Tübingen

Die Rede von OB Boris Palmer im Wortlaut

Am Freitag lud Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zum Neujahrsempfang. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut.

21.04.2023

Von Boris Palmer

OB Boris Palmer beim Neujahrsempfang 2023. Bild: Ulmer

OB Boris Palmer beim Neujahrsempfang 2023. Bild: Ulmer

Dieser Neujahrsempfang ist der zweite, der im Frühjahr stattfindet. Sie erinnern sich: Vor einem Jahr kamen wir um diese Zeit in der Paul Horn-Arena zusammen. Damals waren wir froh, Abstand halten zu können. Diesen Winter gab es keine Corona-Maßnahmen. Der Empfang hätte auch im Januar stattfinden können. Ich war leider übervorsichtig, als ich mich im letzten Jahr entschied, lieber auf das Frühjahr zu warten, um das Risiko einer Absage zu vermeiden.

Aus heutiger Sicht erscheint das kaum noch verständlich. Die Erinnerung an die Zeit der Schutzmaßnahmen verblasst schnell. Heute vor drei Jahren, im April 2020, befand sich die Welt im ersten Pandemie-Lockdown. Heute vor zwei Jahren, im April 2021, haben wir mit dem Tübinger Modell die ersten Schritte aus dem quälend langen Winter-Lockdown zurück in die Freiheit gemacht. Und erst vor einem Jahr, im April 2022, beendete die Abstimmung im Deutschen Bundestag die Diskussion über eine Corona-Impfpflicht – wie wir heute wissen, mit dem richtigen Ergebnis. Denn die Sorgen, eine weitere Winterwelle könne erneut zu Freiheitsbeschränkungen führen, waren unbegründet. Omikron erwies sich als der erhoffte Gamechanger.

Rückblickend darf man sagen: Wir hatten Glück im Unglück. Damit will ich das Leid der Verstorbenen, der Hinterbliebenen und schwer Erkrankten nicht klein reden. Jeder einzelne Todesfall ist ein Grund zu tiefer Trauer. Viele Patienten kämpfen bis heute mit Long Covid. Und doch lehrt die Menschheitsgeschichte, dass die Erreger von Seuchen weitaus gefährlicher sein können als das Corona-Virus, wenn sie auf eine Bevölkerung ohne Immunschutz treffen. Die Spanier haben Mittelamerika mehr durch die mitgebrachten Pockenerreger als mit dem Schwert erobert. Wir sind in dieser Pandemie vergleichsweise glimpflich davongekommen. Das haben wir den Schutzmaßnahmen, der Vorsicht und Umsicht der meisten Mitmenschen, der Entstehung weniger gefährlicher Varianten und der Entwicklung von Impfstoffen im Rekordtempo zu verdanken.

Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass die Weltgemeinschaft erstaunlich unvorbereitet in die Pandemie geschlittert ist. Denken Sie nur an das Drama der Maskenbeschaffung in den ersten Wochen. In der nächsten Pandemie, die wohl nur eine Frage der Zeit ist, sollten wir besser vorbereitet sein. Erste Schritte dafür sind gemacht. Und Tübingen spielt dabei für Deutschland eine wichtige Rolle. Bekanntlich wurde die Technik, mit der Biontech und Moderna die weltweit effektivsten Impfstoffe entwickelt haben, in Tübingen erfunden und erstmals eingesetzt. Doch der Aufbau von Produktionslinien hat viel Zeit gekostet, und viele mussten lange auf einen Impftermin warten. Das soll künftig besser laufen. Der Bund hat deshalb eine öffentliche Ausschreibung zur Pandemievorsorge durchgeführt und sich Produktionskapazitäten für 80 Millionen Impfdosen vertraglich gesichert. Diese werden in Tübingen im Technologiepark vorgehalten. Denn gewonnen hat die Ausschreibung unser Tübinger RNA-Pionier, die Firma Curevac. Mit der RNA-Technologie kann man im Prinzip zu jedem beliebigen Virus in kürzester Zeit den passenden Impfstoff designen. Liegt der Bauplan vor, könnte die Produktion im neuen Gebäude an der Waldhäuser Straße dann binnen weniger Wochen starten. Eine großartige Sache, auf die wir auch ein bisschen stolz sein dürfen.

Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Zeit auch nutzen sollten, um Vorsorge für eine moderne Form der Kontaktverfolgung zu treffen. Die relativ zahnlose Corona-App hat zwar unsere Daten gut geschützt, aber damit auch die vorhandenen Daten über infektiöse Kontakte systematisch verschleiert. Dabei wäre es technisch ganz einfach, mit unseren Handys alle relevanten Kontakte mit Ort und Zeit zu registrieren. Sollte ein gefährlicheres Virus die nächste Pandemie auslösen, dürfte die Entscheidung leichtfallen, lieber Leben als Daten zu schützen. Wenn die Entwicklung dann erst begonnen wird, könnte das aber für Hunderttausende Menschen zu spät sein. Und ob die Faxgeräte in den Gesundheitsämtern dann noch funktionieren, ist auch nicht gesichert. Die Pandemie steht stellvertretend für ein Risiko, das im Prinzip vorhersehbar war, aber kollektiv weitgehend verdrängt wurde. Die Menschheit handelt allzu oft nach der Devise „Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe ruhig auf morgen.“ Über einige dieser Gefahren und was wir tun können, um uns gegen diese abzusichern, möchte ich heute mit Ihnen nachdenken. Wenn wir uns hier im Saal gemeinsam umschauen, dann sind zwei Phänomene schwerlich von der Hand zu weisen: Das Durchschnittsalter ist relativ hoch und der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist relativ gering. Das ist repräsentativ für Deutschland. Die Babyboomer erreichen nun das Rentenalter. Einwanderung prägt die jüngeren Generationen weitaus stärker. Und die Lebenserwartung ist so hoch wie nie.

Über die logische Konsequenz wird seit Jahrzehnten diskutiert: Die Zahl der Rentner steigt. Der Anteil der Erwerbsfähigen sinkt. Im Jahr 1990 konnten sich drei Arbeitnehmer die Beiträge für einen Rentner teilen. Im Jahr 2020 lag das Verhältnis schon bei zwei zu eins. Und wenn die gewaltige Verrentungswelle in diesem Jahrzehnt zu Ende ist, müssen anderthalb Beitragszahler für einen Rentner aufkommen.

Der jüngst verstorbene frühere Arbeitsminister Norbert Blüm ist schon in den 80ern mit dem Satz „Die Rente ist sicher“ in die Geschichte eingegangen. Auf dem Papier wurde das Renteneintrittsalter angehoben, doch in der Realität stagniert es bei 64 Jahren, weil die letzte Bundesregierung einer großen Gruppe von Beschäftigten die Rente mit 63 ohne Abschläge ermöglicht hat. Ich verabschiede seither regelmäßig topfitte Menschen von ihrem Arbeitsplatz bei der Stadt. Es sei ihnen gegönnt. Nur finden wir mittlerweile kaum noch Nachwuchs, der die freiwerdende Stelle übernehmen kann. Demografisch wäre das notwendig, was Präsident Macron soeben in Frankreich durchgesetzt hat: eine tatsächliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit um etwa zwei Jahre. Der Mangel an Arbeitskräften in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft ist ebenfalls eine logische Folge des drastischen Rückgangs der Geburtenzahlen seit 1970. Für viele Ausbildungsberufe potenziert sich das Problem durch die Akademisierung der Berufswünsche. Mein Esslinger Kollege Matthias Klopfer hat mir erzählt, dass in seiner Stadt im Jahr 1963 rund 1.500 junge Menschen die Schule verlassen haben. Von diesen wählten rund 1.000 einen Beruf in der dualen Ausbildung, einer der großen Stärken des Standorts Deutschland. Heute, 60 Jahre später, verlassen nur noch 1.000 junge Leute die Schule, und von diesen machen nur noch 100 eine duale Ausbildung. Also ein Rückgang um 90 Prozent in 60 Jahren.

