Interview: „Mein Leben ist ein einziges Fest“

Ex-Tübinger Sven Bohse über Kritikerlob und seine Arbeit am ZDF-Dreiteiler „Ku‘damm 56“

Sven Bohse ist ein Tübinger Gewächs, Sohn von Joly und Jörg Bohse. Abi machte er an der Geschwister-Scholl-Schule und mit seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg wurde er – bingo – gleich für den Studenten-Oscar nominiert. Das war 2006. Seitdem hat der 39-jährige Regisseur und Drehbuchautor schon einige Filme und Serien produziert. Sein bisher größter Coup gelang ihm mit dem Dreiteiler „Ku‘damm 56“. Die letzte Folge ist heute um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

23.03.2016

Ex-Tübinger Sven Bohse über Kritikerlob und seine Arbeit am ZDF-Dreiteiler „Ku‘damm 56“

„Ku’damm 56“ erfährt so viel Medien-Aufmerksamkeit, wie schon lange keine deutsche Fernsehproduktion mehr. Erzählen Sie erst einmal, wie Sie an dieses Megaprojekt gekommen sind.

Ich habe bei dem Produzenten Nico Hofmann studiert. Dass mein Name neben einigen anderen in die engere Auswahl kam, habe ich vermutlich ihm zu verdanken. Ich glaube, er schätzt meinen Gestaltungswillen. Etwas Glück und ein nettes Gespräch mit Annette Hess und dem Sender in Mainz haben dann wohl ihr Übriges getan. Alle wollten frischen Wind bei diesem Eventfilm wagen und waren deshalb bereit, auf jemanden zu setzen, der in diesem Metier noch nicht so beschlagen ist.

Sie standen in diesem Fall zwischen zwei starken Persönlichkeiten, zwischen der Drehbuchautorin Annette Hess und dem Produzenten Nico Hofmann, wie viel Platz blieb da noch für die Ideen eines jungen Regisseurs?

Genügend. Der Einfluss der beiden wurde meines Erachtens in der Außendarstellung größer dargestellt, als er tatsächlich war. Die Produktion hat mir sehr viel Freiheit gelassen. Das Vertrauen in die Regisseure zeichnet die Zusammenarbeit mit Nico Hofmann und Benjamin Benedict besonders aus. Für mich war die starke Einbindung von Annette Hess zunächst ungewohnt, auch weil mir einige Dinge im Buch unklar waren oder nicht so gefallen haben. Wir haben uns aber gut verstanden und unklare Punkte, wenn nötig, mit viel Hartnäckigkeit ausdiskutiert. Das hatte auch eine Qualität.

Wie einschränkend wirkte das Budget? Was mussten Sie streichen, womit konnten Sie sich durchsetzen?

Das Budget war gemessen an anderen Projekten wie beispielsweise „Das Adlon“ eher bescheiden. Aber trotzdem konnte man einiges damit auf die Beine stellen. Am meisten geschmerzt haben mich die wenigen Komparsen. Dafür habe ich beispielsweise durchgesetzt, die drei großen Motive alle ohne große Kompromisse im Studio bauen zu lassen.

Was sind die drei großen Motive?

Es ist die Tanzschule, dann die Wohnung der Familie Schöllack, also der Tanzschul-Inhaberin und ihrer Töchter und die Wohnung Boost, nämlich die der verheirateten Tochter Helga.

Die 50 Jahre sind für Sie als jemand, der mehr als 20 Jahre danach geboren wurde, eine vergangene Epoche. Womöglich kennen Sie sich da weniger gut aus als in der bestens dokumentierten Nazizeit. Wie haben Sie sich auf das für Sie fremde Geschichtskapitel vorbereitet?

Den Sound der Fünfziger kannte ich noch von Schallplatten meiner Eltern. Über Mode, Gesellschaft, Lebensweisen, Politik et cetera habe ich mich mit der Lektüre von Bildbänden, Zeitschriften, Büchern dem Sichten von Filmen und Dokus und vor allem mit der Internetrecherche via Pinterest und Tumblr vorbereitet. Mir war es besonders wichtig, das Lebensgefühl und die Denkweise der Menschen von damals zu verstehen.

Gibt es irgendetwas, dass Ihnen aus dieser Zeit heute noch sehr lebendig erscheint?

Meine Mutter. Nein, Spaß beiseite. Die kleinkarierte Denke mancher Leute (siehe die AFD) so gut wie der Wille, sich dagegen aufzulehnen, ist heute immer noch ein aktuelles Thema. Und der Einfluss amerikanischer Pop-Kultur ist nach wie vor sehr prägend.

Und was erschien Ihnen am fremdesten?

Die Unfreiheit vor allem von Frauen, das zu tun, zu fühlen und zu denken, was sie wollen.

Ich stelle es mir stressig vor, immer auf Historientreue zu achten. Verraten Sie uns doch ein Geheimnis: Ist Ihnen irgendwo die Jetztzeit ins Bild gerutscht?

Die Scheinwerfer beim Rock’n’Roll Wettbewerb waren moderne Lampen, aber das sieht man nicht im Gegenlicht. Die meisten „Fehler“ haben wir digital retuschiert. Und an einer Stelle sieht man trotz großer Ambitionen der beauftragten Reinigungsfirma ein Graffiti an der Wand. Wo wird aber nicht verraten.

So viel Vorschusslorbeeren und auch hinterher so viele begeisterte Rezensionen, wie viele Tage haben Sie eigentlich schon gefeiert?

Mein Leben ist ohnehin ein einziges Fest, seitdem ich Vater bin. Meistens jedenfalls.

Gibt es auch Reaktionen aus Tübingen? Mutter, Lehrer, Mitschüler, Freunde, sagen jetzt alle: Boh, ist der berühmt!?

Vielleicht denken es einige, aber gesagt hat es – Gottseidank – noch keiner. Es haben sich ein paar Leute über den Film und meine Arbeit gefreut. Danke für die „Props“ (die Respektbekundungen) an dieser Stelle!

Vor rund zwanzig Jahren haben Sie`auf unserer „Flugplatz“-Jungendseite Thomas Manns Roman „Felix Krull“ als Ihr Lieblingsbuch genannt. Ist es das immer noch, wenn nicht, durch welches Buch wurde es abgelöst? Oder substituieren Sie Lesen mittlerweile durch Seriengucken?

Tatsächlich hab ich in letzter Zeit eher Serien geschaut. Aber ich halte Lesen und den eigenen Film im Kopf dabei für unschätzbar wichtig. DBC Pierres „Vernon God Little“ ist mir sehr hängen geblieben. Das hätte ich gerne verfilmt aber Werner Herzog war leider schneller. Ich hoffe, er macht was draus.

Interview: Ulla Steuernagel

Zum Artikel

Erstellt:
23.03.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 23.03.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!