Pandemie

Experten: Meistens nicht erforderlich

Sollten sich Kinder und Jugendliche gegen Corona impfen lassen? Kindermediziner aus Baden-Württemberg?wägen ab.

09.06.2021

Von MICHEL SCHIEFELE

Ein zwölfjähriges Mädchen erhält in einer Arztpraxis eine Corona-Impfung. Foto: Oliver Berg/dpa

Ein zwölfjähriges Mädchen erhält in einer Arztpraxis eine Corona-Impfung. Foto: Oliver Berg/dpa

Ulm. Seit dieser Woche dürfen sich die ersten Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg gegen Corona impfen lassen. Wie das Sozialministerium erklärt, gibt es das Vakzin im Impfzentrum allerdings zunächst vor allem für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, die bestimmte Vorerkrankungen haben. Auch die Ständige Impfkommission (Stiko) wird wohl die Impfung nur für Kinder mit Vorerkrankungen empfehlen. In anderen Ländern wie den USA werden gleichaltrige Kinder dagegen schon seit einigen Wochen generell geimpft. Wie ratsam ist der Pieks für junge Menschen in diesem Alter also?

Für Kinder und Jugendliche, die kein Risiko für schwerwiegende Verläufe einer Covid-Infektion haben, ist die Impfung „nicht erforderlich“, sagt Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ulm. Zumindest gehe er davon nach bisherigem Kenntnisstand aus. Gleichzeitig erklärt er, dass das Thema derzeit unter Kollegen „heiß diskutiert“ werde.

Debatin selbst verweist darauf, dass Corona bei Kindern und Jugendlichen in der Regel ohne Komplikationen ablaufe. Nur wenige Kinder seien auf der Intensivstation behandelt worden. Fast alle Patienten dieser Gruppe hätten zusätzlich an anderen Erkrankungen gelitten. Dabei handelte es sich zum Beispiel um schwere Lungenschäden oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sagt Debatin. Deshalb komme eine Impfung für Kinder mit einem solchen Risiko für den Kindermediziner infrage. Der Nachteil sei allerdings, dass man die Langzeitfolgen der Impfung derzeit noch nicht abschätzen könne.

Ähnlich sieht das Roland Elling von der Freiburger Universitätsklinik. „Es ist zu früh, um zu sagen, wir lassen alle Kinder und Jugendlichen impfen“, sagt der Infektiologe. Ein entscheidender Punkt sei, dass Kinder in eineinhalb Jahren Pandemie nur sehr selten schwer erkrankten.

Um eine wünschenswerte Impfquote in der Bevölkerung zu erreichen, sei es nicht entscheidend, gesunde Kinder zu impfen, sondern bei den Erwachsenen hohe Impfquoten zu erzielen, so Elling. Außerdem sei das Coronavirus nicht mit den Masern zu vergleichen, bei denen es eine Impfpflicht gibt. Bei den Masern seien schwere Krankheitsverläufe bei Kindern sehr gut bekannt, zum anderen wisse man vom Masern-Impfstoff, dass er „exzellent verträglich“ sei.

Long-Covid ist bei Kindern selten

Acht Tote an und mit Covid-19 in der Altersgruppe bis 20 Jahre gab es bislang in Deutschland, die meisten mit Vorerkrankungen, sagt Professor David Martin, Kindermediziner der Universität Tübingen. In Relation dazu wären mehr als 15 Millionen Kinder und Jugendliche von einer vollständigen Durchimpfung betroffen, so Martin.

Und was ist mit den Langzeitfolgen von Corona? „Long-Covid ist bei Kindern und Jugendlichen eine absolute Rarität“, sagt der Wissenschaftler mit Hinweis auf das Post-Covid-Register der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) sowie andere Auswertungen zum Thema. Die einzige Studie, die bislang in den USA mit 12- bis 17-Jährigen Geimpften publiziert wurde, komme zu dem Schluss: Von 1131 mit Biontech Geimpften (von insgesamt 2260) erkrankte niemand, während in der Placebo-Kontrollgruppe 18 Kinder und Jugendliche leicht an Corona erkrankten. „In Hochinzidenz-Zeiten verhindert die Impfung also bei wenigen Kindern und Jugendlichen eine milde Erkrankung“, erklärt Martin. Hinzu komme: 2260 Studienteilnehmer reichten bei Weitem nicht aus, um Aussagen über die Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen der Impfung zu machen.

Der Wissenschaftler der Universität Tübingen spricht deshalb für die Altersgruppe 12 bis 17 die „klare Empfehlung“ aus: „Mit der Impfung abwarten, bis wir mehr Sicherheit haben. Und in Zeiten von Impfstoffknappheit auf jeden Fall den wesentlich gefährdeteren älteren Personengruppen den Vortritt lassen.“

Einigkeit in einem Punkt

In einem sind sich die Mediziner einig: Bei der Entscheidung, ob Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen, dürfe es nicht um die Frage der damit eventuell erreichbaren Freiheiten gehen. Klaus-Michael Debatin von der Uniklinik Ulm sagt: „In keinem Fall darf die Impfung die gesellschaftliche Frage beantworten, ob Präsenzunterricht in der Schule möglich ist und ob Kinder mit den Eltern in den Urlaub fahren können.“

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Erstellt:
09.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 09.06.2021, 06:00 Uhr

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