Gesundheit
Frauen beklagen: „Man wird verurteilt, es wird dir schwer gemacht“
Die Versorgung mit Kliniken und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist schlecht. Für betroffene Frauen ist das teils dramatisch.
Tübingen/ Stuttgart. Als Lena Schmidt (Name geändert) sich im Januar 2020 für einen Schwangerschaftsabbruch entschied, musste sie von Tübingen aus nach Stuttgart fahren. In Tübingen werden zwar am Uniklinikum Abbrüche durchgeführt – allerdings gibt es dort nicht die Option, sich für eine medikamentöse Abtreibung zu entscheiden, wie Lena das tat. „Für mich hat sich die Versorgungslage als sehr dramatisch gestaltet“, sagt die heute 25-jährige Studentin. „Und dazu zähle ich sowohl den Zugang zu Informationen als auch den Zugang zum Eingriff selbst.“ Mangelnde Angebote und schlechte Informationslage – diese beiden Probleme werden seit Jahren bemängelt. Und beim Tabuthema Abtreibungen verschlechtert sich die Lage laut vielen Experten zusehends – zu Lasten betroffener Frauen.
„Der Ball liegt im Spielfeld des Landes“, sagt Gudrun Christ, Landesgeschäftsführerin von „Pro Familia“. Immerhin sei das Land dafür zuständig zu gewährleisten, dass die Versorgungslage mit Kliniken und Praxen, die Abtreibungen anbieten, ausreichend ist. „Für uns ist klar: In jedem Landkreis muss es ein Angebot geben“, so Christ. Schließlich zeigt die Bundesstatistik: Fast 60 Prozent der Schwangeren, die sich für einen Abbruch entscheiden, haben bereits mindestens ein Kind; „Das ist ja auch eine organisatorische Frage“, sagt Christ, etwa, wenn es um Betreuungsfragen gehe.
Lena erzählt, dass sie Glück hatte, da ihr Partner sie mit dem Auto zum Abbruch fahren konnte. Ihre Freundin Mara Günther (Name geändert) musste den Zug nehmen – da sie auch medikamentös abgetrieben hat, sogar zwei Mal, um beide Tabletten einnehmen zu können. „Das kostete Geld und Stress. Es ist traurig, dass es anscheinend so schwer ist für Ärzte, Verantwortung für ihre Patientinnen zu übernehmen“, so Günther.
Fehlende Übersicht
„Man kommt nicht an die Daten, wo überall Abbrüche durchgeführt werden“, so Markus Haist, Vorsitzender des Gynäkologenverbandes Baden-Württemberg. Florian Mader, ein Sprecher des Sozialministeriums, erklärt: „Da die Vornahme des Abbruchs nach der Beratungsregelung keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist, werden die entsprechenden Daten nicht auf den üblichen Wegen erfasst.“ Von einer gesonderten Meldepflicht habe man bislang abgesehen, da nicht auszuschließen sei, dass dies sich negativ „auf die Bereitschaft zur Vornahme von Abbrüchen“ auswirken könnte.
„Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass Abbrüche ein Teil der Gesundheitsversorgung sein sollten“, so Christ. Obwohl sie zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen gehören, sind Abtreibungen immer noch im Strafrecht angesiedelt. Das bedeutet für ungewollt Schwangere auch, dass sie den Eingriff im Regelfall selbst zahlen müssen.
Eine Umfrage von Sozialministerium und Gynäkologenverband aus diesem Jahr konnte keine repräsentativen Daten, aber einen Überblick liefern. Klar ist: Nicht in allen Landkreisen gibt es eine Möglichkeit, um abzutreiben. „Es kam heraus: Der Bereich Pforzheim ist unterversorgt, ebenso ist es um Bad Mergentheim und in der Ulmer Gegend“, so Haist.
Das Problem wird sich aber in den kommenden Jahren voraussichtlich verschlimmern: Es sind vor allem ältere Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen und die oft bis weit über den Ruhestand hinaus gearbeitet haben. Haist glaubt, dass mehr Gynäkologinnen Abtreibungen anbieten würden, wenn die bürokratische Last, die für einzelne Ärzte damit einhergeht, weniger würde: „Daher wäre es sinnvoll, wenn man schaut: Kann man Krankenhäuser für ambulante Operationen durch Gynäkologen öffnen?“ Dann müssten die Ärzte nicht „alles als Einzelkämpfer organisieren“, wie Haist sagt.
Christ sieht ebenfalls eine mögliche Lösung in den Krankenhäusern; angefangen bei den Unikliniken, die direkt dem Land unterstehen. Sie könnten verpflichtet werden, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen – bislang bietet von allen vier Unikliniken nur Tübingen den Eingriff nach der Beratungsregelung an.
Auch für Lena und Mara ist klar, dass sich etwas ändern muss: „Ich habe das Gefühl, dass das System das Thema tabuisiert und man als Betroffene das Gefühl hat, moralisch verurteilt zu werden und es einem echt schwer gemacht wird“, berichtet Mara. Lena sagt: „Ich hätte die Forderung, dass Ärztinnen und Gesundheitspolitik Verantwortung übernehmen – Schwangerschaftsabbrüche gehören für mich zu einer guten gesundheitlichen Versorgung dazu.“
An den Pranger gestellt
Ärztinnen und Ärzte haben ein Weigerungsrecht, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Neben religiösen und weltanschaulichen Gründen ist es oft auch die Angst vor Verleumdung durch Abtreibungsgegner, wegen derer Gynäkologen keine Abtreibungen anbieten. „Ich sehe immer wieder widerliche Seiten im Netz, auf denen Ärzte an den Pranger gestellt werden“, sagt Gudrun Christ von „Pro Familia“. Weil das Gesetz „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet, dürfen Ärztinnen und Ärzte, etwa auf ihrer Praxis-Homepage, nicht öffentlich informieren, dass sie Abtreibungen anbieten.