Duell

Eigentum gegen Miete

Ob Eigentum oder zur Miete: In Tübingen, Reutlingen und der Umgebung ist das Wohnen teuer. Helmut Failenschmid, Vorsitzender von Haus und Grund Tübingen, und Thomas Keck, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Tübingen-Reutlingen, fordern Abhilfe, auch durch Neubauten. Die Wege dahin sehen sie allerdings zum Teil unterschiedlich.

04.02.2013

Von TEXT: Gernot Stegert | FOTO: Erich Sommer

Wo und wie wohnen Sie?
Keck: Im eigenen Haus in Reutlingen-Betzingen, wo ich auch Bezirksbürgermeister bin. Das war – wenn auch mit anderer Verwaltungsstruktur – schon mein Großvater 40 Jahre lang.
Failenschmid: Als Schwabe ist es für mich nahe liegend, dass ich auch im Eigentum wohne, in einer Doppelhaushälfte in Tübingen. Bei unseren Geschäftsstellen ist es übrigens umgekehrt: Haus und Grund wohnt zur Miete und der Mieterverein im Eigentum.
Keck: Wir haben 1999 eine Geschäftsstelle in der Reutlinger Innenstadt gefunden. Es war gar nicht so einfach, als Mieterbund geeignete Räume zu finden. Viele Eigentümer hatten da offenbar Befürchtungen, uns nicht wieder los zu werden.
Failenschmid: Wir hatten uns Eigentum überlegt, sind mit dem Gemieteten aber sehr zufrieden und auch flexibel.

Sind die Mieten in Tübingen und Reutlingen zu teuer?
Keck: Eindeutig ja, viel zu teuer. Seit vielen Jahren übersteigt die Nachfrage das Angebot. Diese Entwicklung verschärft sich, insbesondere in den Universitätsstädten.
Failenschmid: Die Mieten sind hoch, aber ob sie zu teuer sind, ist die Frage. Man muss die Wohnkosten in ein Verhältnis zum Einkommen setzen. Die Quote ist bei uns normal, sogar leicht unter dem Bundesschnitt.
Keck: Wobei Sie sehen müssen, dass hinter dem Durchschnitt die soziale Schere aufgeht. Wir haben Haushalte, die 45 Prozent ihres Realeinkommens fürs Wohnen aufwenden müssen. Aber preisgünstigen Wohnraum in Tübingen oder Reutlingen zu finden, ist extrem schwierig.
Failenschmid: Da kommt von mir überhaupt kein Widerspruch. Es fehlen einfach Wohnungen. Vor allem von Privaten, die 80 Prozent der Wohngebäude in Deutschland geschaffen haben. Die wollen eigentlich schon bauen, aber es lohnt sich nicht, Verwaltungsaufwand und Steuern sind hoch. Den Handwerksmeister, der sich zur Vorsorge ein Haus mit zwei bis drei Wohnungen gebaut hat, gibt es heute kaum noch.
Keck: Wir kommen ja aus Zeiten, wo 3-4 Prozent Rendite Lachkrämpfe ausgelöst haben angesichts der hohen Gewinne an den Börsen. Jetzt kommen viele zurück. Versuchen Sie mal im Moment, eine Wohnung zu kaufen. Das ist hammerhart. Das geht gar nicht.
Failenschmid: Das geht gar nicht. Aber zum Thema hohe Mieten muss ich noch sagen: Die Grundmieten sind real gesunken, auch in Tübingen. Wir haben von 2001 bis 2011 eine Steigerung der Lebenshaltungskosten von 17,1 Prozent und der Grundmieten von 11,7 Prozent. Explosiv zugelegt haben die Nebenkosten: Heizkosten 52 Prozent und Strom 66 Prozent. Das sind ja weitgehend politische Preise. In den Stromkosten stecken zu 45 Prozent Staatsabgaben. Wenn die Politik mit Sorgenmiene auf diese Entwicklung schaut, muss sie sich mal an die eigene Nase fassen.

Was muss sich ändern?
Failenschmid: Da muss man sich anschauen, wer denn eigentlich die Kosten treibt. In Tübingen haben sich in diesem Zeitraum die Grundsteuerhebesätze um 37 Prozent und die Grunderwerbsteuer um 43 Prozent innerhalb eines Jahres unter der neuen Landesregierung erhöht. Wir haben eine kleine Stadt mit großer Uni und wenig Flächen. Das treibt auch die Baukosten, die sind bei uns laut Wohnraumbericht um 20 bis 25 Prozent höher als in anderen Regionen.
Keck: Tendenz schnell steigend.
Failenschmid: Abgesehen davon, dass energetische Anforderungen den Bestand erheblich verteuern. Das führt dazu, dass günstigere Wohnungen nach und nach vom Markt gehen.
Keck: Das ist ein ganz großes Problem. Die energetische Sanierung, die absolut notwendig ist, führt natürlich zu gewaltigen Mietpreissprüngen zwischen 100 und 300 Euro im Monat und führt zu Verdrängungen aus den Städten heraus. Das haben wir überall, auch in Tübingen …
Failenschmid: …trotz der Renaissance der Städte…
Keck: …ja. Wir haben eine soziale Segregation.