Aus einem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden. Das hat erfreuliche Seiten: Kapitalistische Auswüchse, junge Menschen in Praktika statt in den Beruf zu bringen oder so schlecht zu bezahlen, dass man nur von drei Jobs gleichzeitig leben kann, werden beseitigt. Aber auch die negativen Folgen des Arbeitskräftemangels bekommen wir in vielen Bereichen des Lebens hautnah zu spüren. Auf einen Pflegeplatz oder einen Handwerker muss man lange warten. In manchem Lokal bleibt die Küche kalt, Metzgereien und Bäckereien schließen. Die naheliegende Lösung scheint die Einwanderung zu sein. Doch diese wurde bisher nicht am Arbeitsmarkt ausgerichtet. Seit 2015 sind nur 200.000 Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland eingewandert, ungefähr 70.000 davon mit der Bluecard für Hochqualifizierte und Fachkräfte in Mangelberufen. Die Zahl der Menschen, die im selben Zeitraum Asyl beantragt haben, ist mit zwei Millionen rund zehnmal so groß. Die aus der Ukraine Geflüchteten sind dabei nicht mitgerechnet. Unbestritten ist es eine humanitäre Pflicht, Menschen, die vor einem Krieg fliehen, Schutz zu bieten. Am Arbeitsmarkt tun sich die Asylbewerber aber sehr schwer. Die Zugangshürden sind zu hoch, das Qualifikationsniveau ist zu niedrig. Die Mehrzahl ist lange Zeit auf Transferleistungen angewiesen und kann die freien Stellen nicht besetzen. Und von den Geflüchteten, die als Metallhandwerker, Pflegekräfte, Fahrradmechaniker oder Logistiker für ihre Betriebe nicht ersetzbar sind, schieben wir regelmäßig die besten Leute ab, wie auch Tübinger Firmen zu Recht immer wieder bei mir klagen.

Eine absurde Form der Selbstschädigung aus Prinzip. Im eigenen Land sinkt das Bildungsniveau seit mehr als einem Jahrzehnt stetig. Die PISA-Bildungsstudien zeigen leider, dass es unsere Schulen immer weniger schaffen, den wachsenden Herausforderungen einer Schülerschaft gerecht zu werden, die immer vielfältiger wird und im Elternhaus in einer wachsenden Zahl von Fällen die notwendigen Kulturtechniken nicht vermittelt bekommt. Bei digitalen Lernformen und der Lehrerfortbildung belegte Deutschland in der letzten OECD-Studie Platz 76 von 78 und spielte damit in der gleichen Liga wie die Republik Moldau.

Für den Wohlstand in unserem Land sind das bereits dunkle Wolken an einem nahen Horizont. Und der Krieg Russlands in der Ukraine hat ein weiteres verschobenes Problem aufgedeckt: Wir haben zwar den Ausstieg aus Atom und Kohle beschlossen, aber den Einstieg in eine sichere, umwelt-freundliche und preiswerte Energieversorgung verpasst. Vor wenigen Tagen wurden die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Die Feierlichkeiten waren allerdings verhalten. Denn die Energiepreise in Deutschland sind nun weltweit spitze und machen der Industrie schwer zu schaffen. In Baden-Württemberg waren vor zehn Jahren noch vier Atomkraftwerke in Betrieb. Deren Stromerzeugung entsprach der Kraft von 3.000 Windrädern der neuesten Generation. Gebaut wurden seither aber nur 350 in „The Länd“.

