Mössingen · Soziales

Motorsportclub gibt Vereinsheim als Bleibe für Ukraine-Flüchtlinge

Der Motorsportclub Steinlach-Mössingen hat sein Clubheim der Stadt zur Verfügung gestellt. Bald sollen zwei ukrainische Familien einziehen.

27.12.2022

Von Michael Brandt

Noch sind die Fensterläden geschlossen, doch bald werden in das ehemalige Bahnwärterhäuschen des Motorsportclubs Steinlach zwei ukrainische Flüchtlingsfamilien einziehen.Bild: Michael Brandt

Noch sind die Fensterläden geschlossen, doch bald werden in das ehemalige Bahnwärterhäuschen des Motorsportclubs Steinlach zwei ukrainische Flüchtlingsfamilien einziehen.Bild: Michael Brandt

An der Bahnlinie zwischen dem Mössinger Bahnhof und der Haltestelle in Beuren steht etwa auf halber Strecke ein Bahnwärterhäuschen, dessen bunter Anstrich an die vielfarbigen Häuser erinnert, die das Landschaftsbild in den norwegischen Fjorden prägen. Es ist ein Relikt aus der guten alten Eisenbahnzeit, als der Schienenverkehr noch nicht von Stellwerken zentral geregelt und überwacht wurde (siehe dazu auch den Info-Kasten).

Seit 1987 gehört es dem Motorsportclub Steinlach-Mössingen (MSC), der es „sein Häusle“ nennt und das seitdem als Clubheim dient. Im Sommer dieses Jahres hatten sich die Mitglieder des Vereins dafür entschieden, ihr Heim der Stadt Mössingen und dem Landratsamt für die Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen unentgeltlich für zwei Jahre zur Verfügung zu stellen. In den nächsten Wochen soll das Bahnwärterhäuschen einer vierköpfigen Familie und einer weiteren Flüchtlingsfamilie mit drei Personen als Unterkunft dienen.

„Wir haben das Haus rundum in Eigenleistung saniert“, sagt Hans-Peter Kuttler, seit rund 25 Jahren Vorsitzender des 1951 gegründeten Vereins. Soll heißen: Auf insgesamt 48 Quadratmetern Wohnfläche wurden von den Mitgliedern im Obergeschoss neben zwei Räumen auch zwei Toiletten und eine Dusche eingebaut. Im Erdgeschoss ist ein Versammlungsraum mit Küche.

Clubheim immer weniger genutzt

Das Häuschen sei Mittelpunkt des Vereinslebens, Treffpunkt bei Feiern und Ausgangspunkt für Ausflüge gewesen, erzählt Kuttler. Aber: „Nicht nur die Pandemie, auch die Tatsache, dass die meisten Mitglieder inzwischen in der Nähe vom oder schon im Rentenalter sind, haben dazu geführt, dass unser Clubheims immer weniger genutzt wurde“, berichtet der Vorsitzende.

Weil das Haus zunehmend verwaist war, sei es auch immer öfter Vandalismus ausgesetzt: Heranwachsende nutzen den Platz rund um das Holzhäuschen, um nächtliche Partys zu feiern – mit allen negativen Begleiterscheinungen. Das hätte in der Vorstandschaft des Motorsportclubs zum Entschluss geführt, das Heim wieder zu beleben. Diese Entscheidung sei angesichts des seit Februar tobenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dann ohnehin nicht schwer gefallen: „Die Mitglieder haben sich im Sommer einstimmig dafür entschieden, Flüchtlingen in unserem Clubheim eine vorübergehende Bleibe zu schaffen“, sagt Hans-Peter Kuttler.

Die Stadt lobt den MSC

„Wir finden es einfach eine tolle Sache, dass der MSC Steinlach sein Bahnwärterhäuschen der Stadt für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellt“, meint dazu Nicole Siller, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Presse in der Hauptverwaltung der Stadt. Auf Anfrage des STEINLACH-BOTEN teilte sie den neuesten Stand der Unterbringung mit: „Nachdem der Stadt das Gebäude Mitte September vom Verein übergeben worden war, haben wir überprüft, ob eine sichere und gesunde Unterbringung möglich ist“, erklärt Siller.

Warten auf die Zuweisung

Dabei hätte sich herausgestellt, dass die Stromversorgung besser abgesichert, Geländer erhöht und die Heizung repariert werden musste. Außerdem hätten im Obergeschoss und im Untergeschoss jeweils noch eine Wand eingezogen und die Wohnungen so ausgestattet werden müssen, dass die Familien untergebracht werden können, erläutert sie.

„Aktuell warten wir auf die entsprechende Zuweisung vom Landkreis Tübingen mit einer vier- und einer dreiköpfigen ukrainischen Flüchtlingsfamilie in der Anschlussunterbringung“, sagt die Pressesprecherin.

Unterkünfte weiterhin gesucht

„Flüchtlinge aus der Ukraine kommen derzeit vereinzelt, aber es besteht immer die Unsicherheit, wie die Entwicklung in den kommenden Wintermonaten sein wird“, erklärt Boris Kühn, Integrationsbeauftragter der Stadt Mössingen, auf Anfrage des STEINLACH-BOTEN.

Aktuell seien in Mössingen etwas über 100 ukrainische Flüchtlinge untergebracht – in der Regel in Wohneinheiten, die auf Aufrufe hin zur Anmietung angeboten wurden. Hinzu kämen etwa 85 Geflüchtete aus anderen Ländern wie Afghanistan und Syrien) sowie weitere rund 30 Geflüchtete, die durch den Landkreis vorläufig im Stadtgebiet Mössingen untergebracht sind und früher oder später übernommen werden müssen, zählt Kühn auf.

Es gibt also weiterhin Bedarf an Unterkünften. Der Motorsportclub Steinlach hat jedenfalls ein gutes Beispiel gegeben und seinen Teil beigetragen.

Die Mitglieder des Clubs waren einstimmig dafür, Flüchtlingen hier vorübergehend eine Bleibe zu bieten. Bild: Michael Brandt

Die Mitglieder des Clubs waren einstimmig dafür, Flüchtlingen hier vorübergehend eine Bleibe zu bieten. Bild: Michael Brandt

Ferienwohnungen, Café, Vereinsheim

Bis ins Jahr 1987 gehörten Bahnwärterhäuschen zum gewohnten Bild im Bahnstreckenverkehr. Sie wurden in der Regel an „niveaugleichen Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen oder an Blockstellen, Weichen und Abzweigstellen“ errichtet, damit die zuständigen Bahnbediensteten, sprich Bahnwärter, unmittelbar neben ihrem Arbeitsplatz wohnen konnten. Dort mussten sie mechanisch Schranken, Signale und Weichen bedienen. Dazu gehörte auch das Bahnwärterhäuschen „Nummer 18“, eines von insgesamt 23 Häuschen zwischen Tübingen und Bodelshausen. Heute werden Schranken, Signale und Weichen von einem Stellwerk aus fernbedient, so dass der Dienst im Bahnwärterhäuschen überflüssig geworden ist. Viele von ihnen gingen dann in den Privatbesitz über und werden heute teilweise als Wohnungen, Ferienwohnungen, Vereinsheime und auch Cafés benutzt.

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Erstellt:
27.12.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 27.12.2022, 01:00 Uhr

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