Was muss also geschehen?
Keck: Wir müssen bauen. Wir müssen zielgerichtet bauen. Wir brauchen verschiedene Arten von Förderungen - vom Land und vom Bund. Die schieben alles aufeinander. Der Bundesbauminister Peter Ramsauer sagt: Wohnungsbauförderung ist Ländersache. Das ist natürlich falsch. Steuerliche Abschreibungen vom Wohnungsbau zum Beispiel brauchen wir dringend ....
Failenschmid: ... völlig richtig...
Keck: Und das muss der Ramsauer machen. Das ist Bundessache. Aber da hört man gar nichts. Zum Beispiel eine Afa (Abschreibung für Abnutzung) von zwei auf vier Prozent, das wäre unsere Vorstellung…
Failenschmid: Ja, völlig d?accord. Wer steuerlich abschreiben kann, der investiert. Das ist mir ganz wichtig. Auch eine degressive Abschreibung in Brennpunkten wie Tübingen wäre nötig.

Was können die Kommunen machen, in Tübingen etwa beim Güterbahnhofsgelände?
Failenschmid: Im frei finanzierten Wohnungsbau haben wir vor allem das Steuerproblem. Für das Güterbahnhofsgelände gilt wie für andere Bereiche: Ohne Förderung kann kein Wohnraum zu einem Preis von 7,50 Euro je Quadratmeter geschaffen werden. Das geht einfach nicht.
Keck: Ja, das geht nicht.

Sollten auf dem Güterbahnhofsgelände mehr Sozialwohnungen geplant werden als bisher?
Keck: Ich würde es befürworten. Wir müssen grundsätzlich ganz weg von der Gießkanne. Wir brauchen keine Sozialwohnungen in Pfronstetten oder Tigerfeld.
Failenschmid: Das ist eine Fehlsteuerung. Wir haben ohnehin einen anderen Ansatz. Wir sind nicht für die Objektförderung. Da gibt es zu viele Fehlsubventionen. Zielgerichtet und effektiv ist die Subjektförderung. Wer es benötigt, soll Unterstützung bekommen. Man sollte die Mittel auf Menschen lenken, die sie brauchen. Das wirkt auch einer Gettoisierung entgegen.
Keck: Ich bin weiter für die Objektförderung. Auch beim Güterbahnhofsgelände sollte mehr eingeplant werden. Wir hatten im Jahr 2007 noch 83 000 Sozialwohnungen im Land, 2010 waren es noch 60 000. Wir verlieren im Jahr 4850 Sozialwohnungen durch Wegfall der Sozialhilfe. Durch den Wechsel in der Landespolitik hat sich schon etwas verändert, aber der versprochene Paradigmenwechsel ist nicht eingetreten. Geradlinig ist die Wohnungspolitik im Land auch unter der neuen Landesregierung leider nicht.
Failenschmid: Auch bei der energetischen Sanierung ist eine steuerliche Abschreibung nötig. Damit würde die Kluft zwischen Investitionskosten der Eigentümer und niedrigerer Miete überbrückt. Im Gespräch waren zehn Prozent jährlich. Die grün-rote Landesregierung hat große Ziele beim Klimaschutz postuliert, aber bei der Umsetzung ist sie gegen eine angemessene Abschreibung. Das ist ein Trauerspiel. Obwohl dem Staat nichts verloren geht. Wenn einer 100 000 Euro investiert, kommen ja im ersten Jahr schon mal 20 000 Euro Mehrwertsteuer rein plus Ertragssteuern des Unternehmers, Lohnsteuern und anderes mehr.
Keck: Es stimmt, dass dem Staat nichts verloren geht. Jeder in energetische Sanierung investierte Euro setzt das Achtfache frei. Der Mieterbund schlägt eine Drittelung der Kosten vor: ein Drittel Vermieter, ein Drittel Mieter, ein Drittel staatlicher Zuschuss.

Helmut Failenschmid (links), Vorsitzender von Haus und Grund Tübingen, und Thomas Keck, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Tübingen-Reutlingen.

Helmut Failenschmid (links), Vorsitzender von Haus und Grund Tübingen, und Thomas Keck, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Tübingen-Reutlingen.

Helmut Failenschmid: Der Vorsitzende des Vereins Haus und Grund Tübingen wurde 1947 in Tübingen geboren. Ab 1966 studierte er Rechtswissenschaft in Berlin und Tübingen. Nach dem Referendariat in Stuttgart und der Dissertation an der Universität Tübingen folgte 1976 das Zweite Juristisches Staatsexamen. Der Rechtsanwalt gründete 1980 eine Anwaltskanzlei in Tübingen. Seit 2003 ist er Ausschussmitglied im Landesverband Haus und Grund Württemberg, seit 2004 Vorsitzender Haus und Grund Tübingen (3000 Mitglieder) und stellvertretender. Landesvorsitzender Haus und Grund Württemberg (95 000 Mitglieder). Failenschmid ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Thomas Keck: Der hauptberufliche Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Reutlingen-Tübingen wurde 1963 geboren. Das SPD-Mitglied ist Bezirksgemeinderat in Betzingen, Stadtrat in Reutlingen, Mitglied des Kreistags und Bezirksbürgermeister von Betzingen. Seine Heimatverbundenheit zeigt er auch als Vorsitzender des Schwäbischen Albvereins Betzingen und als
Vorsitzender des Fördervereins Ortskern Betzingen. Keck ist Mitglied im Landesvorstand
des Mieterbundes und aktiv in vielen weiteren Vereinen. Dem Deutschen Mieterbund Reutlingen-Tübingen gehören 7000 Mitglieder an. Keck ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Erstellt:
04.02.2013, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 45sec
zuletzt aktualisiert: 04.02.2013, 12:00 Uhr

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