Die Fortschrittlichkeit, die aus der neuen Imagekampagne sprechen soll, findet sich leider in der öffentlichen Verwaltung nicht wieder. Ich nehme an, ich bin nicht der Einzige hier im Saal, der an der Grundsteuererklärung mit „Elster“ fast verzweifelt wäre. Das Online-Zugangsgesetz garantiert Ihnen als Bürger zwar seit Jahresanfang, dass Sie alle Anträge online stellen dürfen. Fast immer ist das aber ein E-Mail-Postfach, das jemand ausdruckt. Bestellen und bezahlen im Internet mit einem durchgängig digitalen Prozess, wie Sie das ansonsten ja fast überall gewohnt sind, das bietet „Service-BW“ derzeit für genau eine von 500 Dienstleistungen der Kommunen an. Den damit beauftragten IT-Dienstleister hat das Land gerade gekündigt. Wie es weitergehen soll, steht in den Sternen. Vielleicht sollten wir doch auf die alte Image-Kampagne zurückgreifen und „Wir können alles außer Digitalisierung“ plakatieren?

Das Paradebeispiel für ein Problem, das man lange kommen sehen kann, ist wohl die langlebige Infrastruktur. Die Kommunen schieben bei Schulen, Verwaltungsgebäuden, Brücken und Straßen einen Sanierungsstau von 150 Milliarden Euro vor sich her. Wie man eine Infrastruktur richtig herunterwirtschaftet, zeigt aber vorbildlich die Deutsche Bahn. Gerade erst war die Strecke nach Stuttgart für zwei Wochen gesperrt. Was früher nie vorkam, findet nun mehrmals jährlich statt. Die Bauarbeiten am maroden Netz kommen aber so spät, dass kaum noch ein Zug einen Anschluss erreicht. Bahnfahren ist heute mindestens Geduldsprobe, wenn nicht Odyssee geworden. Besonders schmerzlich wird das spürbar, wenn man von der Schweiz kommt. Dort ist man heute immer noch „pünktlich wie die Eisenbahn“ unterwegs.

Zu guter Letzt ein Blick in die Staatskasse: Die Krisen der jüngsten Zeit haben dort tiefe Spuren hinterlassen. Formal gilt die Schuldenbremse. Wir haben den Eindruck, es wird gespart. Und bei der Infrastruktur stimmt das ja leider auch. Tatsächlich ist die Bundesschuld aber seit 2019 von 1,2 auf 1,6 Billionen Euro gewachsen. Das heißt, jeder vierte Schuldeneuro wurde in gerade einmal vier Jahren aufgenommen. Jetzt steigen auch noch die Zinsen, und der Bund muss schon dieses Jahr 40 Milliarden Euro für Zinszahlungen aufwenden – zehn Mal mehr als noch im letzten Jahr. Hier ist die Zeitenwende bereits spürbar. Das bisherige deutsche Geschäftsmodell, Energie billig aus Russland zu beziehen und die Sicherheit von den USA finanzieren zu lassen, ist jäh an sein Ende gekommen. Der Abschied vom Verbrennungsmotor bedroht das Herzstück der baden-württembergischen Wirtschaft zusätzlich.

Nun sollten Neujahrsreden zumal im Frühjahr eigentlich nicht zu Depressionen anregen, sondern zur Tat aufmuntern. Wenn ich trotzdem so schonungslos über den Zustand von Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Rentenkasse, Energieversorgung, Infrastruktur, Staatskasse und Einwanderung gesprochen habe, dann, weil ich den Eindruck habe, dass wir die Summe dieser Probleme unterschätzen und notwendige Gegenmaßnahmen aufschieben. Ohne Problembewusstsein keine Lösung.

Der ehemalige Ministerpräsident Günther Oettinger hat diesen allzu sorglosen Zustand vor einigen Wochen als „Krankheit ohne Schmerzen“ bezeichnet. Er meint damit, dass eine Volkswirtschaft mit solch tiefgreifenden Problemen normalerweise durch Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen zu Reformen gezwungen wird. Weil aber jedes Jahr 200.000 Arbeitskräfte mehr in den Ruhestand gehen als in den Beruf einsteigen, fällt dieser Reaktionsdruck scheinbar weg. Die Gewerkschaften können Rekordforderungen durchsetzen. Arbeitgeber erleben, dass sie von Bewerbern einer Art Casting unterzogen werden, und in der jungen Generation ist die Work-Life-Balance als Leitbegriff an die Stelle der Leistungsgesellschaft getreten. Verbunden wird dies mit einem immer offensiveren Anspruch auf materielle und gesellschaftliche Teilhabe aufgrund von leistungsfernen Kategorien der Identitätspolitik.

