Pfrondorf

Gutenachtgeschichte: Die Illusion der Bergarbeiter

Wie lässt sich ein Pfau kulinarisch zubereiten? Und wie werden Jungen zu Tanzmädchen? Die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte in Pfrondorf war kurzweilig.

04.08.2022

Von Christiane Hoyer

Sie sorgten im Dreiklang mit Bert Klein am Klavier für heitere Stimmung (von links): Irene Jantzen, Birgit Vona und Renate Hallmayer. Bilder: Ulrich Metz

Sie sorgten im Dreiklang mit Bert Klein am Klavier für heitere Stimmung (von links): Irene Jantzen, Birgit Vona und Renate Hallmayer. Bilder: Ulrich Metz

Dass sich der Dorfplatz in Pfrondorf am Mittwochabend mit 120 Zuhörerinnen und Zuhörern füllte, war nicht nur dem Sommerwetter geschuldet. Zur guten Stimmung trug nicht zuletzt das Tübinger Gesangstrio Dreiklang mit Bert Klein am Klavier bei. Und natürlich Jochen Preiss mit seiner gelungenen Buchauswahl.

Wie Sparen und Therapie auf Schwäbisch geht, brachten Irene Jantzen (Sopran), Birgit Vona und Renate Hallmayer musikalisch und mimisch so gut rüber, dass die Pfrondorfer Gäste zum Auftakt der Lesung in eine lockere Stimmung kamen. Die komischen Texte lässt sich Irene Jantzen immer dann einfallen, wenn sie mal eine Auszeit von ihrem Brotberuf als OP-Schwester hat. Für die musikalische Umsetzung zeichnen sich alle verantwortlich, besonders aber Renate Hallmayer, bei den Arrangements können sie auf Bert Klein zählen, bis vor kurzem auch auf seinen Vorgänger Manfred Wolf.

Als das TAGBLATT und Harry Belzl vom Mitveranstalter „Das Netz“ die Besucher aufs Zuhören einstimmten, mussten sie sich zunächst auf eine dramaturgische Veränderung einstellen: Lena Dieterle konnte krankheitsbedingt nicht im TAGBLATT-Lesesessel Platz nehmen. Und so kamen die Zuhörer in den Genuss von zwei sehr unterschiedlichen Romanauszügen, die Jochen Preiss in angenehmer Tonlage und – angepasst an den Glockenschlag der benachbarten Kirchturmuhr – vortrug. Der 62-Jährige lebt seit über 30 Jahren in Pfrondorf, ist Lehrer an der Steinbeisschule in Reutlingen und liest in seiner Freizeit „alles, was gut ist“ – wenn er nicht gerade auf dem Rad sitzt oder am Herd steht und kocht: Im Herbst und Winter darf‘s auch schon mal Reh oder Wildschwein sein, das er seiner Familie auftischt.

In dem ersten Buch, das Preiss ausgesucht hatte, steht ein Pfau im Mittelpunkt, der schließlich von der Köchin Helene zu einem schmackhaften Pfauencurry verarbeitet wird. „Der Pfau“ ist der Debütroman der Übersetzerin Isabel Bogdan. Handlungsort sind die schottischen Highlands. Lord und Lady McIntosh vermieten in ihrem Herrenhaus an Feriengäste. Als die Investmentabteilung einer Londoner Privatbank übers Wochenende dort ein Teambuilding-Seminar abhält, rastet einer der Pfauen von McIntoshs angesichts des blaumetallic lackierten Autos der Investmentbankerin aus und hackt auf ihren Wagen ein. Da hilft nur noch die Flinte.

Jochen Preiss war der Vorleser in Pfrondorf.

Jochen Preiss war der Vorleser in Pfrondorf.

In trockenem Humor entfaltet die Autorin im Folgenden das Gespräch zwischen Banker David und der Köchin Helen über das Zubereiten und Essen von Tieren. Warum, fragt sie sich, essen die Engländer eigentlich Straußenfleisch, aber kein Fleisch von Hunden? Ist es nicht eher wichtig, wie die Tiere vor ihrem Tod behandelt werden? Bevor Helen mit dem Kochen beginnt, entließ Preiss die Besucher in eine Trinkpause, die sinnigerweise von Dreiklang mit zwei Tiersongs über den Goldfisch Paul und über Jantzens Hund Paula, der den Auftritt verschlief, beendet wurde.

Der zweite Lesungsabschnitt spielte sich literarisch im amerikanischen Daggsville in Missouri ab. Der irische Thomas McNulty lernt seinen Freund John Cole 1851 kennen, als beide in einem Gebüsch Schutz suchen vor einem Gewitter. Die Heranwachsenden suchen einen Job, und finden ihn im Saloon von Titus Noone. Der lässt die Jungs in Mädchenkleidern mit den Bergarbeitern tanzen. Für 50 Cent pro Abend vermitteln die 13- und 15-Jährigen den Männern die Illusion eines schönen Abends mit einer hübschen Frau. „Wir waren Balsam für ihre Seele, und alles ging ohne Handgreiflichkeiten ab“, schildert der Ich-Erzähler. Das Buch von Sebastian Barry „Tage ohne Ende“ ist ein großer Wurf. Es handelt nicht nur vom Massaker an Indigenen, sondern auch vom Sezessionskrieg, und von Homosexualität.

Preiss machte mit seiner Auswahl Lust auf die Bücher, und Dreiklang war auch zum Ausklang ein Appetithappen, der manchen Gast sicher animierte, eine der nächsten Auftritte zu besuchen, die auf der Homepage nachzuschauen sind.

Für weitere ökologische Projekte des Pfrondorfer Vereins Das Netz kamen bei der Gutenachtgeschichte Spenden in Höhe von 407 Euro zusammen.

Zum Artikel

Erstellt:
04.08.2022, 17:44 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 04.08.2022, 17:44 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!