Uschi Kurz über die Erfolgsgeschichte einer Schule

Eine Musteranstalt für das Land

Im Jahr 1868 wurde in Reutlingen die „Industriezeichenschule“ gegründet. „Erwachsene Mädchen“ konnten dort halbjährige Zeichenkurse besuchen – mit dem Ziel, sich beruflich zu qualifizieren.

27.08.2018

Von uk

Nähunterricht in der Frauenarbeitsschule. Bild: Stadtarchiv

Nähunterricht in der Frauenarbeitsschule. Bild: Stadtarchiv

Zwei Jahre später wurde die Einrichtung, die zunächst im oberen Stockwerk des Spendhauses (heutiges Kunstmuseum) untergebracht war, in „Frauenarbeitschule“ umbenannt. Es war die erste Schule ihrer Art in Deutschland überhaupt. Ihre reichhaltige Geschichte wurde anlässlich des 150-jährigen Bestehens in einem Buch zusammengestellt. Dort findet sich auch ein Artikel über die Chronik der Stadt Reutlingen, die von Egmont Fehleisen 1897 veröffentlich wurde. Der Chronist bezeichnete die Schule schon 1874 als „Musteranstalt für das Land“.

Tatsächlich war der Andrang an der Frauenarbeitsschule enorm. Vom 1. Juli 1870 bis zum 1. Januar 1877 besuchten 2895 Schülerinnen die Schule; allein im Jahre 1875 waren es 800, schrieb die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt in einem Artikel auf ihrer Homepage anlässlich der 125-Jahr-Feier der Schule. Die Schülerinnen mussten vierteljährlich Schulgeld bezahlen. Immerhin 20 Mark kostete der Besuch des Kurses „Maschinennähen und Kleidermachen“, der am häufigsten besucht wurde.

Neben der Ausbildung der Frauen für die „weibliche Industrie“ (womit das Textilgewerbe gemeint war), schreibt die Frauengeschichtswerkstatt, sei die Ausbildung der Frauen für den „hauswirtschaftlichen Beruf“ (das heißt die perfekte Haushaltsführung) angestrebt worden. Aber auch die Ausbildung von Lehrerinnen für Lehranstalten gleicher Art und Industrieschulen wurde angeboten. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Frauen, die den Beruf der Lehrerin ergriffen, zölibatär leben mussten: Lehrerinnen mussten unverheiratet bleiben – oder ihren Beruf aufgeben.

1877 errichtete die Stadt Reutlingen für die florierende Frauenarbeitsschule ein neues Domizil, damals noch außerhalb der Stadt: die heutige Eichendorff-Realschule in der Konrad-Adenauer-Straße. Ein repräsentatives Gebäude, das fortan auf vielen Reutlinger Postkarten abgebildet war. 1920 wurde der textile Schwerpunkt der Schule um den hauswirtschaftlichen erweitert.

Einen großen räumlichen wie ideologischen Einschnitt erlebte die Frauenarbeitsschule während der Nazizeit. Weil das Schulgebäude als Lazarett genutzt wurde, musste die Schule vorübergehend ins Spendhaus zurück. Die Lehrinhalte wurden ganz in den Dienst der Nazi-Ideologie gestellt. Die Schülerinnen sollten warme Wintersachen für die Soldaten der Ostfront herstellen. 1944 wurde die Einrichtung dann vorübergehend ganz geschlossen.

Nach dem Krieg, so die Frauengeschichtswerkstatt, wurde das Angebot der Frauenarbeitsschule noch einmal stark genutzt, bis die „weiblichen Handarbeiten“ und die „häuslichen Tätigkeiten“ aus dem Ausbildungsangebot gestrichen wurden: Zugunsten allgemeinbildender wissenschaftlicher Inhalte. Zum 125. Bestehen schließlich wurde die Schule nach Laura Schradin benannt. Jener streitbaren Reutlingerin Sozialdemokratin, die sich zeitlebens für eine bessere Bildung und das Wahlrecht von Frauen einsetzte. Laura Schradin sei auch heute noch stark im Bewusstsein der Schule verankert“, versichert die Oberstudienrätin Hildegunde Haist-Huber, die vor kurzem in den Ruhestand verabschiedet wurde. Nicht nur durch das Jubiläum: „Wir pflegen das Grab auf dem Friedhof Unter den Linden.“

Zum Artikel

Erstellt:
27.08.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 27.08.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!