Es könnte uns daher gehen wie dem sprichwörtlichen Frosch im Topf auf der heißen Herdplatte. Solange die Temperatur nur moderat ansteigt, bleibt er sitzen. Wenn es ihm zu heiß wird, fehlt ihm schon die Kraft zum rettenden Sprung, sodass er am Ende gekocht wird. Wenn wir dieses Schicksal vermeiden wollen, müssen wir frühzeitig erkennen, wohin die Entwicklung gehen wird, auch wenn sich noch keine Schmerzen einstellen.

Beim Klimawandel haben wir diese Chance schon verpasst. Seit dem Erdgipfel in Rio sind 30 Jahre vergangen, und die weltweiten CO2-Emissionen sind seither keinesfalls gesunken, sondern steil an-gestiegen. Dürren, Flutkatastrophen und Waldbrände sind bereits die Folge. Die Weltgemeinschaft hat es bisher nicht geschafft, ausreichend gegenzusteuern. Ein Gespräch mit vier Vertretern der „Letzten Generation“ hat mir erst vor einigen Wochen gezeigt, wie sehr das den Blick vieler junge Leute auf ihre Zukunft verdüstert hat.

Pinar Atalay hat mir vor einigen Tagen im einem Interview gesagt, das sehe für sie alles nach Schwarzmalerei aus. Ich hoffe, sie hat damit Recht. Aber an einer ganz einfachen Erkenntnis kommen wir nicht vorbei: Wir müssen die vor uns liegenden Herausforderungen ernst nehmen und uns mehr als bisher anstrengen, um sie zu bewältigen. Für Tübingen kann ich immerhin berichten, dass wir dabei schon einige Schritte weiter vorangekommen sind. Vielleicht sieht manche Entwicklung der jüngeren Zeit in diesem Licht betrachtet für sie auch freundlicher aus als bisher.

Beginnen wir mit dem Blick auf den Tübinger Arbeitsmarkt und die Demografie: Auch in unserer Stadt ist die Zahl der Rentner dem Trend folgend gestiegen, und zwar von 11.900 im Jahr 2006 auf heute über 15.200. Im gleichen Zeitraum ist aber auch die Zahl der Erwerbstätigen von 35.700 auf 52.700 gewachsen. Das hat die Versorgungsquote sogar verbessert: Kamen vor 17 Jahren noch drei Erwerbstätige auf einen Versorgungsempfänger, so sind es heute gegen den Bundestrend sogar mehr, nämlich 3,5. Vielleicht stimmt Sie das milder, wenn Sie die vielen gewerblichen Baustellen in der Stadt bisher kritisch gesehen haben. Norbert Blüm würde sich jedenfalls über die Tübinger Zahlen, zu denen auch ein leichter Geburtenüberschuss gehört, freuen. Übrigens war eine wichtige Voraussetzung für diese Entwicklung, dass wir die Zahl der Betreuungsplätze für Kleinkinder unter drei Jahren seit 2006 von damals 550 auf heute 1.400 erhöht haben.

Der Verkehr im Stadtzentrum war in den letzten zwei Jahren stark behindert. Doch nun ist Besserung in Sicht: Der Ersatz für die nach 110 Jahren Standzeit abgerissene Steinlachbrücke wird im Mai fertig. Ungefähr zur gleichen Zeit wird die neue Radbrücke am Stauwehr eröffnet. Das Einweihungs-fest für den neuen Busbahnhof ist auf den Beginn der Sommerferien terminiert. Wenn nächstes Jahr nach dem Parkhaus Altstadt-Mitte auch das Parkhaus König durchsaniert ist, haben wir in die Verkehrsinfrastruktur im Stadtzentrum innerhalb von fünf Jahren mehr als 70 Millionen Euro investiert. Wir haben dabei nicht nur Vorhandenes saniert, sondern auch optimale Bedingungen für den Rad- und Busverkehr im Stadtzentrum geschaffen – ein wichtiger Baustein für klimaneutrale Mobilität in Tübingen.

