Tübingen · Vesperkirche

Dieses Mal kommt auch der Zahnarzt

Viele Stammgäste freuen sich schon: Am 26. Januar öffnet die Martinskirche wieder für vier Wochen täglich ihre Türen – mit warmem Mittagessen und vielfältigem Beiprogramm.

16.01.2020

Von Christiane Hoyer

Ein Gespräch beim Mittagessen gehört zum Alltag in der Tübinger Vesperkirche.Bild: Friedrich Schmollinger

Ein Gespräch beim Mittagessen gehört zum Alltag in der Tübinger Vesperkirche.Bild: Friedrich Schmollinger

Es ist bereits das elfte Mal, dass die Tübinger Vesperkirche im Winter zum Essen lädt. Der Anspruch des achtköpfigen Leitungsteams: „Wir sind ein Gasthaus für alle“, erklärt Jurij Suchowerskyj. Wer zum Essen kommt, wird von den freiwilligen Helfern am Tisch bedient und muss sich nicht irgendwo anstellen, um sein Essen für einen symbolischen Geldbetrag abzuholen. Niemand, so Suchowerskyj, soll sich dafür schlecht fühlen, dass er kein Geld hat, und in der Schlange stehen müssen. Die „Durchmischung“ an den Tischen, die nicht-alltägliche Begegnungen ermöglicht, ist dem Vesperkirchenteam ein wichtiges Anliegen und „unser diakonischer Auftrag“, wie es die Hauptamtliche Anke Becker formuliert: unterstützen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Die Vesperkirche finanziert sich ausschließlich über Spenden und ist auf sie angewiesen. Wer zum Essen kommt, bezahlt so viel er kann und möchte (oder aufs Konto). Auf jedem Tisch steht eine Spendenbox in Form einer Mini-Martinskirche bereit. Für die Ausgaben kalkuliert Becker mit einer Summe von zirka 66 000 Euro. „Wir freuen uns, wenn wir dieses Jahr die Vesperkirche ohne Verlust finanzieren können“, sagt Becker. Im Jubiläumsjahr habe man ein Minus von 6000 Euro gemacht.

Die konnte das Team – Hauptamtliche sind Anke Becker und Pfarrer Christoph Wiborg, außerdem sechs Ehrenamtliche – aus den Rücklagen des Spendentopfs finanzieren. Daraus werden in diesem Jahr zum Beispiel höhere Summen entnommen, um das Geschirr und Besteck zu ergänzen.

Täglich liefert das nahe gelegene Pauline-Krone-Heim zwischen 300 und 500 Essen. Es wird in Wärmebehältern gebracht und in der Sakristei auf vorgewärmte Teller ausgegeben, die dann an die Tische kommen. Meistens haben die Gäste eine Auswahl zwischen vegetarischem Essen oder Mischkost. Donnerstags gibt es traditionell eine Süßspeise, freitags Fisch und samstags Eintopf. Das Küchenteam im Pauline-Krone-Heim „ist sehr flexibel und liefert auch sehr zuverlässig nach“, freut sich Becker.

Was ist neu im elften Tübinger Vesperkirchenjahr?

Als neues Angebot behandelt nun der Lustnauer Zahnarzt Tim Wiesner jeweils am Mittwoch (bis auf den 19. Februar) von 12 Uhr an Patienten im Arztmobil vor der Kirche. Neu ist außerdem das Angebot der Beratungsexpertin Renate Oetker-Funk. Speziell für Familien in akuten Krisensituationen ermöglicht sie jeweils am Dienstag nach dem Mittagessen Einzelgespräche. Künstlerisch neue Wege geht die Vesperkirche dieses Jahr mit dem Tübinger Künstler Frido Hohberger. Er möchte die Gäste dazu animieren, mit seiner Hilfe ein Selbstporträt anzufertigen. Diese „Gesichter der Vesperkirche“ sollen dann in die bereitgestellten leeren Rahmen montiert werden und an den Wänden gezeigt werden.

Neu im Leitungsteam ist außerdem Friedbert Wiese. Er arbeitet im Naturkostladen Rote Rübe und ist für den Einkauf während der Vesperkirchenzeit zuständig. Jahrelang, sagt er, habe er in der Zeitung die Arbeit in der Vesperkirche verfolgt und sich immer gesagt: „Da nimmst du jemandem etwas weg, wenn du hingehst“. Doch dann habe es in der Zeitung einen Aufruf gegeben, dass Helfer gesucht werden. Das war sein Einstieg in die Mitarbeit – als Geschirrträger. Suchowerskyj arbeitet schon seit vielen Jahren mit und erinnert sich daran, wie er einmal zum Essen in die Vesperkirche gegangen ist. „Danach war für mich klar: Hier muss ich mitarbeiten.“ Er freut sich über das „eingespielte Leitungsteam“ und die „familiäre Atmosphäre“ unter den Ehrenamtlichen. Über 300 Freiwillige, so Becker, machen dieses Jahr mit. Im Einsatz sind täglich 51 Helferinnen und Helfer, darunter auch Schülerpraktikanten. Gebraucht werden die Helfer nicht nur für die Bedienung an den Tischen, für die Kuchentheke oder in der Küche. Auch fürs Ausgeben der kostenlosen Busfahrkarten ist jemand im Einsatz und fürs Dazusitzen, wenn jemand allein am Tisch sitzt und vielleicht Gesellschaft sucht. Eine Tendenz haben die Vesperkirchenverantwortlichen in den vergangenen Jahren beobachtet: „Es kommen mehr Ältere zum Essen.“ Viele von ihnen haben sehr wenig Geld zur Verfügung. Aber ihre Armut sei nicht an ihrer äußeren Erscheinung sichtbar.

Die Vesperkirche startet am Sonntag, 26. Januar, 11 Uhr, mit einem Gottesdienst mit Pfarrer Wiborg. Anschließend gibt es Wildragout mit Rosenkohl und Knöpfle oder Pilzragout mit Brezelknödeln.

Fakten zur 11. Tübinger Vesperkirche

Die 11. Tübinger Vesperkirche ist von Sonntag, 26. Januar, bis Samstag, 22. Februar, in der Martinskirche, Frischlinstraße 3, geöffnet. Die tägliche Essensausgabe ist von 11.45 bis 14 Uhr. An der Kuchentheke gibt es ab 12 Uhr frisch gebackenen Kuchen und Backwaren aus Tübinger Bäckereien sowie Kaffee und Tee, um 13 Uhr einen besinnlichen „Tagestupfer“. Seelsorge-Gespräche sind täglich möglich. Wer einen Kuchen für die Vesperkirche backen möchte, wendet sich direkt an Anke Becker unter 0 70 71/ 930 412. Träger der Tübinger Vesperkirche ist die Gesamtkirchengemeinde Tübingen. Zur Anschubfinanzierung gab es eine Weihnachtsspendenaktion des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs. Spendenkonto der Vesperkirche: Kreissparkasse Tübingen, IBAN: DE91 6415 0020 0004

444112

Zum Artikel

Erstellt:
16.01.2020, 11:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 25sec
zuletzt aktualisiert: 16.01.2020, 11:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!