Landwirtschaft · Tierhaltung

Interview: „Diese schlimmen Fälle sind die Spitze des Eisberges“

Das System der Schweinehaltung ist ein Problem, findet Julia Stubenbord, die Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg.

10.07.2021

Von SAMIRA EISELE

Dr. Julia Stubenbord ist seit 2017 Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg. Foto: Ingo Cordes

Dr. Julia Stubenbord ist seit 2017 Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg. Foto: Ingo Cordes

Stuttgart/Alb-Donau-Kreis. In Deutschland sterben jährlich 13 Millionen Schweine aus Massentierhaltung, bevor sie zum Schlachter gebracht werden können. Die Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg, Julia Stubenbord, sagt: Wenn sich an der Haltung nichts ändert, werden wir immer wieder Skandal-Bilder aus Schweinezuchtbetrieben sehen, wie jüngst im Alb-Donau-Kreis.

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als die Soko Tierschutz Ihnen Bilder aus einer Schweinezucht im Alb-Donau-Kreis gezeigt hat?

Dr. Julia Stubenbord: Ich habe noch selten solche schlimmen Bilder gesehen. Das hat mich auch wirklich sehr bewegt – vor allem das eine Schwein, das zum Sterben in den Gang gelegt worden ist. Ein kleines Schwein, das mit Abszessen und dicken Gelenken dort lag.

Leider sehen wir solche Bilder nicht zum ersten Mal. Was müsste denn jetzt endlich die Konsequenz daraus sein?

Das System der Schweinehaltung, das wir jetzt haben, muss geändert werden. Die Tiere haben oft haltungsbedingte Erkrankungen, zum Beispiel durch das ständige Einatmen der ammoniakbelasteten Luft, den Vollspaltboden und durch die wenige Beschäftigung. Das führt zu erheblichem Leid. Da muss auch die Bundesregierung wirklich die Mindestanforderungen deutlich erhöhen.

Ein Ferkel steht in einem Schweinezucht-Betrieb. Die Tierschutzbeauftragte findet: Die Haltung muss sich ändern. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Ein Ferkel steht in einem Schweinezucht-Betrieb. Die Tierschutzbeauftragte findet: Die Haltung muss sich ändern. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Was heißt das konkret?

Der Platzbedarf muss erhöht werden, es braucht andere Böden und mehr Beschäftigungsmaterial. Der Umbau der Tierhaltung muss schnell vorangebracht werden, sonst werden wir immer wieder diese Bilder sehen.

Es geht also nicht um Einzelfälle, sondern um das System.

Diese schlimmen Fälle sind die Spitze des Eisberges. Es gibt ein generelles Problem in der Schweinehaltung, das zeigen Studien. Ein Fünftel aller Schweine stirbt vor der Schlachtung und kommt in die Tierkörperbeseitigungsanlage. Das ist eine enorme Menge: In Deutschland sind das zirka 13 Millionen Schweine im Jahr.

Die angefressenen Ohren, die man auf den Fotos sieht, haben auch mit der fehlenden Beschäftigung und den beengten Verhältnissen zu tun?

Ja . Schweine sind sehr intelligente Tiere. Wildschweine beschäftigen sich den größten Teil des Tages mit der Futtersuche, das Verhalten unserer Hausschweine unterscheidet sich hier nicht. Bei der Fütterungstechnik in den meisten Ställen sind sie aber sehr schnell mit Fressen fertig und haben dann nicht mehr viel zu tun, sie stehen auf Vollspaltenboden und können da auch nicht richtig wühlen. Durch diese Unterbeschäftigung kommt es auch zu den Vorfällen wie Schwanzbeißen, die Tiere verletzen sich gegenseitig. Das kommt durch die Haltungsform .

Also die Massentierhaltung.

Ja. Das System der Schweinehaltung führt zu kranken Tieren. Und wenn man sich nicht um diese kranken Tiere kümmert, ist mit diesen Bildern zu rechnen.

Halten Sie im konkreten Fall im Alb-Donau-Kreis ein Tierhalteverbot für angebracht?

Wenn man die Bilder aus dem Februar sieht, ist klar, dass die Behörde das prüfen muss. Das Amt kam zu dem Schluss, dass es nicht nötig ist.

Sie auch?

Man muss unterscheiden, was die Behörde gesehen hat und was ich auf den Videos gesehen habe. Ich habe die Bilder beurteilt, die waren massiv und erschreckend. Der Tierhalter hat jetzt gesagt, dass er aufhören möchte – ich glaube, das ist eine gute Entscheidung.

Eine Absichtsbekundung ist doch aber etwas anderes als eine Auflage, oder nicht?

Es gab ja auch eine Strafanzeige – auch das Gericht kann entscheiden, ein Tierhalteverbot auszusprechen. Ich verfolge natürlich weiter, ob der Tierhalter seinen Betrieb aufgibt.

Man hört immer wieder, dass Betriebe durchschnittlich alle 16 Jahre von den Behörden kontrolliert werden. Was müsste sich ändern, um die Lage zu verbessern?

Erstmal liegt der Tierschutz in der Eigenverantwortung des Tierhalters, und die Ämter kontrollieren, ob er die Vorgaben einhält. In Baden-Württemberg wurden Veterinärstellen aufgestockt, und es gibt jetzt eine Tierschutzstrategie BW. Die Veterinärämter können nur einen kleinen Teil der Tierhaltung in einem Landkreis kontrollieren, vor allem, wenn es im Kreis viele Höfe mit Nutztieren gibt. Deshalb sind risikobasierte Kontrollen wichtig. Man kann zum Beispiel Schlachtbefunde heranziehen. Wünschenswert wäre auch, die Befunde aus den Tierkörperbeseitigungsanlagen nutzen zu können. Denn solche Tiere, die wir hier gesehen haben, gibt man ja nicht zum Schlachten. Die fallen hinten runter . Zu diesen Tierschutzkontrollen gibt es schon einen Gesetzesentwurf.

Dass einzelne Bauern verletzte und leidende Tiere sehen, aber nichts tun, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar.

Das ist auch für Leute, die mehr damit zu tun haben, unvorstellbar. Der falsche Umgang mit kranken Schweinen ist ein Problem, das immer wieder auftritt. Sie zum Sterben in den Gang zu legen ist falsch. Landwirte tun sich schwer damit zu entscheiden, wann ein Tier behandelt oder notgetötet werden muss. Auch die Nottötung wird oft nicht richtig tierschutzkonform umgesetzt. Die vorliegenden Missstände im Betrieb bei Ulm hatten sicher noch viele andere Ursachen. Diese Verstöße müssen nach gesetzlichen Möglichkeiten vollumfänglich bestraft werden. Die Tiere haben erhebliche Schmerzen und Leiden erlitten.

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Erstellt:
10.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 25sec
zuletzt aktualisiert: 10.07.2021, 06:00 Uhr

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