Telekom

Erfolg für Anleger: Mammutverfahren vor dem Ende

Im Streit um Verluste beim dritten Börsengang des Konzerns gibt es einen Vergleich: 16 000 Anleger werden voll entschädigt. Anlegerschützer sehen ein Vorbild für die Diesel-Prozesse.

24.11.2021

Von Rolf Obertreis

Jede Menge Papier füllt diese Ordner im Verhandlungssal des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Foto: Helmut Fricke/Pool/afp

Jede Menge Papier füllt diese Ordner im Verhandlungssal des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main. Foto: Helmut Fricke/Pool/afp

Frankfurt/Main. Fast 20 Jahre lang hatten sich beide Seiten in einem der größten Anlegerprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik gestritten bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Dann war es am Dienstagvormittag vor dem Oberlandgericht (OLG) Frankfurt nach nur 35 Minuten vorbei. Das Verfahren steht vor dem Ende. Die Telekom und die Anwälte von mehreren tausend Klägerinnen und Kläger stellvertretend einigten sich auf einen Vergleich, der den rund 16 000 Geschädigten, die geklagt haben, angeboten wird und deren Verluste nach dem dritten Börsengang der Telekom im Jahr 2000 nahezu komplett wettmacht.

Die Anwälte erwarten, dass nahezu alle 16 000 die Offerte annehmen werden. Bis Mitte 2022 sollen sie ihr Geld erhalten, die ersten wahrscheinlich noch in diesem Jahr. Der Vergleich dürfte die Telekom Schätzungen zufolge zwischen 80 und 90 Millionen Euro kosten. Lehnen Kläger den Vergleich ab, drohen weitere 10 Jahre, bis sie mit einer Entscheidung rechnen können.

Die Stimmung im Saal II des Landgerichts war am Dienstag mehr als entspannt. Beide Seiten lobten sich gegenseitig für die Kooperation bei der Erarbeitung des Vergleichs mit dem Bund, der Telekom und der Förderbank KfW, die knapp 17 Prozent der Telekom-Aktien hält. Peter Gundermann, Anwalt der Kanzlei Tilp und Vertreter des Musterklägers, den Erben des verstorbenen Telekom-Aktionärs Bruno Kiefer, spricht von einer „großartigen Gesprächsatmosphäre, die vom Geist geprägt gewesen ist, das Mammutverfahren zu einem vernünftigen Ende zu bringen.“ Die Anwälte der Telekom nicken und Richter Gerhard Seyderhelm vom 23. Zivilsenat des OLG lächelt: „Wir begrüßen diesen Vorschlag. Man kann sich nicht vorstellen, dass ein solcher Vergleich abgelehnt wird. Der eingetretene Schaden wird ersetzt, die Kosten zu 70 Prozent erstattet. Wir haben alles durchgerechnet und keinen Fehler gefunden.“

Beim dritten Börsengang der Telekom im Juni 2000 waren die Aktien zu 66,50 Euro ausgegeben worden, nachdem der Kurs zuvor auf bis zu 103,50 Euro gestiegen war. Doch 2001 und 2002 ging es nur noch unten bis auf 7,70 Euro. Aktionäre klagten. Der BGH entschied 2014, dass die Telekom im Prospekt für den Börsengang die Beteiligung an der US-Tochter Sprint falsch dargestellt und die Risiken nicht ausreichend beschrieben hatte.

„Das ist ein guter Tag für die Anleger und für den Anlegerschutz. Die Anleger werden voll entschädigt“, freut sich Kläger-Anwalt Gundermann. Es sei schön, dass die Telekom eingelenkt habe. Geschädigte Anleger sollten nicht noch weitere Jahre kämpfe, wenn jetzt ein solches Ergebnis vorliege. Dafür plädiert auch Telekom-Anwalt Bernd Wilhelm Schmitz. „Wir freuen uns, dass das Gericht das Angebot ausdrücklich begrüßt hat und allen Anlegern empfohlen hat, den Vergleich anzunehmen.“ Sollte das Verfahren weiterlaufen, würde es noch etwa weitere 10 Jahre bis zu einem möglichen Ende dauern, ergänzte Claudia Junker, Chefjuristin der Telekom. „Es ist jetzt an der Zeit gewesen, ein faires Angebot zu machen“.

Klaus Niedung, Vize-Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) begrüßt die Verständigung. „Wir stimmen natürlich dem Vergleich zu. Es ist absolut sinnvoll, jetzt eine Lösung zu finden“. Er blickt über den Fall Telekom hinaus. Der Vergleich müsse Vorbild sein auch für die laufenden Musterverfahren insbesondere gegen VW und Porsche im Zuge der Dieselaffäre.

Kommentar

Der Deal

im Detail

Die Kläger, die zwischen 27. Mai 2000 und 19. Dezember 2000 beim dritten Börsengang der Telekom und in den Monaten danach Aktien gekauft hatten, erhalten die Kosten des Erwerbs plus Nebenkosten in Höhe von 1,5 Prozent, sofern die Klage bis zum 27. Oktober 2003 zugestellt wurde. Angerechnet werden erhaltene Dividenden und Bonusaktien. Die Kläger behalten die Aktien, der aktuelle Durchschnittskurs von 16,50 Euro wird ebenfalls von der Vergleichssumme abgezogen. Daneben werden 70 Prozent der Prozesszinsen erstattet. otr

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Erstellt:
24.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2021, 06:00 Uhr

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