Schauspiel
Ein Kunststück: Simon Stephens’ „Am Ende Licht“ feierte Premiere
Selbst im Scheitern bleibt ein Fünkchen Hoffnung: Simon Stephens’ „Am Ende Licht“.
Stuttgart. Ein leerer Supermarkt. Gespenstisch beleuchtet. Farblos die Regale, albtraumhaft fahl. Eine Frau im Wollmantel betritt die Szene und erzählt von sich. Nein, kein normaler Monolog: Manchmal tritt sie neben sich und schildert sich aus der Sicht anderer. So skizziert sie ihr Leben – eine einzige, vom Alkohol geprägte Kette von kurzem Glück und langem Scheitern. Und sie beschreibt den Moment ihres Sterbens – im Supermarkt, an einer Hirnblutung, am 6. Februar 2017. Eine Frau zwischen Leben und Tod, eine Untote, ein Geist? „Am Ende Licht“ heißt das neue Stück des Briten Simon Stephens, das am Samstag seine deutschsprachige Premiere am Schauspiel Stuttgart feierte.
Sylvana Krappatsch spielt diese Christine, Mitte 40, eine Frau, die hinter dem verhuschtem Outfit eine beklemmende Familiengeschichte verbirgt. Und wie die Krappatsch das macht! Sie spricht diesen Pseudomonolog, der ständig stockt und wieder aufbraust, mit vielen Stimmen: eine irre Collage aus Bilanz, Geständnis, Verletztheit, Trauer, Wut – ein Krankenbericht, ein Leidensprotokoll, das von innen kommt und doch auch wie aus dem Weltall aufs eigene kleine Ich herabschaut. Lakonisch, ohne Anklageton, von aberwitzigen Perspektivwechseln durchzuckt. Sensationell.
Ein Kunststück
Simon Stephens zählt zu den meistgespielten Auslandsautoren auf deutschen Bühnen. Eigentlich ist sein neues Stück, 2019 in Manchester uraufgeführt mit Musik vom Szenestar Jarvis Cocker, eine Liebeserklärung an den Norden Englands. An die Menschen in Städten wie Stockport, Stephens’ Geburtsort, an ihren Kampf ums Überleben. Regisseur Elmar Goerden reduziert die Lokalfolklore und erzählt eher die universell lesbare Story einer gebeutelten Familie. Ein Drama, das auch auf die ökonomischen Wurzeln dieses Elends hinweist.
Wir sehen einer erschreckend normalkaputten Familie beim Scheitern zu: Die Mutter trinkt, der Vater geht fremd. In den erwachsenen Kindern lebt das erfahrene Elend weiter. Tochter Jess treibt besoffenen Sex auf dem Friedhof, die herbe Ashe demütigt ihren Junkiefreund und Steven leidet extrem unter Verlustängsten. Ein bisschen Family-Soap und Boulevard ist dabei.
Doch Regisseur Goerden legt den Akzent wohltuend auf leise, vielsagende Details – so wandelt auch der Vater (Klaus Rodewald) wie ein tragikomisches Gespenst durch sein eigenes Leben. Goerden schafft ein Kunststück: Ensembletheater, Sozialporträt und Traumspiel greifen subtil ineinander. Trostlos und beflügelnd zugleich. Viel Beifall. Otto Paul Burkhardt