Innenstadt-Evakuierung abgeblasen

Entwarnung in Reutlingen: Verdächtiger Gegenstand doch keine Bombe

Seit 6 Uhr lief am Sonntag die Freilegung des bei Bauarbeiten in Reutlingen vermeintlich entdeckten Metallgegenstands. Wegen eines Öltanks und eines Schachts der Telekom verzögerten sich die Arbeiten. Doch dann gaben die Experten überraschend Entwarnung: Es wurde keine Bombe gefunden. Die von einer möglichen Evakuierung betroffenen 3100 Menschen mussten ihre Wohnungen nicht verlassen.

05.08.2018

Von Thomas de Marco/Jonas Bleeser

Entwarnung: Keine Bombenentschärfung in Reutlingen
02:08 min
In Reutlingen drohte eine Evakuierung von Teilen der Innenstadt: An der Ecke Bismarck- und Karlstraße war ein verdächtiger Gegenstand entdeckt worden. Experten vermuteten eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Behörden bereiteten bereits die Evakuierung vor, Doch die konnte abgeblasen werden: Es wurde keine Bombe gefunden. Video: Bleeser

Mit einem Großaufgebot von 750 Einsatzkräften haben sich Feuerwehr, Polizei, Technisches Hilfswerk und Deutsches Rotes Kreuz mit der Stadt Reutlingen auf die größte Evakuierungseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg vorbereitet gehabt. Kurz vor 11 Uhr ist dann klar: In der Karlstraße/Ecke Bismarckstraße liegt kein Blindgänger aus dem Krieg, die 3100 Menschen in dem betroffenen Gebiet können zu Hause bleiben. Messungen hatten im Vorfeld auf einen Metallgegenstand hingedeutet.

Das Protokoll der Aktion:

Begonnen hat alles kurz nach Sonnenaufgang gegen 6 Uhr: Spezialisten der Augsburger Firma Geomer Kampfmittelbergung sind an der Baustelle vor dem Imbiss Subway an der Karlstraße, die Feuerwehr kommt mit ihrem Einsatzleitungsbus. Für 6.30 Uhr hat die Stadt einen Pressetermin angesetzt. Die Bauarbeiter sind nun klar in der Minderheit: Viele Einsatzkräfte sind vor Ort und geben Journalisten Auskunft, Kamerateams machen Aufnahmen vom grünen Atlas-Bagger.

20.000 Liter Heizöl abgepumpt

Im Vorfeld war bereits ein 20 000 Liter fassender Heizöltank beim Subway leergepumpt worden. Außerdem musste ein Leitungsschacht der Telekom entfernt werden. Doch auch am Tag der Erkundung stoßen die Arbeiter noch auf Hindernisse. „Es ist keine eindeutige Lage, es gibt hier jeden Menge Einbauten“, sagt Philipp Jäger von Geomer. Schicht für Schicht wird auf mehreren Quadratmetern Grundfläche abgetragen. Die Experten gehen zunächst weiter von einem Bombenfund aus.

An der Stadthalle sammeln sich erste Betroffene

Um 8 Uhr steht der Einsatzbus der Feuerwehr mit einigen anderen Fahrzeugen vor der Stadthalle. Dort ist die Notunterkunft eingerichtet. 15 Minuten später kommen die ersten fünf Personen aus dem betroffenen Gebiet. „Die Leute nehmen das sehr ernst“, sagt Bernd Hohloch, Feuerwehr-Abschnittsleiter Stadthalle.

Auch fünf Fahrzeuge von DRK und Malteser Hilfsdienst sind vor Ort, 55 weitere Fahrzeuge stehen auf Abruf in Pfullingen bereit. „Sieben Rollstuhlfahrer und sieben Patienten, die dauerbeatmet werden müssen, haben sich im Vorfeld angemeldet“, erklärt DRK-Pressesprecher Jürgen Simon.

Die Arbeiten geraten in Verzug

Eigentlich soll gegen 9 Uhr klar sein, ob es sich um eine Bombe handelt. Doch um 9.12 Uhr werden Verzögerungen bei der Grabung gemeldet – wegen eines Öltanks, der gesichert werden muss. Die Arbeiter haben jetzt eine Tiefe von 3,50 Meter erreicht. Nun muss auch noch ein weiterer Schacht der Telekom, der über dem möglichen Blindgänger verläuft, mit Stahlträgern gesichert werden.

