Gesetzgebung

Droht Blockade der Republik ?

Viele Vorhaben einer Ampel-Koalition brauchen das Ja des Bundesrates. Die Mehrheit dort haben SPD, Grüne und FDP aber nicht.

16.10.2021

Von Ellen Hasenkamp, Igor Steinle, Dorothee Torebko

Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU/links), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, übergibt den Vorsitz der Länderkammer an seinen Amtskollegen aus Thüringen. Bodo Ramelow (Die Linke) übernimmt die Präsidentschaft am 1. November. Foto: Wolfgang Kumm

Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU/links), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, übergibt den Vorsitz der Länderkammer an seinen Amtskollegen aus Thüringen. Bodo Ramelow (Die Linke) übernimmt die Präsidentschaft am 1. November. Foto: Wolfgang Kumm

Dass die Grünen in den vergangenen 16 Jahren mitregiert haben, konnte man beim Klimapaket sehen. Die Große Koalition wollte den CO2-Preis in diesem Jahr eigentlich auf 10 Euro pro Tonne erhöhen. Den Grünen war das zu wenig, sie machten ihre Zustimmung im Bundesrat davon abhängig, dass die Steuer 2021 schon auf 25 Euro pro Tonne steigt.

Nicht nur dieses Beispiel macht deutlich, wie mächtig die zweite Kammer der deutschen Gesetzgebung, in der die Bundesländer ihren Einfluss geltend machen, noch immer ist. Auch bei der Straßenverkehrsordnung oder dem Kastenstand für Säue nutzten die Grünen ihre Regierungsbeteiligung in zehn Ländern, um vom Bundestag beschlossene Gesetze in ihrem Sinne zu verändern.

Möglich macht dies das Grundgesetz: Dieses sieht vor, dass der Bundesrat viele Gesetze billigen muss, die der Bundestag beschließt. Stimmt er einem Gesetz nicht mit Mehrheit zu, können beide den Vermittlungsausschuss anrufen, um einen Kompromiss zu finden. Letztlich können die Länder Gesetze verhindern, die zum einen Auswirkungen auf ihre Finanzen haben und zum anderen in ihre Verwaltungshoheit eingreifen. Solchen „Einspruchsgesetzen“ muss der Bundesrat mit absoluter Mehrheit von 35 Stimmen zustimmen. Dabei wirken Enthaltungen wie Nein-Stimmen. Ohne diese Mehrheit scheitern die Gesetze. CDU und CSU hätten mit ihren zehn Regierungsbeteiligungen und sieben Ministerpräsidenten also jede Menge Hebel, um den Gesetzgebungsprozess zu sabotieren.

Will die Union wissen, wie man einer SPD-geführten Bundesregierung im Bundesrat das Leben schwer macht, könnte sie sich bei Angela Merkel erkundigen. Denn die scheidende Bundeskanzlerin organisierte zu Anfang des Jahrtausends als frisch gekürte CDU-Chefin gemeinsam mit dem CSU-Kollegen Edmund Stoiber die Unionsfront im Bundesrat – und setzte Kanzler Gerhard Schröder so stellenweise gehörig unter Druck. Andererseits stoppte in der Endphase der Ära von Kanzler Helmut Kohl (CDU) eine SPD-Mehrheit in der Länderkammer ein neues Steuerkonzept von Union und FDP.

Könnten die von SPD, Grünen und FDP geplanten Reformen in den Bereichen Steuern, Innere Sicherheit oder Bildung also erneut am Bundesrat scheitern? „Das Problem ist uns bewusst“, heißt es dazu in der SPD-Fraktion. Allerdings hätten Mehrheiten im Bundesrat schon immer herbeiverhandelt werden müssen. Dass es in Zukunft zu einer Komplettblockade kommen wird, glaubt man weder bei den Sozialdemokraten noch bei Grünen und FDP.

Denn eine Blockadehaltung koste schlichtweg zu viel politisches Kapital. Angesichts der zahlreichen bunten Mehrparteien-Koalitionen in den Ländern wäre immer mindestens ein Partner beleidigt und könnte sich dann auf anderer Bühne rächen. Zudem sind die Interessen der einzelnen Bundesländer zu unterschiedlich. Strukturschwache Länder wie Sachsen-Anhalt haben andere Wünsche als etwa Bayern. Die Befürchtung, dass Markus Söder (CSU) aus München heraus künftig den Widerstand gegen die Politik einer Ampelkoalition in Berlin organisieren wird, ist deshalb gering.

In der Union selbst heißt es intern, die Strategie für das Verhalten in der Länderkammer sei ein „Schlüssel“. Und davon hält eine Oppositionspartei nunmal nicht allzu viele in den Händen. Doch wie das neue Kraftzentrum der Partei aussehen wird und wie viel Kraft es haben wird, ist ungewiss. Zumal die Regierungsbildungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sowie Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im kommenden Frühjahr die Situation zugunsten einer Ampelkoalition verändern könnten.

Rudi Hoogvliet (Grüne) rechnet ebenfalls nicht damit, dass die Union in eine Blockadehaltung im Bundesrat verfällt. „Ich kenne die CDU als eine Partei, die sich um das Land kümmert. Es würde mich sehr überraschen, wenn sie in eine destruktive Oppositionsarbeit übergeht“, sagt der baden-württembergische Bevollmächtigte in Berlin. Konflikte würde es zwar immer geben, sagt Hoogvliet. So könne es immer der Fall sein, dass einzelne Gesetze nicht durch den Bundesrat kämen. Ansonsten erwartet er aber eine konstruktive Zusammenarbeit. Als solche betrachtet er auch die Einflussnahme seiner Grünen in den vergangenen Jahren. Von der teils gelebten Praxis, einzelne Länder mit Wohltaten zu kaufen, hält Hoogvliet nichts. „Die Länder sind nicht die kleinen Schwestern des Bundes, die mit Geschenken zu kaufen sind.“

Allerdings gibt es zahlreiche Beispiele, die für die Käuflichkeit der Länder sprechen. Am bekanntesten wohl eines aus der Schröder-Zeit: Der brachte seine Steuerreform im Sommer 2000 durch, indem er einige Unionsländer buchstäblich aus Merkels geplanter Blockade-Mauer herauskaufte – sehr zum Entsetzten der CDU-Strategen.

Die FDP würde daher gerne grundsätzlich über die Rolle des Bundesrates in der Gesetzgebung sprechen. „Man müsste debattieren, dass der Bundesrat mit seinen heutigen Abstimmungsregeln den politischen Prozess stark verlangsamt“, sagt Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der Liberalen im Bundestag. Eine Mehrheit im Bundesrat zu bekommen, werde durch immer buntere Koalitionen in den Ländern zusehends schwieriger – und teurer. In Zeiten knapper Kassen könnten die Begehrlichkeiten der Länder zunehmen, während der finanzielle Spielraum des Bundes kleiner wird.

„Eine Alternative wäre, die Zustimmung im Bundesrat künftig an eine einfache Mehrheit zu binden“, schlägt Toncar vor. Einem solchen Schritt müssten aber die Länder zustimmen.

Grafik: Peters, Quelle: AFP/Bundesrat

Grafik: Peters, Quelle: AFP/Bundesrat

Zum Artikel

Erstellt:
16.10.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 30sec
zuletzt aktualisiert: 16.10.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!