermeintlich männlich dominierten Kunstrichtung.
Das Kunstmuseum Stuttgart bietet Molnar, ihrer Freundin Delaunay und zehn weiteren Künstlerinnen nun den verdienten Auftritt. Die Gruppenausstellung „Konkrete Künstlerinnen: Zwischen System & Intuition“ (26.?Juni bis 17. Oktober) untersucht die Rolle von Frauen im Feld der geometrischen Abstraktion erstmals in einem deutschen Museum. Ausgangspunkt der Schau ist die Sammlung Konkreter Kunst von Heinz und Anette Teufel, die seit 2009 dem Haus am Schlossplatz gehört.
Mit „Konkrete Künstlerinnen“ füllt das Museum ein weiteres Mal eine Lücke in der Kunstgeschichte, sagt die Direktorin Ulrike Groos. Künstlerinnen der Moderne hätten sich gegen Widerstände in der Gesellschaft, gegen männliche Deutungshoheiten und mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten durchsetzen müssen. Unter den Künstlern der ersten Documenta im Jahr 1955 seien nur sieben weiblich gewesen.
Eine der Frauen, die sich ganz dem Spiel von Fläche, Form und Farbe widmeten, war Sophie Taeuber-Arp, die zusammen mit Sonia Delaunay die prominenteste Konkrete im Programm und eine der Fixpunkte im Netzwerk der Konkreten Künstlerinnen ist.
Paris und Zürich waren Zentren. Aber auch Baden-Württemberg spielt eine Rolle: Galeristinnen wie Edith Wahlandt Mettler in Schwäbisch Gmünd beziehungsweise Stuttgart engagierten sich für die Künstlerinnen, Clara Friedrich-Jezler erhielt Privatunterricht bei Adolf Hölzel, Willi Baumeister und seine Frau Margarete Oehm-Baumeister waren mit Sonia Delaunay befreundet, wodurch sich zwei von der gebürtigen Ukrainerin entworfene Kleider in der Landeshauptstadt erhalten haben.
Tänzerische Rhythmik
Konkret heißt nicht automatisch streng und steril, auch mit diesem Vorurteil räumt das Kunstmuseum auf. Denn so sehr die Ausstellung nach den gesellschaftlichen Bedingungen des weiblichen Kunstschaffens zwischen den 1920er und den 1970er Jahren fragt (und vor allem über den Mediaguide und den Katalog Antworten gibt): Es ist die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten der „Konkreten Künstlerinnen“ aus drei Generationen, die den Besuch so bereichernd machen. Zu entdecken sind etwa: die Leichtigkeit bei Verena Loewensberg, die radikale Formreduktion Aurelie Nemours?, die intuitive Farbigkeit der Bilder und Wandobjekte von Geneviève Claisse, die Computerexperimente Verena Molnars, die gemusterten Leuchtkästen von Lily Greenham, die gewitzten Schreibwaren-Collagen von Marcelle Cahn.
Nicht hermetisch, sondern offen
Die Konkrete Kunst erscheint nicht als abgeschlossenes Kapitel, sie wirkt nicht spröde und abgeschlossen, sondern öffnet sich: im Fall von Lily Greenham in Richtung Fluxus und Lautpoesie, bei Charlotte Posenenske zur reinen Konzeptkunst – ihre Plastik „Vierkantrohre Serie D“ beruht auf einer Einkaufsliste für Industrieteile, die vom Kuratorinnenteam nach eigenem Gusto zusammengesetzt werden mussten. Kunst als partizipative Idee, auch dafür stehen die Konkreten, und die Frauen unter ihnen folgen diesem Ansatz mit Begeisterung.
Das Kunstmuseum geht gerne mit, sehr zum Vorteil des Publikums: Studierende der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart haben Vitrinen und Sitzgelegenheiten entwickelt, die in der Form die geometrischen Konstruktionen der Exponate aufnehmen, aber dank Schaumstoff überraschend bequem sind. Diese Ausstellung steckt voller einladender Ecken und Kanten.
Neuer Mediaguide, Katalog und Rahmenprogramm
Mit einer kostenlosen App können die Besucher des Kunstmuseums ab sofort Sammlung und Sonderausstellungen vor Ort auch digital erkunden. Der Mediaguide bietet Informationen für Kinder oder Erwachsene in deutscher oder englischer Sprache. Touren durch das Museum lassen sich mit der App individuell planen. Die Tonspuren stammen von bekannten Sprechern, zum Beispiel von Walter Sittler und Natalia Wörner. Der digitale Führer kann auf dem eigenen Smartphone oder auf Leihgeräten genutzt werden.
Der Katalog zu „Konkrete Künstlerinnen“ (Wienand Verlag, 132 Seiten, 28 Euro) bietet zudem einführende Texte und Porträts der Künstlerinnen. Zur Ausstellung ist ein umfangreiches Rahmenprogramm geplant, mehr dazu auf kunstmuseum-stuttgart.de.