Die Leitungen der Telekom müssen freigelegt werden, um an den verdächtigen Fund heranzukommen. Das verzögert die Sondierungsarbeiten. Bild: Stadt Reutlingen

Die Leitungen der Telekom müssen freigelegt werden, um an den verdächtigen Fund heranzukommen. Das verzögert die Sondierungsarbeiten. Bild: Stadt Reutlingen

Die Leitungen der Telekom liegen in Kabelformsteinen, die gegen 9.50 Uhr von Hand abgeschlagen werden, damit die Leitungen frei liegen. Derweil kreist bereits ein Polizeihubschrauber mit Wärmebildkamera über dem Gebiet. Auch eine Drohne ist im Einsatz.

Erst sickert die Entwarnung durch, dann wird sie offiziell

Um 10.46 Uhr sickert dann die Meldung durch: Keine Bombe in der Baugrube! Doch die offizielle Bestätigung folgt erst um 11.04 Uhr aus dem Verwaltungsstab: Es wurde keine Bombe gefunden, die Evakuierung entfällt. „Die Firma Geomer und der Kampfmittelbeseitigungsdienst Baden-Württemberg haben Entwarnung gegeben, nachdem keine Weltkriegsbombe gefunden wurde. Das Baufeld war messtechnisch sehr kompliziert. Der Öltank und der eingebaute Schacht für die Leitungen der Telekom haben offensichtlich die Gründe für den Ausschlag bei den Messungen geliefert.“

An der Baugrube steht Ursula Brümmer, Bauführerin von der Telekom. Sie ist am Tag nach dem 50. Geburtstag ihres Freundes aus Rottenburg gekommen, um auf die Telekom-Kabel zu achten. „Gott sei dank ist denen nichts passiert“, sagt sie.

Polizei wünscht unbeschwerten Sonntag

Um 11.23 Uhr fährt ein Lautsprecherwagen der Polizei durch die Straßen: „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Bei der Suche nach einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg wurde nur ein unbedrohlicher Gegenstand gefunden, eine Evakuierug ist nicht nötig. Wir wünschen noch einen unbeschwerten Sonntag.“

Kabel verfälschten offenbar Messungen

Um 11.34 Uhr erklärt Joachim Leippert, Feuerwerker vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes, bei der abschließenden Pressekonferenz neben der Baugrube: „Störungen durch den Kabelschacht haben zu den Messergebnissen geführt, die auf eine Bombe deuteten.“ Ein Metallgegenstand ist nicht gefunden worden.

Philipp Jäger von Geomer präzisiert: „Der Stahlbeton um den Kabelschacht und der große Öltank haben die Anomalien ausgelöst.“ Er geht davon aus, dass es sich um einen früheren Bombentrichter handelt, in den in den 1950er-Jahren der Kabelschacht und in den 1960er-Jahren der Tank eingebaut wurden.“ Solche Anomalien in Innenstädten seien sehr häufig.

Reutlingens Erste Bürgermeisterin Ulrike Hotz, die den Verwaltungsstab im Feuerwehrhaus geleitet hat, ist erleichtert. „Das ist der bestmögliche Ausgang. Aber selbst bei einem Fund wäre alles gut verlaufen. Denn die Professionalität aller Beteiligten und deren hervorragendes Zusammenspiel für die Sicherheit der Bevölkerung sind beeindruckend.“

Auch der 10-jährige Joseph Alshafei hört zu. Er wohnt in einem Haus direkt neben der Grube, in der die Bombe vermutet wurde. „Bei einer Evakuierung wären wir an den Bodensee gefahren. Nun bin ich froh, dass ich hierbleiben kann.“ Spannend war es für ihn, Angst hat er aber keine gehabt. „Das hier sind ja alles Spezialisten!“, sagt er.

Um 11.59 Uhr löst sich in der Karlstraße alles auf. Die Einsatzkräfte verlassen die Stelle, nur die Bauarbeiter der Firma Brodbeck sichern das Loch ab.

Schicht für Schicht wird das Erdreich in der Grube abgetragen. Im Hintergrund verläuft der Kabelschacht der Telekom, der die Anomalien und damit den Verdacht auf eine Bombe mitausgelöst haben dürfte.Bild: Franke

Schicht für Schicht wird das Erdreich in der Grube abgetragen. Im Hintergrund verläuft der Kabelschacht der Telekom, der die Anomalien und damit den Verdacht auf eine Bombe mitausgelöst haben dürfte.Bild: Franke

Zwei Radien rund um den möglichen Fundort: einmal im Umkreis von 300 Metern, einmal 500 Meter.Grafik: Stadt

Zwei Radien rund um den möglichen Fundort: einmal im Umkreis von 300 Metern, einmal 500 Meter.Grafik: Stadt

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Erstellt:
05.08.2018, 01:00 Uhr
Aktualisiert:
05.08.2018, 09:37 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 33sec
zuletzt aktualisiert: 05.08.2018, 09:37 Uhr

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