Betreuer sind entsetzt: Erst gefördert, dann abgeschoben

Aus Hirrlingen wurde eine Alleinerziehende mit vier kleinen Kindern nach Belgrad rückgeführt

Die 28-jährige Frau sei in der Nacht zum Dienstag um vier Uhr von der Polizei abgeholt worden, um sie nach Serbien abzuschieben, berichtete Godehard König.

27.10.2018

Von Ulrich Eisele

Symbolbild: ©PMDesign - stock.adobe.com

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Der Hirrlinger Diakon kümmerte sich um die Familie, die seit drei Jahren in Hirrlingen lebte. Mit der Frau seien auch ihre vier Kinder abgeholt worden. Eines davon gehe in den Kindergarten, drei seien auf der Rottenburger Lindenschule.

Für Godehard König ist es „überhaupt nicht verständlich“, weshalb man die Familie jetzt abschiebt. In den vergangenen drei Jahren sei es mit viel Hilfe gelungen, die Frau und ihre Kinder zu integrieren. Die drei älteren Kinder würden wegen Handicaps auf der Lindenschule gefördert und hätten sich dort gut entwickelt.

Die Mutter lernte fleißig Deutsch in der Volkshochschule. Besonders unverständlich findet König, dass die Familie ohne die Großeltern abgeschoben wurde, mit denen sie in einem Haus lebte. „Oma und Opa waren ihre Stütze, sie haben den Mann im Haus ersetzt“, sagt König.

Entsetzt ist auch Rektor Gerald Hahn von der Lindenschule. „Offiziell weiß ich noch gar nichts“, sagt er. Die drei Kinder aus Hirrlingen seien am Dienstag nicht in die Schule gekommen. Nur „gerüchteweise“ habe er gehört, dass sie abgeschoben wurden. „Ich bin mal gespannt, wann ich offiziell informiert werde“, sagt Hahn. Die drei Kinder hätten einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Angebot, dieser erlösche ja nicht mit der Abschiebung.

Eilantrag scheiterte

Ein Rechtsanwalt aus Regensburg versuchte noch, die Abschiebung per Eilantrag zu stoppen. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen habe seinen Antrag jedoch abgelehnt, erzählt Philipp Pruy, Fachanwalt für Migrationsrecht. Er könne zum Fall jedoch nichts sagen, da er keinen Kontakt mehr zu seiner Mandantin habe und diese ihn nicht von seiner Schweigepflicht entbinden könne.

Pressesprecher Otto-Paul Bitzer vom Verwaltungsgericht Sigmaringen sagt dazu: „Der Eilantrag ist um 10.30 Uhr bei uns eingegangen. Der Abschiebeflug sollte um 11 Uhr starten. Wir mussten also ganz schnell entscheiden. Gegen die Abschiebung wurde schon einmal ein Antrag eingereicht mit der Begründung, die Handicaps der Kinder seien in Belgrad nicht behandelbar. Dieser wurde als ,offensichtlich unbegründet‘ abgelehnt. Da im zweiten Eilantrag nichts Neues gegen die Abschiebung vorgebracht wurde, musste ihn das Verwaltungsgericht ablehnen.“

Der Asylantrag der 28-jährigen Frau sei vom Bundesamt für Asyl abgelehnt worden, berichtete Pressesprecher Uwe Herzel vom Regierungspräsidium Karlsruhe, das in Baden-Württemberg zentral für Abschiebungen zuständig ist. Die Abschiebung sei angedroht worden, und „da mussten wir eben abschieben“ – so sei die Gesetzeslage. Zu den Einzelheiten des Falles könne er nichts sagen.

Andreas Linder fragt sich, was in diesem Fall möglicherweise versäumt wurde. Sein Verein move on menschen.rechte Tübingen begleitet Geflüchtete im Alltag und im Asylverfahren und setzt sich für deren soziale und politische Rechte ein. „Wenn nichts mehr geht“ – das sei bei Balkan-Flüchtlingen häufig der Fall – „empfehlen wir eine Rückkehrberatung.“ Der Verein könne Rückkehrer zudem aus seinem Soli-Fonds „Perspektiven“ unterstützen. Das sei in diesem Fall nicht geschehen.

Keine Rückkehrberatung

Kathrin Haas, die Leiterin des Sozialdienstes beim Landratsamt Tübingen, berichtet, dass die Familie eine Rückkehrberatung „bewusst nicht in Anspruch genommen“ habe. „Sonst wäre die Rückführung mit Sicherheit geordneter abgelaufen“, meint sie. Vom Sozialdienst sei die alleinerziehende Mutter und ihre vier Kinder regelmäßig begleitet und beraten worden.

Diakon König hat mittlerweile gehört, dass die Frau mit ihren vier Kindern vorübergehend bei der Schwiegermutter ihrer Schwester in Belgrad untergekommen ist; auf Dauer sei das jedoch nichts. Die Eltern der abgeschobenen Frau habe er sogleich besucht. „Denen geht es dreckig“, erzählt er. Sie würden weinen und sich große Sorgen um ihre Tochter machen.

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Erstellt:
27.10.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 27.10.2018, 01:00 Uhr

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