Macht, aber auch Unsicherheit

Bewertungen im Online-Handel: Die Macht der Sterne

Viele Verbraucher entscheiden über einen Kauf im Netz anhand der Bewertungen anderer Kunden. Das gibt den Zensurengebern viel Macht, bringt aber auch Unsicherheit.

13.09.2021

Von Dominik Guggemos

50 Prozent der deutschen Konsumenten glauben, dass viele Online-Bewertungen Fake sind. Warum vertrauen sie ihnen trotzdem? Foto: ©BRO.vector/shutterstock.com

50 Prozent der deutschen Konsumenten glauben, dass viele Online-Bewertungen Fake sind. Warum vertrauen sie ihnen trotzdem? Foto: ©BRO.vector/shutterstock.com

Der Onlinehandel boomt, nicht erst seit der Pandemie. Im vergangenen Jahr wurden 72,8 Milliarden Euro Umsatz im E-Commerce erzielt, ein Plus von 23 Prozent. Welches Produkt gekauft, welches Essen bestellt und welcher Service genutzt wird, das entscheidet sich oft durch Online-Bewertungen von Kunden. Vier von zehn Deutschen vertrauen den Rezensionen laut einer Umfrage des Softwareunternehmens Capterra am meisten, wenn sie ein neues Produkt kaufen wollen. Wie verändern sie unser Kaufverhalten und welche Herausforderungen bringt das mit sich? Ein Überblick.

Wie gehen Unternehmen mit Online-Bewertungen um?

Der Onlinehandel bringt einen klaren Nachteil mit sich. Im Gegensatz zum Geschäft, in das man geht, um das gewünschte Produkt aus nächster Nähe anzuschauen und anzufassen, sieht man es beim digitalen Kauf nur am Bildschirm. Durch die Bewertungen von Kunden, die das Produkt gekauft und genutzt haben, soll der Nachteil ausgeglichen werden. Schließlich haben sie es im Alltag getestet, kennen Stärken und Schwächen – und haben vor allem kein kommerzielles Interesse, im Gegensatz zum Verkäufer im Laden. Eine Bewertung wirkt neutral.

Das gibt denen, die sie schreiben, viel Macht. Gastronomen, die ihr Essen auf der Lieferservice-App Lieferando anbieten, berichten davon, dass ein halber Stern in der Gesamtbewertung ihres Restaurants 300 Euro Umsatz ausmacht – am Tag. Wenige Abende mit unterbesetzter Küche oder überforderten Fahrern, gefolgt von zahlreichen Ein-Stern-Bewertungen, gehen da schnell an die Existenz. Der bewertende Kunde, ein wahrer König.

Klar, dass die Unternehmen dieses für sie unvermeidbare Spiel mitspielen. „Produktbewertungen werden als sehr wertvolles Mittel erkannt und positiv aufgenommen“, sagt Rebekka Weiß, Expertin für Vertrauen und Sicherheit beim Branchenverband Bitkom. Und in der Tat, das Feedback kann bei der Qualitätssicherung helfen. Noch wichtiger ist allerdings ein aktiver, offensiver Umgang mit den Bewertungen, gerade mit negativen.

Kunden nehmen wahr, wenn das Unternehmen auf Bewertungen antwortet, die gegebene Antwort wird Teil des Entscheidungsprozesses. Wie war der Kontakt mit dem Anbieter, wenn es Probleme gibt? „Das sind total relevante Informationen“, sagt die Bitkom-Expertin Weiß und macht deutlich: „Die Investition in eine ausführliche Antwort kann sich lohnen.“

Warum sind Bewertungen dominiert durch Superlative?

Wenn früher im Zeugnis die Note 3 stand, war das für die meisten nicht unbedingt ein Weltuntergang. „Befriedigend“ eben. Wer den Händler oder das Restaurant mit drei von fünf Sternen bewertet, befriedigt diesen allerdings keineswegs. Alles unter fünf Sternen ist nicht gut genug, Punkt. Warum wird so wenig differenziert, die Wahrheit zwischen die Zahlen eins und fünf postuliert? „Kunden wollen, dass ihre Erwartungen vollständig erfüllt werden“, sagt Weiß. „Mittelmaß ist nicht gut genug.“

Grafik: Bock / Quelle: Capterra

Grafik: Bock / Quelle: Capterra

Die gute Nachricht ist, gerade bei größeren Investitionen: 43 Prozent der Deutschen lesen sich vor dem Kauf zwischen sechs und zehn Bewertungen durch, ergab die Umfrage von Capterra. Allerdings geht der Trend dahin, dass Kommentare unwichtiger werden, die Sterne-Bewertung wichtiger. Das hängt wahrscheinlich mit der zunehmenden Smartphone-Nutzung zusammen. Umso notwendiger ist es, dass Kunden lernen, wie viel Einfluss sie mit einem frustrierten Klick haben können. Weiß: „Des Eigenanteils, was der Nutzer in diesem für uns alle wichtigen Ökosystem leisten kann, sind sich viele nicht bewusst.“

Fake-Bewertungen – wie groß ist das Problem und was wird dagegen getan?

Es gibt zwei Varianten von gefälschen Bewertungen. Unternehmen können sich selbst gute Bewertungen einkaufen oder mit schlechten Bewertungen die Konkurrenz schwächen. Wie häufig kommt Letzteres vor? „Es findet statt, ist aber kein ganz weitläufiges Phänomen. Zumindest nicht in dem Maße, dass es das gesamte System erschüttern würde“, sagt Weiß. Der Eindruck bei den Konsumenten ist aber ein anderer, wie die Capterra-Umfrage zeigt: Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen glauben, dass mindestens 50 Prozent der Bewertungen Fake seien.

Eine gewisse Skepsis ist gleichwohl angebracht, auch wegen der eingekauften positiven Bewertungen. Kunden müssen dabei auf ihr Bauchgefühl vertrauen, ob sich eine Bewertung wie Marketing-Sprech liest oder authentisch daherkommt. „Das Störgefühl ist das A und O“, sagt Weiß. Auch die Händler haben ein ureigenes Interesse daran, dass die Nutzer Vertrauen in die Bewertungen haben, und ergreifen Maßnahmen.

Mancherorts dürfen nur verifizierte Käufer bewerten. Es gibt Screenings nach von Computerbots erstellten Bewertungen. Und nicht zuletzt können sich Händler über Bewertungen beschweren und sie überprüfen lassen. Nachgewiesene Fake-Bewertungen sind justiziabel, können abgemahnt werden. Denn am Ende ist klar: „Kein Online-Händler“, sagt Weiß, „hat ein Interesse daran, dass das Bewertungssystem kollabiert.“

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Erstellt:
13.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 13.09.2021, 06:00 Uhr

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