Die Blüten sind aus China
Filmtage-Winner „Birnenkuchen mit Lavendel“ läuft im Kino Museum an
Die Provence-Komödie „Birnenkuchen mit Lavendel“ eroberte das Publikum der Französischen Filmtage. Hauptdarsteller Benjamin Lavernhe spielt den Autisten Pierre. „Dem Regisseur geht es nicht um Asperger. Es geht darum, dass jemand eine andere Beziehung zur Welt hat“, sagte der 31-Jährige im TAGBLATT-Gespräch.
Im französischen Original heißt der Film „Le Goût des merveilles“. Das ist doppelsinnig: Man kann darin ein luftiges Gebäck aus der Drôme erkennen oder etwas ganz Märchenhaftes: den Geschmack der Wunder. Pierre (Benjamin Lavernhe) ist in der bittersüßen Komödie der ein wenig steife Mann im Anzug, der der Imkerin und Obstbäuerin Louise (Virginie Efira) vor das Auto läuft.
Scheu, fast gehemmt, die Arme dicht an den Körper geklemmt, sehr ernsthaft wirkt dieser Pierre. Wenn er etwas für richtig hält, äußert er apodiktische Sätze wie: „Ich mag keine Autos. Sie sind gefährlich.“ Um sich auf die Rolle vorzubereiten, hat Lavernhe, der vom Theater kommt und an der berühmten Comédie Française in Paris auch Molière, Tschechow oder Shakespeare spielt, mit einer auf Asperger-Autisten spezialisierten Psychologin gesprochen. Er schaute Dokus über Menschen mit Asperger, merkte sich die eckigen Bewegungen, die Unfähigkeit, anderen direkt in die Augen zu schauen, die Scheu vor Berührungen.
Doch Regisseur Eric Besnard sei es nicht um das Krankheitsbild gegangen: „Er wollte jemanden zeigen, der ultrasensibel ist, der sich nicht abschotten kann gegen die Welt. Jemanden, der nicht in dieser Hektik gefangen ist, sondern unbeirrt er selbst.“ Im Film sagt eine Art Ziehvater über Pierre: „Er ist ehrlich, zuverlässig und treu. Er hat kein Interesse an Geld und will niemandem etwas Böses. Er ist tatsächlich etwas Besonderes.“
Der durch den brutalen, vielleicht auch selbstverletzenden Aufprall in ihr Leben getretene Sonderling hat etwas Unbefangenes, Kindliches, das Louise längst abhanden gekommen ist. Sie ist Witwe, hat zwei Kinder, schuftet Tag und Nacht und hat trotzdem Schulden. Sie ist gefangen in den Zwängen des heutigen Alltags. Doch Pierre strahlt auch Sicherheit und Schutz aus, etwas Männliches, so Lavernhe.
Vom Theaterspielen war er schon als Jugendlicher in Poitiers fasziniert. Mit jeder Rolle hatte er das Gefühl, etwas Neues an sich zu entdecken. Die Message des Films sei anders als in romantischen Komödien, sagt er. „Der Regisseur wollte, dass die Figur sich überhaupt nicht entwickelt, sich immer gleich bleibt.“ Die Veränderung vollziehe sich nur in den Augen der Frau und der beiden Kinder.
Der deutsche Titel hat den Schauspieler überrascht. „Das ist Marketing“, sagte er nach der Preview am Freitagabend im Kino Museum, wo er nach dem Rezept für den Birnenkuchen gefragt wurde. Gedreht wurde im Sommer, verriet Lavernhe dann noch. Die stets blühenden Birnbäume im Garten von Louise seien so prachtvoll, weil sie, aus China importiert, einzeln an den Zweigen befestigt wurden. „Es war eine Heidenarbeit.“ Den Unterschied zwischen Theater und Kino beschreibt der 31-Jährige so: „Der Kamera entgeht nichts.“ Beim Drehen habe er einmal drei Stunden lang einen Grashalm anschauen müssen, für 15 Takes. „40 Leute stehen herum und schauen zu, wie man einen Grashalm anschaut. Da hat man das Gefühl, die Zeit bleibt stehen.“
Lavernhe lebt in Paris. In den Medien seien die Terroranschläge noch präsent. Doch Paris sei wie ein Ameisenhaufen. „Man schlägt darauf, und alles rennt auseinander.“ Aber dann setze das Gewusel wieder ein „und alle kommen schon wieder zusammen“. Im Kopf jedes einzelnen sehe es vielleicht anders aus. „Aber die Leute gehen nicht weniger aus“, sagt er. Plötzlich lese alles Hemingways „Paris – Ein Fest fürs Leben“. Die Absatzzahlen seien in die Höhe geschnellt.
Info „Birnenkuchen mit Lavendel“, Gewinner des Publikumspreises der Französischen Filmtage, läuft ab Donnerstag, 10. März, im Tübinger Kino Museum (ab 0).