Cinelatino

Die unsichtbaren Eindringlinge

Der brasilianische Spielfilm „Aquarius“ blickt zur Festival-Eröffnung auch auf die politischen Kräfteverhältnisse in dem lateinamerikanischen Land.

17.04.2018

Von Dorothee Hermann

Auch Gentrifizierungsopfer gehen schwimmen: Ob Clara (Sonia Braga, rechts) bei ihrem zähen Widerstand gegen den Strand-Investor wenigstens auf den freundlichen Rettungsschwimmer Roberval (Irandhir Santos) zählen kann? Bild: Cinelatino

Auch Gentrifizierungsopfer gehen schwimmen: Ob Clara (Sonia Braga, rechts) bei ihrem zähen Widerstand gegen den Strand-Investor wenigstens auf den freundlichen Rettungsschwimmer Roberval (Irandhir Santos) zählen kann? Bild: Cinelatino

Der Strand von Recife war einmal ein Ort, wo sich die Twentysomethings spätabends trafen, um zum Sound des neuesten „Queen“-Hits auszuflippen („Another One Bites the Dust“) . Tod, Vergänglichkeit, Verletzlichkeit scheinen trotz des Songtitels weit weg. Gut 30 Jahre später ist von den nächtlichen Strandbesuchern von damals nur Clara (der brasilianische Star Sonia Braga) übrig geblieben.

Umgeben von ihrer riesigen Plattensammlung lebt die 65-jährige Witwe gewissermaßen im Belagerungszustand. Denn als letzte verbliebene Bewohnerin ist sie eisern entschlossen, auf keinen Fall aus dem modernistischen, zweistöckigen Gebäude mit Strandblick auszuziehen, das ein Investor abreißen lassen will.

Auch durch viel Geld lässt Clara sich nicht umstimmen, was sie zu einem untypischen Gentrifizierungsopfer macht. Sie ist so gut situiert, dass ihre Weigerung leicht als Starrsinn oder Marotte aufgefasst werden kann.

Gleichzeitig wirkt die subtile Bedrohung, der sie ausgesetzt ist, fast noch stärker, weil es gesellschaftliche Kräfte gibt, vor denen nicht einmal Geld und Bekanntheit (Clara hatte etwas zu sagen im Musikgeschäft) schützen können. Politische Bruchlinien und latente Gewalt zeigen sich in dem Spielfilm des brasilianischen Regisseurs Kleber Mendonça Filho erst allmählich. Bei der Premiere in Cannes prangerten die Darsteller die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff als Staatsstreich an. Im Gegenzug verweigerte das offizielle Brasilien dem Film die Nominierung zum Auslands-Oscar. In der restlichen Welt holte „Aquarius“ mehr als 30 Filmpreise.

Dem Cinelatino-Publikum ist Kleber Mendonça durch seine brasilianischen Short Cuts „O som ao redor“ (Umgebungsgeräusche) aus dem Jahr 2013 bekannt, die ebenfalls in Recife spielen.

Fast unterkühlt führt der Regisseur vor, wie exponiert Clara in dem leerstehenden Gebäude ist, wachsenden Zumutungen ausgesetzt und konfrontiert mit mehr oder weniger verklausulierten Drohungen. Nur ihre betagte Haushälterin Ladjane (Zoraide Coleto) hält zu ihr. Trotz allem scheint jedes Bad im Meer der unverwüstlichen Clara die Lebensgeister zurückzugeben.

Es ist bewundernswert, wie es den beiden Frauen trotz aller Störungen immer wieder gelingt, sich ihren persönlichen Schutzraum zu erhalten. (Englische Untertitel. Museum, heute, 19.30 Uhr).

Heute Abend eröffnet das 25. Cinelatino

Die Jubiläumsausgabe des Tübinger Festivals des lateinamerikanischen und spanischen Films hat den Schwerpunkt Brasilien, neben Mexiko und Argentinien eines der wichtigsten Filmländer Lateinamerikas. 42 Filme stehen auf dem Programm, darunter zwei Berlinale-Beiträge: Der außerordentliche Dokumentarfilm „Rio verde“ und die Doku „Teatro de guerra“, argentinische und britische Veteranen des Falklandkriegs zusammenbringt. Am morgigen Donnerstag öffnet der Open Festival Space in der Haaggasse (ab 21 Uhr), wo Open Air mexikanische Kurzfilme gezeigt werden (Eintritt frei). Im Jubiläumsjahr neu mit an Bord ist das Programmkino Kamino in Reutlingen.

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Erstellt:
17.04.2018, 22:41 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 17.04.2018, 22:41 Uhr

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