Pandemie

Die Welt ringt um den Impfstoff

Über der Debatte, wie gut oder schnell hierzulande geimpft werden kann, wird schnell vergessen, dass ärmere Länder vorerst keinen Zugang zu den Vakzinen haben.

09.01.2021

Von ANDRé BOCHOW

Berlin. „Wie können wir sicherstellen, dass jeder den gleichen Zugang zu Covid-19-Impfstoffen hat, unabhängig von seinen Möglichkeiten, sie zu bezahlen?“ Mit dieser Frage beginnt ein Werbevideo für Covax, einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation WHO. Covax ist die Abkürzung für „Covid-19 Vaccines Global Access“. Unter maßgeblicher Mitwirkung der auch von Deutschland stark unterstützten Impfallianz Gavi (Global Alliance for Vaccines and Immunisation) soll auch dem ärmeren Teil der Welt bis Ende 2021 ermöglicht werden, die gefährdetsten Bevölkerungsgruppen zu impfen. Aber gelingt das auch?

Die Initiative sei ein gutes Beispiel für „Global Governance“, also für globales Regierungshandeln, sagt Armin von Bogdandy. Der Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht weiß aber, dass Covax nicht im luftleeren Raum agiert. Vielmehr führen die begrenzten Produktionskapazitäten für Impfstoff, trotz aller Beteuerungen, die Pandemie global bekämpfen zu wollen, zu Bestrebungen, so viele Impfdosen wie möglich für das eigene Land zu sichern.

Vorab-Kaufverträge entscheiden

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnt deshalb vor einem „Impfstoff-Nationalismus“. In einem Aufsatz für die „FAZ“ spricht der Wissenschaftler Bogdandy das hässliche Wort ebenfalls aus und schreibt: „Das wichtigste Instrument sind bilaterale Vorab-Kaufverträge mit den Entwicklern und Herstellern. Nach der Marktlogik werden die Unternehmen sich regelmäßig dafür entscheiden, zuerst die Meistbietenden zu beliefern. Staaten mit geringerer Finanzkraft haben das Nachsehen.“

Wäre es nach der WHO gegangen, hätten alle Länder in einer ersten Phase Impfdosen für bis zu 20 Prozent der Bevölkerung erhalten. Nach Modellrechnungen der Northeastern University in Boston würden bei einer Verteilung der ersten zwei Milliarden Dosen nur an 50 reiche Länder die Zahl der Corona-Toten um 33 Prozent abnehmen. Ginge es bei der Verteilung nach der Bevölkerungszahl der Länder, wären es 61 Prozent weniger Tote weltweit in dieser ersten Phase.

Tatsächlich bleibt für den globalen Süden nicht viel übrig vom raren Impfstoff. Das „British Medical Journal“ veröffentlichte eine Studie, derzufolge Staaten, die nur 14 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, bis Mitte November 51 Prozent der jetzt lieferbaren Impfstoffdosen geordert hatten. Laut der US-amerikanischen „Duke University“ haben Kanada und die USA so viel Impfstoff bestellt, dass es für die eigene Bevölkerung gleich mehrfach ausreichen würde.

Das panafrikanische Internet-Magazin „The Continent“ rechnet vor, dass von den geschätzten 1,3 Milliarden Impfdosen, die Biontech-Pfizer im laufenden Jahr herstellen könnte, die USA, Großbritannien, die Europäische Union und Japan 1,1 Milliarden Dosen bestellt haben. Für den Rest der Welt bleiben 200 Millionen übrig. Einem internen Bericht von Gavi zufolge, den die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlicht hat, könnten Milliarden Menschen aus dem globalen Süden möglicherweise bis 2024 ohne Impfstoff bleiben.

„Das wird zu einer moralischen Frage“, appelliert der Chef der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union (CDC), John Nkengasong, an die reichen Länder: „Meine Botschaft, an die, die mehr beschafft haben, als sie brauchen: Lasst uns gemeinsam an einen Tisch setzen und reden.“ Immerhin: Mittlerweile hat sich die internationale Impfallianz Gavi hunderte Millionen Dosen des Corona-Vakzins von AstraZeneca gesichert. Dieser Impfstoff hat den Vorteil, bei normalen Kühlschranktemperaturen gelagert werden zu können.

Auch China macht sich als Lieferant für Afrika bereit. Bei der Politik der „neuen Seidenstraße“ existiert eine medizinische Abteilung. Die offeriert nun den Entwicklungsländern ein Impfangebot zu einem „fairen und angemessenen Preis“. Und wie alles, das das Reich der Mitte „als öffentliches Gut bezeichnet“, so der China-Experte Jacob Mardell vom Berliner Merics-Institut, „stehen auch bei der Impfstoffentwicklung die Interessen der chinesischen Firmen im Vordergrund.“

Fakt ist: In der Demokratischen Republik Kongo, Nigeria, Mauretanien, Ghana und der Elfenbeinküste stiegen die Fallzahlen zuletzt deutlich. Besonders betroffen ist Südafrika. Dort und in Nigeria macht sich eine neue Virusvariante breit. In Nigeria sind in nur einer Woche 20 Ärzte gestorben.

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Erstellt:
09.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 55sec
zuletzt aktualisiert: 09.01.2021, 06:00 Uhr

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