Im Klimaschutz planen wir nun Schritte einer ganz neuen Dimension: Die Stadtwerke haben gute Aussichten, im Landkreis Tübingen 15 Windräder zu bauen. Der erste Windpark der Stadtwerke, den man von Tübingen aus sehen kann, entsteht derzeit auf der Alb bei Genkingen. Und auf die Lustnauer Ohren folgen nun zwei Solarparks an der B27, die zusammen mehr als zehnmal so groß sind wie dieser erste Bauabschnitt. Die Stadtwerke sind so erfolgreich unterwegs, dass sie sich nun zum Ziel gesetzt haben, bis 2028 die Vollversorgung Tübingens aus erneuerbarer Energie in der Stromversorgung zu erreichen. Hier zahlt sich aus, dass wir vorausschauend und sehr früh damit begonnen haben, Solar- und Windparks zu errichten.

Und auch bei der Wärmewende hilft uns nun sehr, dass wir schon seit vielen Jahren den Ausbau der Fernwärme vorantreiben. Das erlaubt uns jetzt, gleichzeitig viele neue Gebiete zu erschließen und die Erzeugung auf erneuerbare Quellen umzustellen. An der Kläranlage wird bis 2027 eine Groß-Wärmepumpe gebaut, mit der wir die Hälfte des heutigen Wärmebedarfs im Fernwärmenetz komplett CO2-frei aus dem Abwasser zurückgewinnen können. Vorrangig in der Südstadt wird derzeit Straße für Straße an das Netz angeschlossen. Die Nachfrage ist enorm gewachsen. Die Stadtwerke haben mit Planung und Bau der Leitungen alle Hände voll zu tun. Sollte jemand von Ihnen eine neue Aufgabe im technischen Klimaschutz suchen: In diesem Bereich sind zahlreiche Stellen zu besetzen. Die Stadtwerke freuen sich über qualifizierte Bewerbungen!

Die Sanierung und Modernisierung unserer Schulen schreiten ebenfalls gut voran. Nächstes Jahr wird das Kepi komplett saniert sein, sodass die Baustelle zu den Südschulen umziehen kann. Für die Französische Schule und das Carlo-Schmid-Gymnasium sind über 30 Millionen Euro reserviert. Der Bau der neuen Grundschule Winkelwiese hat begonnen, der zweizügige Neubau der Köstlinschule soll nächstes Jahr starten. Die digitale Grundausstattung aller Schulen wird bis 2025 abgeschlossen sein. Und auch für die Ältesten investieren wir kräftig: Das Pauline-Krone-Heim und das neue Pflegeheim am Hechinger Eck werden nächstes Jahr vollendet sein. Das Investitionsvolumen hierfür beträgt über 20 Millionen Euro.

All das ist uns gelungen, ohne finanzielle Lasten in die Zukunft zu verschieben. Der Schuldenstand der Stadt liegt heute real nicht höher als vor zehn Jahren. Die Guthaben bei Banken übersteigen die Verbindlichkeiten. Tübingen steht gut da. Ich möchte mich hier ganz herzlich bei allen bedanken, die ihren Beitrag zu diesen positiven Resultaten geleistet haben. Was wir gemeinsam geschafft haben – und das meine ich jetzt mit schwäbischem Zungenschlag –, das kann sich wirklich sehen lassen.

Am Ende einer so ambivalenten Analyse ist eine Frage ganz einfach zu beantworten: Wie viel Butter soll dieses Jahr auf die Brezeln? Ich habe mich für halbe-halbe entschieden. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien für die Zeit bis zum nächsten Neujahrsempfang, der sehr sicher wieder im Januar stattfinden wird, von Herzen alles Gute.

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Erstellt:
21.04.2023, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 10min 30sec
zuletzt aktualisiert: 21.04.2023, 19:00 Uhr

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